Wüstentage

Predigt am 18.02.20243

In jener Zeit trieb der Geist Jesus in die Wüste. Jesus blieb vierzig Tage dort und wurde vom Satan in Versuchung geführt. Er lebte bei den wilden Tieren, und die Engel dienten ihm. (Mk 1,12-13)

„Ich brauche die Wüste,“ sagt der Besucher nach dem ersten Glas Wein. „Ich brauche Abstand. Ich muss einiges in meinem Leben klären.“
Da braucht also einer den Abstand, das Alleinsein. Die Konzentration und Sammlung, nicht die dauernde Ablenkung. Das „ganz Andere“, nicht das Übliche und Gewohnte. Eine Wüstenzeit, um zur Aufklärung über sein Leben zu kommen. Und wo sich dann vielleicht sogar die Wohnungen Gottes auftun – eines Gottes, der im Lärm nicht zu finden ist. Aber in der Stille der Wüste könnten Türen aufgehen, da könnte er sich zeigen.

Da braucht einer, mein Besucher, den Abstand, sucht ihn. Freiwillig, bewusst. Wir alle haben noch den verordneten Abstand in Erinnerung: in Coronazeiten. Ein, zwei Jahre lang! 40 Tage, wie Jesus – das mag ja noch gehen. Aber ein ganzes Jahr Fastenzeit? Das wurde man leid! Ohne die Nähe von Menschen! Diese Corona-Fastenzeit war eine lange Wegstrecke, in der wir so vieles und so viele vermissten. Was unser Leben ansonsten reich und interessant macht, war ziemlich eingeschränkt. Die Kontakte, die Anderen. Da gingen die Seelen mitunter auf Grundeis; das eigene Innere meldete sich – vielleicht als gähnende Leere. Als Chaos. Vielleicht mit dummen und wirren und schmutzigen Gedanken. Vielleicht zugemüllt mit seichter Medienberieselung. Das ist das Elend des Menschen, schrieb der Denker und glühende Christ Blaise Pascal schon vor 400 Jahren, dass er nicht mit sich allein in seinem Zimmer sein kann.

Dennoch: Geistlich müssen wir durch solche Wüsten-Erfahrungen hindurch. Nur immer gesättigt oder gar übersättigt finden wir eher nicht den Weg zu Gott. Die leeren Hände gehören zur Wüste. Die leeren Hände, die wir ausstrecken in Richtung Jesus, in Richtung Gott: Herr, sei du mir Halt! Hole mich, hole uns aus dem Abgrund! Lass du mich in der Wüste nicht allein! Gott um Gott zu bitten, nicht um irgendwas, das ist typisch für die Wüste.

Hören wir ins Evangelium. Jesus steht da zwischen Geist und Satan, zwischen Engeln und den wilden Tieren, den Bestien, dem Animalischen auch in uns. Dazu gibt es ein schönes Zitat des heiligen Franz von Sales in seinem Hauptwerk „Philothea“. Der war im 17. Jahrhundert Bischof von Genf – ein weiser, sehr sympathischer, humanistischer Menschenkenner. Er schreibt im Blick auf die „wilden Tiere“: „Wölfe und Bären sind gewiss gefährlicher als Mücken, sie plagen, ärgern und reizen uns aber bestimmt nicht so zur Ungeduld. Es ist nicht schwer, sich eines Mordes zu enthalten; schwerer ist es, die kleinen Versuchungen zu unterdrücken zu Zorn, Argwohn, Eifersucht, Neid, Narreteien, Eitelkeit, Doppelzüngigkeit und Geziertheit, unanständigen Gedanken. Das sind die ständigen Plagen auch solcher Menschen, die am meisten zum frommen Leben entschlossen sind.“

Das heißt: In unseren Wüsten und in unserem Leben sind nicht die lebensgefährlichen „Wölfe und Bären“ das wahre Problem, sondern die Plagegeister und Störenfriede sind „die Mücken“. Es ist ja wohl so: Wir begehen, hoffe ich zumindest, keinen Mord, planen kein Attentat, überfallen keine Bank und tun auch sonst nichts richtig Schlimmes. Aber die kleinen Versuchungen, die „Mücken“, surren um uns herum, plagen und stechen uns. Sie können im Alltag sehr lästig sein! Und uns sehr von unserem Weg in Richtung Gott abbringen.

Das Zitat des heiligen Franz von Sales lädt uns jetzt für die Fastenzeit ein, dass wir aufmerksam auf die „Mücken“ achten sollten: auf die kleinen alltäglichen Fehler, die sich aber zu Großem, zur Plage, zur echten Störung des Friedens summieren können. Geringschätzige Äußerungen über andere; eine Lüge oder Halbwahrheit, um sich einen Vorteil zu verschaffen; ein bisschen Pornografie; eine unterlassene Hilfeleistung; ein bisschen zu viel feige Anpassung an Stammtischmeinungen; Mitlachen bei menschenverachtenden Witzen; eine Prise Eifersucht und Neid. Solche Dinge, die wir womöglich als Kleinigkeiten ansehen, können dann aber schon einen großen Mückenschwarm bilden – und es ist gar nicht so einfach, diese lästigen Viecher wegzubekommen. Sie haben die Neigung, schnell zurückzukehren.

Jesus hat sich in der Wüste auf sein öffentliches Wirken vorbereitet. Der Heilige Geist ist schon im Spiel, aber der Versucher auch. Beide Seiten der Medaille! So ist das Leben, so ist die Wirklichkeit. Und so, heißt es im Evangelium, ging Jesus nach Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt! Das Reich Gottes ist nah! Kehrt um und glaubt an das Evangelium!

Da möge jeder selbst für sich entdecken, wie die Wüste für ihn fruchtbar wird, und wie schön der Weg zu Gott – „die Umkehr“ – sein kann.