Allerheiligen 2025

Predigt am 01.11.2025

„Warum interessierst du dich für die Heiligen?“, fragt mich ein evangelischer Freund. „Und warum feiert ihr die? Jesus reicht doch! Was zu sagen ist, hat er gesagt. Wir sollten uns an ihn halten, an seine Worte und Taten!“

Ja, Jesus reicht. Das stimmt! Ihn zu „beherzigen“, ihn ins Herz zu nehmen und seinen Worten und Taten zu folgen – das ist entscheidend für Christen. Die Heiligen stehen da deutlich in der zweiten Reihe, sie drängen sich nicht auf, sie zeigen nicht auf sich: Kommt zu mir.
Der heilige Johannes der Täufer, mein Namenspatron, zeigt auf dem Isenheimer Altar mit einem riesengroßen Zeigefinger auf Jesus, der am Kreuz hängt. Und so tun es alle Heiligen: sie sind so etwas wie Hinweisschilder, Wegweiser. Sie zeigen den Weg, und sie sind ihn selbst auch gegangen. Das macht sie so glaubwürdig. Und hilfreich.

Vorgestern, als ich dies schrieb, machte mir eine Frau ein Geschenk. Ich sollte ihre Mutter beerdigen und besuchte sie in ihrer Wohnung. Sie ist eine begabte Hobbymalerin. Gleich am Eingang hing das Bild: ganz blau. Himmelsblau. Ein Balken aus Gold geht waagerecht hindurch. An dem Balken hängt ein Schlüssel, auch aus Gold. Die Frau merkte, dass mich das Bild sehr ansprach – und hat es mir nach der Beerdigung gegeben. Es hängt seit ein paar Stunden in meinem Arbeits- und Wohnzimmer – und sieht mir beim Predigtschreiben zu.

Ich erzähle dies, weil es mich an die Heiligen erinnert. Sie haben noch einen Blick für den Himmel. Dieser Blick wird ja in unserer Kultur ganz abgelenkt. Der Himmel ist weithin nur noch eine blasse Metapher; nur das Irdische zählt. Das, was man zählen und kaufen kann. Das, was einem Bedeutung gibt. Wellness und Fitness und alles, was Spaß macht. Davon redet man, darauf achtet man. Der Himmel ist darüber sehr verblasst, geht mehr und mehr verloren. Manche vermissen ihn, spüren noch ein leichtes Ziehen – einen Phantomschmerz? – und ansonsten ein Leersein in der Seele. Andere vermissen ihn nicht mal mehr; er wurde ihnen nie richtig nahegebracht, der Himmel, der Himmel Gottes.

Die Kunst des Mittelalters hat den Himmel mit Gold dargestellt, der kostbarsten Farbe. Eine Dimension, eine Sphäre wurde damit angedeutet, die unsichtbar, aber wirklich ist. Ein Gespür für das Heilige war noch da. Das Heilige, das nicht einfach verfügbar, abrufbar, kaufbar ist. Das Geheimnis Gottes, des Verborgenen, mitten in der Welt. Das in der Welt unsichtbare Gold – hier im Bild in der Form eines Balkens, der mich an Jesus erinnert, an sein Kreuz.

An dem Balken im Bild hängt ein Schlüssel. Ein Himmelsschlüssel. Einer der Heiligen aus der vordersten Reihe, der Apostel Petrus, hat im Evangelium die Schlüssel zum Himmelreich bekommen. Und so sind die Heiligen: Sie können den Zugang zu Gott und zum Göttlichen aufschließen. Nicht, weil sie so tolle Typen sind. Petrus z.B. war gar nicht so toll: ängstlich (dreimal hat er Jesus verleugnet!), vorlaut, schwer im Begreifen. Die Evangelien kritisieren ihn und lassen ihn irgendwie dumm dastehen. Nein, die Heiligen drängen sich nicht vor. Es ist Gott, der sie beruft; es ist seine Gnade und Kraft, die in ihnen wirkt. Sie müssen nicht perfekt sein. Und jede und jeden von ihnen könnte man sich mit einem Schlüssel vorstellen, dem Himmelsschlüssel. Jede und jeder Heilige kann uns den Glauben erschließen, öffnet uns den Blick für die Gold-Spuren in der Welt, ist Augen- und Ohren- und Herzensöffner.

Wie schaffen die Heiligen das? Weil sie den Glauben leben, vorleben. Weil sie Gott lieben – und die Menschen. Weil der aufschauende Blick zu Gott sich auswirkt als liebender Blick in die Welt, auf die Menschen. Weil sie Gott und Welt, Gott und Menschen noch in Verbindung bringen. Weil sie uns deutlich machen: Ja, das geht: glauben, in der jeweiligen Zeit, auch im 21. Jahrhundert, trotz aller Schwierigkeiten. Ein junger Mensch unserer Gegenwart, Carlo Acutis, Jahrgang 1991, ist vor ein paar Wochen heiliggesprochen worden – als Modell für unsere Zeit, als Mutmacher, als einer, der gerade jungen Leuten zeigen kann: So könnte es gehen mit dem Christsein heute.

Über diesem Jahr steht für uns Katholiken das Mottowort: Ihr seid Pilger der Hoffnung. Die Hoffnung, die so bedroht ist von Ängsten und Befürchtungen, von Schwermut und Aussichtslosigkeit. Die Heiligen gehen uns voran und begleiten uns auf dieser Pilgerfahrt durchs Leben. Kirche ist gedacht als GmbH – als Gesellschaft mit bestimmter Hoffnung! Einer Hoffnung, die auf Gott setzt, die sich in der Liebe auswirkt, und die weiß: Nicht der Tod hat das letzte Wort!

Gott hat das letzte Wort, und er lässt es sich nicht nehmen. Gott schafft die Goldspuren in der Welt, die oft versteckten Zeichen seiner Gegenwart. Die Heiligen gehören zu diesen menschlichen Goldspuren. Sie verkörpern ein wirklich gutes Leben, das nicht „gut“ ist wegen Wellness, Fitness, Reichtum oder Erfolg – sondern das gut ist wegen Glaube, Hoffnung und Liebe, diesen drei entscheidenden Kräften, laut Paulus. In der kleineren Münze des Alltags: Wir haben eine Grundhoffnung, ohne die wir gar nicht die Energie hätten, morgens aufzustehen.