Heute wird gewählt
Predigt am 23.02.2025
Heute wird gewählt. Das ist auch ein Thema für die Kirche, für den Gottesdienst. Aber ich möchte dazu nicht politisch sprechen, wie in den Sendungen im Fernsehen. Ich gehe von den liturgischen Texten
von heute aus, die – zufällig (?) – Politisches berühren.
Zunächst fand ich ein Morgengebet in dem Stundenbuch „Magnificat“:
Lippen, die Wahrheit sprechen,
Hände, die Ketten brechen,
Augen, die tiefer sehen,
Füße, die heimwärts gehen:
Segen in Fülle, Frieden und Brot,
Mut und Vertrauen schenke uns Gott ...
Worte, die ehrlich richten,
Nachbarn, die Feindschaft schlichten,
Gegner, die nicht verfluchen,
Fremde, die sich besuchen:
Segen in Fülle…
Freunde, die zu uns stehen,
Zeugen, die nichts verdrehen,
Tränen, die sich erbarmen,
Hilfe für alle Armen:
Segen in Fülle ...
Herzen, die Sehnsucht haben,
Gesten, die Hass begraben,
Taten, die Unglück wenden,
Brücken aus Menschenhänden:
Segen in Fülle …
(Helmut Schlegel)
Ich denke, diese Worte sprechen für sich – und für die Wahrheit und für den Frieden! Am ärmsten dran ist heute die Wahrheit. Dass nun die Ukraine schuld sein soll am Krieg, hat uns sicher sehr überrascht. Wenn aus
dem mächtigsten Mund der Welt so kaltschnäuzig die Wahrheit verdreht wird, dann ahnen wir, wie gefährdet und zerbrechlich die vertraute Weltordnung ist. Und dass unsere liturgischen Worte „Herr, erbarme dich …“ aus
tiefstem Herzen und tiefster Seele kommen müssen.
Nun zur Lesung (1 Sam 26). Erzählt wird der Kampf zweier Politiker. Fast ein Zweikampf, trotz aller Soldaten! Saul ist König „von Gottes Gnaden“, aber wird immer depressiver und wahnhafter. Der junge David, der
wunderbar die Harfe spielen kann, heitert ihn wieder auf; Saul macht ihn zum Heerführer und außerdem zum Schwiegersohn. Die Beliebtheitskurve im Volk für David steigt und steigt. Das haben Mächtige wie Saul nicht so
gern! Der König wird eifersüchtig und will David töten. David muss sich im Untergrund verstecken. Saul verfolgt ihn wie einen Terroristen. Und dann unser heutiger Text: David traut sich nachts in das Lager des
Königs. Alle schlafen, auch die Leib- und Nachtwächter. Saul zu ermorden wäre ein Kinderspiel. Aber David verschont ihn und nimmt nur den Speer mit, den Saul schon einmal auf David geworfen hat. Er nimmt ihn mit als
Beweis seines Großmuts, mit dem er den König leben und weiter regieren lässt.
Heute ist auch der Respekt vor dem Leben arm dran, – ein Respekt, den David hier bewiesen hat. Kriege töten tausendfach, der Terrorismus mit seinen grausamen Anschlägen ist schlimm wie die Pest, der Rechtsstaat ist
unter Beschuss, und auch das ungeborene Leben findet nur sehr eingeschränkten Schutz. Befeuert wird der mangelnde Respekt vor dem Leben durch Hassbotschaften, durch verbale Hinrichtungen, durch eine unerträgliche
Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft. David dagegen könnte uns aufmerksam machen auf den Unterschied zwischen „Feind“ und „Gegner“. Mit dem Gegner können wir streiten. Er hat wohl ganz andere Sehweisen und
Meinungen als unsereins; wir werden vielleicht nie mit ihm übereinstimmen, aber er hat alles Recht der Welt zu denken, wie er denkt.
Feindschaft steht dagegen auf einem anderen Blatt. Dem Blatt des Evangeliums (Lk 6,27ff).
Ja, da steht tatsächlich: „Liebet eure Feinde. Tut denen Gutes, die euch hassen.“ Echt krass, würden Jugendliche vielleicht sagen. Ist doch verrückt, geht doch gar nicht! Sehr gefallen hat mir eine Auslegung (von
Jakob Paula), die ich dazu im „Christ in der Gegenwart“ (23.2.25) las:
Freunde laden mich in ein asiatisches Restaurant ein. Bei einem Gericht in der Speisekarte heißt es: „Vorsicht! Ungewöhnlich scharf! Nichts für Feiglinge!“ Ein deutlicher Warnhinweis. Manchmal sollte so ein Hinweis
auch vor manchen Abschnitten des Evangeliums stehen: „Vorsicht! Ungewohnte Kost! Nur für Mutige!“ Zum Beispiel hier, bei der Feindesliebe.
Die gewohnte Kost, mit der wir leben, ist eine Art Schonkost. Wir schonen uns und die, mit denen wir Umgang haben. Sympathischen Leuten wenden wir uns zu, mit unsympathischen wollen wir nichts zu tun haben. Jesus
geht dazwischen und warnt davor: „Richtet nicht. Verurteilt nicht.“ Er traut uns zu, Schritte zu gehen über uns hinaus, über das Eingeübte und Normale hinaus, auch über die bloße Höflichkeit und die Etikette hinaus.
Jesus möchte uns auf einen Weg führen, der das Herz weit macht und die Barmherzigkeit Gottes nachahmt.
Der Artikel endet: In dem asiatischen Restaurant habe ich übrigens damals das ungewöhnlich scharfe Gericht gewählt. Beim Essen trat Schweiß auf meine Stirn, die Wangen glühten und Tränen kamen mir in die Augen. So
ist es auch mit dem Evangelium. Es bleibt nicht folgenlos, wenn man es probiert.
Wir wählen also. Wählen wir, wie die Bibel sagt, nicht den Tod, d.h. alles, was den Tod fördert und stärkt. Wählen wir das Leben!