Christi Himmelfahrt: nicht im Schlamm steckenbleiben

Predigt am 29.05.2025

Die Juden erzählen sich eine Geschichte, die nicht in der Bibel steht. Sie handelt vom wichtigsten Ereignis in der Geschichte Israels. Das Volk wird von Gott durch das Rote Meer in die Freiheit geführt, und das Wasser steht zu beiden Seiten der Furt hoch wie eine Wand: das Wunder aller Wunder! Aber da sind mitten in der Menge der Durchziehenden zwei Männer, Ruben und Schimon, die das Wunder gar nicht mitkriegen: Sie blicken kein einziges Mal nach oben, sondern nur nach unten - sie achten immer nur auf den schlammigen Boden, in den sie einsinken, und in dem natürlich schwer zu gehen ist. Die beiden sind sich einig: Schlamm, nichts als Schlamm! Und sie sagen: Wozu sind wir jetzt hier? Das ist ja genau dasselbe wie die Plackerei in Ägypten, wo wir Sklaven waren. Da mussten wir Ziegel aus Lehm machen und steckten den ganzen Tag im Schlamm. Was haben wir jetzt davon? Und so jammern sie den ganzen Weg über; während sie mitten im größten Wunder laufen, sehen sie nur – Schlamm.

Vielleicht lässt diese Geschichte sich auch so in der Gegenwart lesen: Da arbeiten sich Christen mit dem Blick nach unten am Schlamm der Kirche und der Welt ab: Menschlichkeiten, Machtkämpfe, Starrheit, Lieblosigkeit – und was alles so zu uns Menschen gehört. Es gibt mehr als genug, in dem wir fest stecken wie damals die beiden im Schlamm des Roten Meeres. Schlamm, der das Gehen schwer macht, der das Gemüt trübt, der herunterzieht. Schmutz, der bis zur Brille spritzt und es schwer macht, richtig zu sehen. Und während man sich dann auf diesen Schlamm und Schmutz konzentriert und sich dabei aufhält, verpasst man völlig das Wunder. Man verpasst, dass Gott in unserer Mitte ist – mitten in der manchmal so armseligen Kirche. Dass er Mensch geworden und in Jesus dem Schlamm der Welt nicht ausgewichen ist. Dass sein Heiliger Geist uns weiter sehen lässt – weit über unsere Tellerränder hinaus, die oft auch im Schlamm stecken. Weit hinaus.

Es kann auch nicht darum gehen, nur nach oben zu blicken und den Schlamm zu ignorieren. „Hans-guck-in-die-Luft“, das war eine Figur aus Kinderbilderbüchern, und er fiel auf die Nase. Den sollten wir nicht zum Leitbild nehmen. Wir müssen schon hinsehen, wo wir unsere Füße hinsetzen, um nicht im Schlamm der Welt stecken zu bleiben. Doch wir können den Schlamm nur ertragen, weil wir aus dem Blick nach oben leben.

Wie leicht stecken wir uns gegenseitig mit dem Jammern an, erzählen uns alles, was uns nicht passt, singen nur noch Klagelieder und vergessen, das angestimmte Halleluja-Freudenlied weiter zu singen, weiterzuführen – nicht nur im Gottesdienst, sondern in unserem Leben, im Alltag. Vielleicht macht das wirkliche Sklaverei aus. Wie damals in Ägypten: den Blick für das Wunder zu verlieren, den Aufblick zu Gott zu vergessen – und dann im Schlamm und „Mist“ der Welt unterzugehen.

In den Wochen der österlichen Zeit haben wir uns eingeübt in das Wunder – in das „Frühlings-Wunder“ der Auferstehung und des neuen Lebens. In das Wunder, das die Person Jesu darstellt. Jesus als Person ist das große Wunder! Wir lernten weiter zu sehen, als wir sind. Wir sehen immer das Sichtbare – bis hin zum Tod. Der ist für uns sichtbar und schmerzlich erfahrbar. Der Mensch – wie die Bibel sagt, „aus Lehm gemacht“, aus Schlamm, kehrt zum Staub zurück. Aber das macht noch nicht den Menschen aus. Gott hauchte dem Lehm, dem Schlamm Leben ein. Wir sind auch Hauch Gottes, Geist von seinem Geist, Leben von seinem Leben. Auf ihrem Weg nach Emmaus – einem langen, manchmal lebenslangen Weg - erkennen die Jünger, dass nicht das Kreuz und der Tod – das Sichtbare - das letzte Wort ist. Das letzte Wort finden wir im Geheimnis von Ostern - in Gott, im auferstandenen Christus.

Es liegt an uns, wohin wir schauen. Seit langem lehren die Kirchenväter, dass sich der Mensch in das verwandelt, was er anschaut. Wenn wir nur auf den „Schlamm“ schauen, auf das Dunkle und Schwere, wird es auch in uns „schlammig“ und dunkel und schwer. Das Helle und Lebendige anzuschauen, lässt uns selber hell und lebendig werden. Und darum gibt es dieses wunderbare Fest: Christi Himmelfahrt. Hier wird die Blickrichtung der Osterzeit sozusagen festgehalten. Wir schauen auf. Fest auf dem Boden stehend – mag er auch Schlamm sein - schauen wir hoch. Zum Himmel, d.h. zu Gott. Er hat das letzte Wort, und es ist ein Wort des Lebens, des Lebens in Fülle. Ihm gebührt der letzte und entscheidende Blick – der aufschauende Blick. Und nur so erleben wir das Wunder, das das Leben ist. Mehr als die Materie, Lehm und Schlamm. Viel mehr – nämlich Hauch Gottes.