Jahreswechsel 2024/25

Predigt Sylvestertag 2024

Das neue Jahr, das vor uns liegt, ist ein besonderes Jahr – zumindest für unsere katholische Kirche. Papst Franziskus hat es zum „Heiligen Jahr“ erklärt. Das wird alle 25 Jahre gefeiert, besonders in Rom, wo 2025 rund 30 Millionen Pilger erwartet werden. „Pilger der Hoffnung“ sollen sie sein, hofft der Papst: Menschen, die sich nicht von schlechten Erfahrungen leiten lassen, sondern von guten Erwartungen. Franziskus hat schon die ansonsten zugemauerte Heilige Pforte in der Peterskirche geöffnet und durchschritten, ist als erster hindurchgegangen, auch in dem größten römischen Gefängnis hat er das getan. Man kann nur wünschen, dass die ganze Kirche selber da durch geht, dass sie befreit wie durch ein Tor geht. Dass die Kirche sagt: "Hier sind wir und öffnen uns und lassen nichts draußen, wir nehmen jeden mit auf diesem Weg. Und wir hören auf, Unwichtiges zu Wichtigem zu machen. Wir befreien uns aus der Angst und wachsen immer mehr in die Hoffnung hinein – als Pilger, als Menschen unterwegs, die nicht auf der Stelle treten.“

Ob so ein Großereignis auch in uns selber – hier im Sauerland – Früchte trägt? Ob das kommende Jahr auch für uns zum „heiligen Jahr“ wird? Dass wir bis dahin zugemauerte Türen hoffnungsvoll und zuversichtlich durchschreiten und wirklich näher kommen zu den anderen, zu uns selbst und in alldem zu Gott?

Der SPIEGEL, der ja nicht gerade ein Kirchenblatt ist, hat dies Verlangen nach Hoffnung auch herausgespürt und stellt in seinem Heft zum Jahreswechsel „100 Menschen vor, die Hoffnung machen“. Einer davon ist ein sehr bekannter Philosoph, Byung-Chul Han, ein Koreaner. Er schreibt u.a.: „Nur in der Hoffnung sind wir unterwegs. Sie gibt uns Sinn und Orientierung. Überlasst euch nicht dem lähmen den Gefühl der Angst! In der Hoffnung gibt es ein „Wir“ und nicht bloß das großgeschriebene „Ich“. Hoffnung, Glaube und Liebe sind miteinander verwandt. Sie sind alle drei dem Anderen zugewandt. Die Hoffnung macht die Welt hell…“

„In der Hoffnung gibt es ein Wir.“ Für mich gehört zu diesem Wir die Kirche. Auch und gerade sie ist „dem Anderen zugewandt“: Gott als dem ganz Anderen, der uns allen voraus ist – und dem Anderen, dem Nächsten, dem Mitmensch. Und so entwickelt sie eine „Trotzkraft“, wie die aus Schalksmühle stammende Theologin Christina Brudereck das nennt – Trotzkraft, eine Kraft, die sich dem Angstmachenden nicht überlässt, sondern „trotzt“, etwas dagegen setzt, die auf Veränderung drängt, die auf Gelassenheit und Hoffnung setzt. Trotz allem.

Ist die Kirche ein Grund zur Hoffnung? Auf den ersten Blick ganz sicher nicht. Zahlenmäßig sieht es schlecht aus bei uns. Weniger Gläubige, weniger Priester und Hauptamtliche, weniger Gebäude und Kirchen. Mehr Misstrauen, Skepsis und Ablehnung gegenüber dem christlichen Glauben. - Und dennoch!

Zwei Gottesdienste der letzten Wochen haben mich nachdenklich gemacht. Der eine war in Magdeburg und vereinte die Christen und die Stadtbevölkerung zu einer großen Trauerfeier. Wieder war Furchtbares geschehen – ich brauche es nicht zu erzählen, das Wort Magdeburg reicht. Man ist zunächst sprachlos und ohnmäch-tig und hat keine Worte. Das Schreckliche ist übermächtig. Aber dann finden viele Menschen zusammen, drinnen und draußen in der Kirche, sie wollen zusammenhalten und suchen nach Worten – nicht im Hass, sondern in der Trauer. Es wird gebetet, und es wird gesungen, das Wort Gottes begegnet der Trauer. Und viele spüren: Das ist die angemessene Sprache, das sind die angemessenen Bilder und Lieder. Hoffnung- und Trost, trotz allem.

Der andere Gottesdienst war drei Wochen vorher in Notre Dame in Paris. Die Franzosen sind nicht mehr besonders christlich und religionsfreundlich, aber Notre Dame haben sie tief im Herzen und in der Seele verankert. Der Brand der Kirche vor 5 Jahren hat sie sehr verstört und die Wiedereröffnung am 7. Dezember hat sie geradezu beglückt – das Innere der Kirche von strahlendem Glanz und einer Schönheit, die so manchem wie ein Vorgeschmack des Himmels erscheint. Man ahnt da Ewigkeit. Die Orgel spielte, alle Register wurden gezogen, es war ein Fest für die Ohren und ein Fest für die Augen und ein Fest für das Herz und für die Seele, die Gott sucht und ihn in den Aufgeregtheiten und der Schnelllebigkeit unserer Zeit kaum mehr finden kann.

Darum glaube ich, dass die Kirche ein Grund zur Hoffnung bleibt: weil sie auf Gott verweist und von ihm nicht ablässt – dem eigentlichen und wahren Grund der Hoffnung. Weil sie Worte aufbewahrt und ausspricht: das Wort Gottes, das heilen und trösten und uns in aller Verwirrtheit und Verdrehtheit der Zeit stärken und aufbauen kann. Weil sie nicht nur auf Wahrheit gerichtet ist, sondern auch Schönheit im Schaufenster hat (siehe: Notre Dame!). Weil die christlichen Werte, wie Versöhnung oder Nächstenliebe, niemals veralten, sondern wir sie so dringend brauchen, um einer einsamen und erbarmungslosen Welt zu entgehen. Weil es in diesem brüchigen, begrenzten, verletzlichen Leben immer noch eine Hoffnung gibt: ein Licht in der Dunkelheit. Diese Hoffnung muss aber ausgesprochen werden – und wir dürfen sie feiern. Immer wieder. Hier und jetzt. Und auch im neuen „heiligen“ Jahr.