Amos - Mann des Zorns
Predigt am 21. September 2025
Lang, lang ist´s her. 2800 Jahre ungefähr. Da gab es einen, den die Bibel Amos nennt. Der war ein Vieh- und Maulbeerfeigenzüchter vom Land. Den will Gott als Prophet. Dieses Amt war damals ziemlich
heruntergekommen. Propheten – das waren damals häufig Männer, die bei Hofe saßen und den Mächtigen nach dem Mund redeten. Lobredner, so wie die Werbefritzen und Propagandaexperten heute. Amos nun war
anders, ganz anders: einer, der sehr zornig werden kann und die Dinge beim Namen nennt. Der Mann vom Lande hielt nicht den Mund. Er klagte an und benannte Missstände und Ungerechtigkeiten in aller
Öffentlichkeit. Diese klaren und ungeschminkten Worte machten ihn nicht gerade beliebt. Aber was wäre die Welt ohne solche kantigen und sperrigen Typen, die sich kein X für ein U vormachen lassen. Die
darauf pfeifen, sich der Mehrheit anzuschließen, und die dadurch angreifbar werden. Zornige Männer und Frauen, die sich gegen Lüge und Betrug, gegen Unrecht und Unterdrückung stellen - auch auf die
Gefahr hin, dabei unter die Räder zu kommen.
Zorn - das ist ein Gefühl, das oft verkannt wird. Zorn gehört sich nicht, so denken auch manche Christen. Die wollen es immer „schön harmonisch“, die finden es besser, immer ausgeglichen zu sein, „alles
wird gut“ zu murmeln und ein Dauerlächeln im Gesicht zu tragen. Sanftmut ja, Zorn nein. Für sie ist Zorn ein Störenfried. Denn er zeigt ja an, dass wir nicht einverstanden sind mit einer Situation. Zorn
zeigt, dass die Harmonie gar nicht besteht.
Ich meine: Gut, dass es den Zorn gibt! Den Zorn, nicht die blinde Wut! Denn der Zorn ist ein Antreiber. Er sagt uns: Finde dich nicht ab! Finde dich nicht ab mit der Ungerechtigkeit oder mit anderen
unhaltbaren Zuständen. Dränge auf Veränderung! Es ist der Zorn, der sich einmischt, der auf den Tisch hauen kann und sagt: Freunde, so nicht! Ich denke, es müsste vielmehr Zorn geben – viel mehr zornige
Menschen, die sich über schlechte Zustände erregen und auf Besseres hinarbeiten.
Diesen Zorn teilen wir dann mit dem Gott der Bibel. Die Bibel spricht immer wieder vom „Zorn Gottes“ – nicht nur im Alten Testament, sondern bis ins Evangelium hinein. Jesus vertreibt z.B. die Händler
aus dem Tempel. Zornig stößt er ihre Tische um. Er ruft: „Ihr habt das Haus des Vaters zu einer Räuberhöhle gemacht!“ Das sind deutliche, klare Worte - kein sanftes Säuseln. Auch wenn er den
Pharisäern und Schriftgelehrten die Meinung sagt, spürt man, wie ihm der Zorn hochkommt. Er muss einfach sagen, was zum Himmel schreit. Aber es ist ein Zorn, der aus der Liebe kommt. Genauso ist es bei
Amos. Hören wir noch einmal hin auf unseren Propheten: Ihr verfolgt die Schwachen und unterdrückt die Armen. Ihr sagt: Wir werden die Preise erhöhen und die Gewichte fälschen. Sogar den Abfall des
Getreides machen wir noch zu Geld. Mit Geld kaufen wir uns die Hilflosen, für ein Paar Sandalen die Armen. (Am 8,4)
Also Korruption, Betrug, Wucher – alles zu Lasten des Armen. Damals schon! Soll Gott dazu freundlich gucken? Soll er alles absegnen? Ist der Zorn Gottes nicht geradezu geboten? Sein Einsatz für alle, die
unter einer kleinen, sehr reichen Oberschicht um den König herum schon damals zu leiden hatten? Amos versteht sich als Prophet, als die Stimme Gottes. Er ist das „Gewissen“ seines Volkes. Er meldet sich
zu Wort für Gerechtigkeit, d.h. für den Willen Gottes. Aber die Wucherer und bedenkenlosen Ausplünderer der Armen halten sich die Ohren zu. Sie hören auf die Hofpropheten am Königshof, die den Mächtigen
nach dem Munde reden und sich für ihre Sprüche auch noch bezahlen lassen.
Ein zorniger Prophet, ein zorniger Gott! Vielleicht ist das nicht das Bild des „lieben Gottes“, das wir oft mit uns herumtragen. Nein, Gott kennt den Zorn, aber der Zorn stammt aus der Liebe! Er liebt
seine Welt, liebt die Menschen, und es ist ihm ganz unerträglich, die Ungerechtigkeit der Sieger und Gewinner gegenüber den Armen und Hilflosen zu sehen. Sein Zorn hat den Zorn vieler prophetischer
Menschen genährt, die angesichts der schlimmen Zustände der Welt nach dem Willen Gottes fragen – nach Gottes Willen für diese Welt.
Es ist nicht zu übersehen: Die Armut wächst in unserem Land. Sie trifft immer mehr Menschen – viele auch, die arbeiten und trotzdem kaum über die Runden kommen. Daneben die Gier, die blanke Gier nach
immer mehr und immer schnellerem Erfolg. Wie sagte damals Amos: „Wir wollen mit Geld die Hilflosen kaufen, für ein paar Sandalen die Armen. Sogar den Abfall des Getreides machen wir zu Geld.“
Wenn wir uns Amos anschließen, dann werden wir vor liebloser Kälte und Gleichgültigkeit in unserem Land nicht die Augen zumachen. Das Gemeinwohl, das so verblasst ist, wird uns wichtig sein. Wir werden
nach Möglichkeiten suchen für alle, auch die Schwächsten, ein wirklich menschenwürdiges Leben zu führen. Und das gibt uns ein Zorn aus Liebe ein. Ein Zorn aus Gott.