Beerdigungspredigt

02.09.2024

Wir haben gerade ein Lied von Herbert Grönemeyer gehört – mit dem Titel „Der Weg“ – ein sehr berührender Text über seine verstorbene Frau. Herbert Grönemeyer findet starke Bilder:
Es war ein Stück vom Himmel, dass es dich gibt… Du hast jeden Raum mit Sonne geflutet, hast jeden Verdruss ins Gegenteil verkehrt… hast vom goldenen Balkon die Unendlichkeit bestaunt… hast ihn nie verraten, deinen Plan vom Glück…

Betrachten wir das Bild von KM hier vorn in der Kapelle. JM und KM sind in Madeira, sind gewandert, auch auf die Berge, das Foto auf der Todesanzeige zeigt Stufen des Wegs zu einem Berggipfel hin. Der Weg geht durch Nebel und Wolken, man kann nicht viel sehen, aber auf einmal reißt der Nebel auf, helles Licht strahlt auf, der Raum der Berge ist mit Sonne geflutet, und KM, siehe Bild, ist tief bewegt von der Schönheit der Natur. Vom goldenen Balkon der Bergspitze hat sie die Unendlichkeit bestaunt, Himmel und Erde. Sie war ein Mensch, der das Staunen nie verlernt hat, das Staunen, in dem ja die Kinder Weltmeister sind.

Einmal ist sie aus Versehen auf einen Schmetterling getreten, der dann tot dalag. Sie war danach untröstlich. Staunen und der Respekt vor der Schöpfung gehörte zu ihrer Weise, die Welt zu sehen und zu erfahren. Staunen und Dankbarkeit für ihr Leben. Warmherzigkeit. Und eine große Fähigkeit zur Freude. Sie sah das Strahlen der Sonne in der Welt – und sie strahlte selber. Aber nicht auf eine glamouröse, aufdringliche Weise, sondern still und bescheiden. Und so hat sie jeden Raum mit Sonne geflutet. Es gibt Menschen, die eine „strahlende Existenz“ haben; wenn man sie erlebt, geht es einem besser. So wurde KM von vielen empfunden.

Du hast jeden Verdruss ins Gegenteil verkehrt… Dem Verdrießlichen, der schlechten Laune, der Abneigung gab sie keinen Raum. Wir sehen dich lächeln, schreiben Freunde in einer Todesanzeige. Ihr Mann sagt: In den 25 Jahren unseres gemeinsamen Lebens haben wir uns kein einziges Mal wirklich gestritten.

Der gute Gott hat KM ein reiches Inneres geschenkt. Wie war ihr Inneres gefüllt? Füllung ist bei Menschen oft das eigene Ego, das sich immer breiter macht: die individualistische Persönlichkeit. Das großgeschriebene Ich. KM hatte eine ganz andere Füllung. Ein Wort dafür reicht aus: Liebe. Selbstlosigkeit.
Selbstlos sein? Da ist man doch der Dumme, meinen viele. Da verliert man sich doch. KM zeigte, dass sie sich darin gewinnt, dass sie sich darin findet. Und sie hat dabei Jesus auf ihrer Seite, bewusst oder unbewusst. Die Evangelien sind voll von Sätzen Jesu, die nicht die Selbstbehauptung preisen, sondern die Selbsthingabe: Wer sein (egozentrisch verstandenes) Leben verliert (und hinter sich lassen kann), wird es gewinnen.

Der liebste Mensch der Welt hat mich, hat uns verlassen müssen, schreibt JM in der Todesanzeige. Und mündlich fügt er hinzu: Sie war wirklich selbstlos, hat sich in allem hinten angestellt, hat immer das Glück der anderen gesucht. Alle sollten zufrieden sein, das machte ihr Glück aus. Die Angehörigen erzählten von typischen Situationen, etwa von Pfingstausflügen im Freundeskreis, für die KM immer Taschen mit Lebensmitteln gepackt hatte; sie wurde dann gerne geneckt, ob sie nicht diesmal die Gummibärchen vergessen hätte.

In solchen Kleinigkeiten zeigte sich ihre Aufmerksamkeit und Liebe – aber was ist schon klein, und was ist groß? Ein „Sektchen“ zur Aufmunterung der Freundin. Tägliche Telefonate mit ihrer Schwester Britta, die ihr sehr nahestand. Die letzte beim Aufräumen. Treue Sorge und viel zeitlicher Einsatz für ihre Eltern, die schon im hohen Alter sind - die Mutter im Altenheim. Verliebtheit wie am ersten Tag, vor 25 Jahren, mit ihrem Mann. Lange waren die beiden Kollegen und nicht mehr, dann „funkte“ es kräftig, und es entwickelte sich eine schöne Seelenverwandtschaft. Man sieht, wie die beiden händchenhaltend durch die Stadt gehen, auch mit fast 60 noch; sie fahren zusammen zur Arbeit, der erste wie der letzte Gedanke gilt dem Partner. Kümmererin am Arbeitsplatz, früher, ab 1990, beim EGC, dann ab 2005 fast zwanzig Jahre im Rathaus, im Fachdient für Rat und Bürgermeister. Managerin für Beschwerden, die bei ihr in guten Händen sind. Seltene Doppelkompetenz: im Fachlichen und im Menschlichen, in den Gefühlen. Alles kann Anlass zur Freude werden: die Altweiberfasnacht und der Karneval genauso wie Konzerte á la „Krautrock“ oder Musicals. Alles kann auch zum Fest werden, der pure Alltag wird bei ihr festlich. Die üblicherweise deutliche Trennung von Berufs- und Privatbereich, von work and life, ist bei ihr sehr abgemildert. Ein Mensch ist immer ein Mensch, nicht nur zuhause.

Und darum ist jetzt die Trauer so verbreitet und groß. Es gab nicht viel Zeit, sich auf ihr Ende einzustellen. Nur sieben Wochen, in denen sie – völlig unvorhergesehen – an einer sehr seltenen und sehr brutalen Autoimmunerkrankung litt, vor allem im Klinikum in Essen vorzüglich behandelt wurde, weithin im künstlichen Koma war. Eine eigene Haltung zu dem, was mit ihr passierte, konnte sie so nicht zeigen oder aussprechen. Sprechen können nur wir, können die Hinterbliebenen, und es reicht im Grunde ein Wort: Danke. Danke für dich, für dein Leben, für dein Beispiel, für die täglich gelebte Liebe. Für deine Weise, den Himmel schon auf die Erde zu holen.