Trainieren, üben
Trauungspredigt am 03. Mai 2025
Sie beide haben sich kennengelernt an einem Ort, der in meinen jungen Jahren kaum eine Rolle spielte, der aber heute für viele Jüngere von großer Wichtigkeit ist. Damals sagte man bei uns im Ruhrgebiet
„Muckibude“, heute sagt man „Fitness-Studio“. Dort trieben Sie Kraftsport, dort kamen Sie zwischen Laufbändern, Hantelbänken und Power Racks ins Gespräch. Das war vor neun Jahren. Sie merkten, dass die
„Chemie stimmte“; Sie merkten auch, dass Ihre Charaktere sich gut ergänzten. Ein ruhiger, technisch und handwerklich begabter Mann, der richtig anpacken kann, verband sich mit einer sehr kommunikativen,
manchmal hektischen, organisatorisch ansprechbaren Frau, die in einer Rechtsanwaltskanzlei arbeitet. Die gemeinsame Ebene war zunächst der Kraftsport, der Muskelaufbau. Es war noch nicht vorherzusehen,
dass dabei ein ganz bestimmter Muskel, der Herzmuskel, besonders trainiert wurde und einer dem anderen bald „am Herzen lag“. Nach der Coronazeit zogen Sie beide zusammen und leben seit 2022 hier im
Sauerland.
Ja, der Herzmuskel. Er war nun entscheidend: dass das Herz sich öffnet und die Liebe frei lässt, loslässt. Gleichzeitig, bei beiden. Dass A sich in B verliebt, ist ja noch nachvollziehbar. Aber dass B
das erwidert und ohne A nicht mehr sein mag, das grenzt für mich an ein Wunder! Das Wunder der Gegenseitigkeit! Dafür ein herzliches Dankeschön „nach oben“, hin zu Gott, der uns so geschaffen hat, der
diese wunderbare Möglichkeit in uns hineingelegt hat. Das Wagnis der Liebe! Wahrscheinlich ohne es zu merken, ohne es zu wissen, ahmen wir ihn in der Liebe nach. Denn Gott ist Liebe, sagt die Bibel.
Liebe, die dem anderen wohlwill, die ihn gutheißt, die sich mit ihm verbindet und verbündet. Mit ihm, dem anderen, dem Menschen. So sehr, dass Gott sich mit dem Menschen identifiziert – dass er in Jesus
ein Gesicht, Hand und Fuß bekommt. Ein Gesicht, das uns anschaut und anstrahlt. Hand, die uns stützt und hilft. Fuß, der auf uns und die anderen zugeht.
Sie haben sich einen Trauspruch gegeben, der das alles anklingen lässt:
„Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern einen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“
Das steht im Neuen Testament ziemlich hinten, in einem kleinen unscheinbaren Brief des Paulus an seinen Schüler Timotheus (2 Tim 1,7). Das ist ein richtiger Mutmachbrief. Timotheus – heute würde man Tim,
Timmy sagen – ist verzagt. Sein Glaube springt nicht auf die anderen über. Paulus schreibt ihm: Sei unerschrocken. Nimm das Wagnis an, lebe deinen Auftrag. Paulus weiß: Glaube ist ein ähnliches Wagnis
wie die Liebe. Es ist immer wie ein Sprung aus sich selbst heraus, aus der sicheren Deckung. Ein Risiko ist da, der Erfolg nicht garantiert, ein Rezept für das richtige Tun nicht vorhanden. Und so wächst
die Verzagtheit und erstickt viele Ansätze zum Mutig sein.
Wieviel Verzagtheit ist heute da! Jeder Blick in die Zeitung oder in die Tagesschau macht sie größer. Verzagtheit, Verdrossenheit, Bedenken tragen von vorne bis hinten. Paulus protestiert gegen diesen
Zustand des Gemütes. Habt Vertrauen, ruft er immer wieder. Ohne Vertrauen geht gar nichts! Ohne Vertrauen ist keine Liebe und keine Ehe möglich! Trainiert euren Herzmuskel, der das Vertrauen herein- und
herauslässt. Denn Gott gibt den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.
Geist der Kraft. Das ist doch etwas für Leute im Fitnesscenter! Kraft – nicht so sehr des Bizepses, sondern des Inneren, des Herzens. Kraft des Vertrauens. Kraft der Versöhnung, immer wieder, in jedem
Streit und Konflikt, der auch in guten Ehen vorkommt. Kraft des Glücklich Machens, nicht nur des Glücklich Seins. Kraft des Durchstehens in schweren Phasen.
Für diese Kraft muss man weitertrainieren, immer weiter üben. Mit der Hochzeit ist dies Üben nicht zu Ende, es fängt jetzt erst richtig an! Der Wille zum Training des Vertrauens und der Liebe – das
nennen wir Treue. Treue ist viel mehr, als nur auf Seitensprünge zu verzichten. Treue ist Training des „Herzmuskels“, jeden Tag von neuem. So wie wir Blumen pflegen und sie mit Wasser versorgen, damit
sie nicht die Köpfe hängen lassen, so brauchen wir jeden Tag die „Bewässerung“, Erneuerung und Erfrischung des gemeinsamen Lebens durch gute Worte und gute Taten, durch Lob und Anerkennung, durch
Hilfestellungen, durch Vertrauen und Freude. Paulus würde hinzufügen: durch Glaube, Hoffnung und Liebe.
Viel Freude am weiteren Training im Fitness-Studio Ehe! Und eine kleine Geschichte zum Schluss:
Der Junge Timmy hat sich vorgenommen, am heutigen Tag gut zu sein und anderen Freude zu machen. Aber es ist so ziemlich alles schiefgegangen. Er geht zu seiner ihm sehr vertrauten Oma und beklagt sich.
„Ich habe mich bemüht und bemüht“, sagt er, „und zum Schluss habe ich alles verpatzt!“
„Gut sein lernt man nicht so schnell“, sagt die Oma. „Man muss es üben.“
„Hast du es auch erst üben müssen?“, fragt Timmy.
„Ich übe es immer noch“, sagt die Oma. „Jeden Tag von neuem.“