Wie geht es dir?

Predigt am 05.01.2025

Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. (Jo 1,14)

Der verstorbene Bischof Klaus Hemmerle von Aachen war ein genialer Seelsorger. Er wurde einmal gefragt, was der Kern des Weihnachtfestes sei, und gab die Antwort: „Ich will es ganz einfach sagen – Gott fragt den Menschen: Wie geht es dir? Und um es genau zu sehen, kam er persönlich dorthin, wo der Mensch ist. Er sagte zum Menschen: Ich bleibe da, ich werde wie du. Ich werde Mensch. Ich gehe mit dir, bis in den Tod und durch den Tod bis zum Leben. So geht es dir gut.“

Gott fragt den Menschen: Wie geht es dir? Eine Frage, die wir auch immer wieder stellen, bald jeden Tag. Und meistens interessiert es uns auch wirklich, wie es dem anderen geht. Aber manchmal denken wir uns auch nicht viel dabei. Es ist dann reine Routine. Und würde der andere dann antworten: „Es geht mir nicht gut!“ ist die Verlegenheit groß. Jetzt müssen wir uns ja auf diesen Menschen einlassen, müssen nachfragen und zuhören, dabei wollten wir es so genau ja gar nicht wissen.

Wie geht es dir? Wer das fragt und wirklich wissen will, der muss sich einlassen. Darum geht es. Wenn Gott den Menschen fragt: Wie geht es dir, dann lässt Gott sich ein, dann nimmt er Anteil. Aber nicht aus dem Sicherheitsabstand des Jenseits, nicht aus sicherer Distanz, wo er von Blut und Tränen, von Schmerz und Leid nicht berührt wird. Gott lässt sich ein – indem er uns menschlich nahekommt. „Ich werde Mensch. Ich werde wie du. Ich gehe mit dir. So geht es dir gut.“

Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.

Das ist schon staunenswert genug. Er kommt so menschlich, wie es überhaupt nur geht: geboren in armseligen Verhältnissen, am Rand der Welt. Er kommt „durch die Hintertür“! Auf der großen Bühne des Weltgeschehens kommt er nicht vor. Er bleibt unbeachtet. Er hätte auch anders kommen können: unübersehbar, unwiderstehlich, im Zentrum der Macht und der Aufmerksamkeit. Er hätte die verworrenen Zügel der Welt gleich in die Hand nehmen können, mit Pauken und Trompeten, mit Glanz und Gloria. Aber so wollte er nicht kommen. Er kommt als Baby zu uns. Nicht von oben herab fragt er uns: Wie geht es dir? – sondern von unten herauf. Kleiner kann er sich nicht machen.

Eine junge Mutter schrieb unter das Foto ihres Neugeborenen: „Es gibt nichts Hilfloseres als ein neugeborenes Kind – und es gibt nichts Zuversichtlicheres als ein neugeborenes Kind.“ Wenn es eine Macht hat, so ein Neugeborenes, dann die Macht des Ohnmächtigen. Nur dadurch ist es „mächtig“, weil es sich völlig anvertraut. Gott will uns nicht vereinnahmen, will uns nicht beherrschen, will nichts erzwingen. Er fragt: „Wie geht es dir?“, indem er Anteil nimmt auf die menschlichste Weise. Unser Glaube beginnt im ganz Menschlichen, beginnt da, wo wir alle begonnen haben. Nicht mit Leistungen und Verdiensten unsererseits, nicht mit geistigen Klimmzügen, nicht mit Vorschriften und Geboten, Normen und Dogmen. Er beginnt - mit einer Geburt. Wer so menschlich kommt, wer sich so klein macht, kann angenommen werden.

Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.

Wir dürfen uns die Frage des menschgewordenen Gottes gefallen lassen: Wie geht es dir? – und eine Antwort versuchen. Ob es mir gut geht oder ob es mir nicht gut geht, ob mein Verlangen nach Leben in Erfüllung ging oder ob ich eher vom Leben enttäuscht bin, ob Freude und Hoffnung das Herz erhebt oder ob Leiden mich traurig macht. Ob ich aus dem Zusammenleben und Austausch mit Anderen Kraft schöpfe oder ob die Einsamkeit mich von anderen trennt. Wie geht es dir? Der das fragt, ist dir näher, als du es selber für möglich hältst. An seiner Krippe ist Platz für jeden.

Eines muss man wohl noch hinzufügen: Wenn es dem fragenden Gott schon nicht gleichgültig ist, wie es mir geht, dann darf es auch mir nicht gleichgültig sein, wie es den anderen geht.
Und es darf mir nicht gleichgültig sein, wie es mir geht! Manche lassen diese Frage selber nicht wirklich zu – weil sie nie ermutigt wurden, auf sich selber zu achten, sich selber zu lieben und anzunehmen, sich selber gut zu sein. Erst dann kann man andere so fragen: die Menschen unserer Umgebung, mit denen wir täglich zusammen sind und bei denen wir trotzdem so vieles übersehen und gar nicht mitkriegen, die Menschen, an die wir uns gewöhnt haben, und die uns durch diese Gewöhnung eher fremd bleiben.

Wie geht es dir? In dieser Frage berührt uns Gott. Und wir ihn.