Kintsugi – Narben aus Gold

Gedanken am 04.07.2024

„There is a crack in everything.
That‘ s how the light gets in.“
Es gibt einen Riss in allen Dingen –
So kommt das Licht herein.

(Leonhard Cohen, Anthem)

Perfekt!,
sagen die jungen Leute oft.
Perfekt: vollkommen, makellos,
ohne Störungen und Schatten.
Der Körper wird zum Schauplatz
des Perfekten: schlank und rank
und durchtrainiert,
Gesichter ohne Falten,
Schönheit aus der Tube.
Schminke be-schön-igt.
Wunden und Narben
dürfen nicht sein …

Wahrheit geht anders:
Der Auferstandene erscheint
mit seinen Wundmalen.
Thomas darf „seinen Finger
in die Wunde legen“.
Keine Retuschen nötig!
Denn wir sind fragil
und dürfen es sein.
Wir sind zerbrechliche
Gefäße, schreibt Paulus.
Scherben bringen
wenn nicht Glück,
so doch Heil.
Narben sind Augen,
sie lehren uns sehen.
Sie gehören zum
„Riss in allen Dingen –
so kommt das Licht herein.“

Ich lobe mir Kintsugi,
die Kunst der Japaner.
Wenn Gefäße zu Bruch gehen,
vergolden sie
die Bruchstellen.
Sie werden geadelt.
Sie dürfen sein.
Perfektionszwang:
Nicht geraten. Nicht nötig.