Unser Vater unser

Predigt am 27.07.2025

Ja, unser Vater unser. Wahrscheinlich wird kein Gebet der Menschheit so oft gebetet, gesungen, gestammelt, gemurmelt, ja auch heruntergeleiert wie das Vater unser. In mehr als dreitausend Sprachen ist es übersetzt: Pater noster, notre Pere, padre nuestro, our father who art in heaven, oder ojcze nasz in Polnisch. Auch wer schon jahrzehntelang nicht mehr in die Kirche geht, dürfte es noch kennen. Es ist sozusagen Allgemeingut – aber eben mit der Gefahr, dass es auch gedankenlos heruntergebetet wird. Darum ein paar Anregungen:

Unser Vater.
Nicht mein Vater. Gott ist nicht Privatbesitz. Unser Gott! Gott einer Gemeinschaft – der Christenheit, der Kirche, der gemeinsamen Bitten und Anliegen. Unsere Bitten sind natürlich oft ganz persönlich und privat: um Gesundheit, für die Kinder oder Enkel. Aber im Vaterunser geht es darum, dass Gott Gott ist: dass sein Reich wächst, sein Wille sich durchsetzt, dass Vergebung und Erlösung geschieht.

Vater.
Ein Bildwort für Gott. Mutter fügen heute manche hinzu, denen das Vaterbild zu einseitig ist. Vater und Mutter in einem! Und noch viel mehr! Irdische Väter und Mütter haben ihre Grenzen. Ihre Liebe stößt an Grenzen. Gottes Liebe ist dagegen grenzenlos: ein unbedingtes Interesse am Menschen, eine Fürsorge, wie man sie in der Person Jesu erlebt hat. Es heißt: Gottes Sehnsucht ist der Mensch. Und dem Menschen – uns – will Gott heilsame Wege zeigen, um das Leben zu bestehen. Und so ist das Vater-unser-Gebet von einem tiefen Vertrauen getragen: Gott meint es gut mit uns.

Vater unser im Himmel.
Nicht der Himmel der Raketen und Weltraumfahrten. Sondern der Himmel Gottes. Er wirkt auf der Erde, aber er geht in der Erde nicht auf, ist nicht in ihr eingeschlossen. Gott, der Schöpfer, steht seiner Schöpfung gegenüber, er ist nicht Teil von ihr. Der Himmel – das ist eine andere, eine größere Dimension. In den Himmel kommt man nicht mit Raketen, sondern – mit dem Herzen.

Geheiligt werde dein Name.
Wie geht denn das: den Namen Gottes zu heiligen? Das ist ja das zweite der zehn Gebote: Du sollst den Namen Gottes nicht missbrauchen. Du sollst ihn ehren und heiligen. Das tun wir, wenn wir Gottes Wegweisung folgen, wenn wir nicht wie damals die Juden bei Mose das „Goldene Kalb“ verehren, den Götzen des Geldes und des Wohlstandes, sondern allein den Gott der Liebe anbeten und ihm folgen. Und ihn ganz groß schreiben, ganz groß sein lassen in unserem Herzen.

Dein Reich komme.
Es komme der Frieden, Krieg haben wir schon genug. Es komme eine gerechte Ordnung, die Ungerechtigkeit schreit zum Himmel. Die Würde eines jeden Menschen werde geachtet, denn so kommt dein Reich auf diese Erde. Und es ist dann wie ein Vorgeschmack des ewigen endzeitlichen Reiches, das wir als Christen erhoffen – dass alles nicht in eine Katastrophe mündet, sondern in dein Reich.

Dein Wille geschehe.
Meistens interessiert nur mein Wille, unser Wille. Meine Selbstverwirklichung. Mein Vorteil. Meine Ambitionen. Das wird hier im Beten umgebogen und umgeschrieben: Dein Wille! Und der zielt immer – immer! – auf Liebe, auf Gerechtigkeit, auf Wahrheit. Auf das Gute. Auf das Kommen des Reiches.

Unser tägliches Brot gib uns heute.
Eine Bitte der Armen und Bedürftigen, d.h. der großen Mehrheit damals wie heute: Gib uns das Notwendige, das wir zum Leben brauchen: Essen und Trinken, Wärme und Nähe und Sinn. Gib es uns für diesen Tag und in dem Maße, dass es mindestens für heute reicht. Der morgige Tag wird für sich selber sorgen.

Und vergib uns unsere Schuld.
Vielleicht müssten wir hinzufügen: Hilf uns, dass uns unsere Schuld bewusst wird, denn wir verdrängen sie so oft und verharmlosen sie. Sie berührt uns nicht. Andere, Sensiblere, tragen schwer an ihr, fühlen sich belastet und wie von Gott getrennt. Und bitten im Gebet darum, dass der manchmal so schwere Stein der Schuld, den wir mit uns schleppen, aufgehoben wird. Das geht nur durch Vergebung.

Führe uns nicht in Versuchung.
Tut Gott das wirklich – uns in Versuchung führen? Unsere Neigung zum Bösen zu erproben? Diese Bitte ist, so wie sie gesagt wird, schwer zu verstehen. Als wollte Gott uns testen, ob wir die Versuchung bestehen? Ich denke bei dieser Bitte eher: Stärke uns in den Versuchungen des Lebens, dass wir die Kraft haben, das Gute zu wählen und dem Bösen zu widerstehen. Ja, erlöse uns von dem Bösen. Denn das Böse macht sich so breit in der Welt, fasziniert so viele mit seinen Attraktionen, lenkt uns ab und schaltet unser besseres Wissen, unser Gewissen aus. Und zerstört und reißt nieder, wo es doch darauf ankäme, einander zusammenzubringen und aufzubauen. Mit dem Ruf nach Erlösung enden die eigentlichen Bitten und führen uns dann in den dankbaren Lobpreis Gottes:

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit – in Ewigkeit. Amen.