Kreuzerhöhung, am Wahltag

Predigt am 14.09.2025

Gott hat gewählt
Nicht das Himmelbett, sondern die Krippe.
Nicht die Rüstung aus Eisen, sondern die Menschenhaut.
Nicht die Königskrone, sondern die aus Dornen.
Nicht den Sterbeplatz im Hospiz, sondern den am Kreuz.

Gott hat sich entschieden
Er kreuzte die Liebe an, nicht die Macht.
Er riskierte die Wunden.
Er setzte sich selber aufs Spiel.

Und wählte
als irdisches Antlitz - die Menschlichkeit. (frei nach Tina Willms)

Ja, Gott hat auch gewählt. Er ist parteiisch für den Menschen, er wählt die Partei des Friedens, der Versöhnung und der Menschenfreundlichkeit. Und lässt sich das was kosten: Jesus hängt am Kreuz.

Die Menschen – seine Menschen – taten sich schwer damit. Kein Wunder: Nur Verbrecher und Aufrührer wurden gekreuzigt. Das Kreuz war eine große Schande! Und jetzt: ein gekreuzigter Gottessohn? Paulus bringt es auf den Punkt: „Wir verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für uns aber Gottes Kraft und Gottes Weisheit.“ (1 Kor 1,23)

In Rom hat man eine Wandkritzelei gefunden aus dem frühen zweiten Jahrhundert: ein Spottkreuz. Da ist einer gekreuzigt, der den Kopf eines Esels hat. Kreuzigung – eine Eselei! Verrückt, absurd. Die Leute dachten: Was für eine seltsame neue Religion, die sich von einem Gekreuzigten herleitet! Etwas davon finden wir noch heute: wenn manche Eltern in kirchlichen Kindergärten fordern, man sollte die Kreuze weghängen – so etwas Grausames sei ihren Kindern nicht zumutbar.

Die Christenheit hat dann gut tausend Jahre gebraucht, um den Gekreuzigten am Kreuz darzustellen. Es gab weithin nur Triumphkreuze, prachtvoll gestaltet, mit Gold und Edelsteinen, die den Sieg des Lebens über den Tod ausdrückten: Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel? Die Härte des Kreuzes wurde abgemildert, die Auferstehung hat den Tod Jesu dann sozusagen verkleinert, ausradiert, fast nach dem Motto: Der Tod war ja nur für drei Tage, für ein Wochenende.

Im hohen Mittelalter sah man das anders. Viele konkrete Nöte und der Tod bedrängten die Menschen. Die Pest und andere Krankheiten wüteten, die Armut drückte, der Mensch war dem Leiden ohnmächtig ausgeliefert. Die meisten starben, bevor sie 40 Jahre alt waren. Das Leben war wirklich ein Jammertal.
Und so malt z.B. Matthias Grünewald den Isenheimer Altar. Der Körper des Gekreuzigten ist ein einziger Schrei nach Erbarmen. Da stirbt einer auf die schrecklichste Weise. Der Sohn Gottes steht nicht über dem Leiden, er nimmt es auf sich. Und viele, die das Bild fassungslos betrachteten, dürften gedacht haben: Der da versteht mich. Er teilt meine Not. Er weiß, wie schwer alles werden kann. Sein Haupt: „voll Blut und Wunden“. Mein Bruder – am Kreuz.

Das Kreuz ist ein Bild auch für die Welt von heute. Heute steht das Kreuz in Gaza, im Sudan, in der Ukraine. Das Kreuz Jesu öffnet uns die Augen, damit wir die vielen Kreuze in der Welt nicht übersehen und die Leiden nicht ausblenden, die Leiden der Opfer, der Armen, der Verfolgten. Die Leiden vieler Flüchtlinge.

In der Lesung (Phil 2) steht Jesus da als einer, der auf Macht verzichtet, der nicht über Leichen geht. Am eigenen Leibe erlebt er, was Angst und Schmerzen sind und Scheitern. Nicht die Sorge um sich selbst trieb ihn an. Er erniedrigte sich, wurde wie ein Sklave und war gehorsam bis zum Tod am Kreuz. Jesus ist ans Kreuz gegangen, nicht weil er leiden wollte oder Gott Blut sehen wollte. Er starb, weil die Verhältnisse in der Welt so sind, wie sie sind. Sein Kreuz zeigt, was an Hass und Gewalt im Menschen steckt. Und es zeigt zugleich die Gewaltlosigkeit Gottes. Jesus geht nicht vor den Mächtigen in die Knie, sondern er hat gekniet neben denen, die am Boden liegen. Das Leiden ist der Preis einer übergroßen Liebe. Und so wird der Gekreuzigte zum Retter und Erlöser, zum Heiland der Welt. Gott hat ihn über alle erhöht, und jeder Mund bekennt: „Jesus Christus ist der Herr“ – zur Ehre Gottes, des Vaters.

Wir kennen das Wort Passion. Es hat eine doppelte Bedeutung – nämlich Leiden und Leidenschaft. Eine leidenschaftliche Liebe zu den Menschen, gerade zu den Armen und Benachteiligten, führt wahrscheinlich zu Enttäuschungen und Widerständen, zu Ängsten und Verwundungen. Wer wirklich liebt, leidet auch – an den eigenen Grenzen und den Grenzen der anderen.

Das Kreuz lässt mich diesen Gott der Liebe erahnen. Für diesen Gott der Liebe stand Jesus ein, bis in den eigenen Tod hinein. Er ist nicht ausgewichen, ist nicht geflohen. Er hat gelitten, um den Hass aus den Angeln zu heben. Gewaltlos hat er die Gewalt sichtbar gemacht und besiegt. Aber er hat sie nicht aus der Welt geschafft. Die Gewalt wächst und wächst. Die Liebe hat gerade heute einen schweren Stand. Wir Christen können uns um das Kreuz versammeln, um das zentrale Zeichen des Glaubens. Wir können es „erhöhen“, in unserer Mitte aufrichten und zu ihm aufschauen. Und um die Kraft bitten, der Liebe und dem Frieden zu dienen und alle daraus entstehenden Verletzungen und Leiden auf uns zu nehmen.