Klemens Laumann +

Predigt am 25.01.20243

In der heutigen Lesung (Sprüche 4) ging es um die Weisheit, die von den Älteren (den „Vätern“) den Jüngeren (den „Söhnen“ und Töchtern) angeboten und vorgelebt wird. Diese werden zur Weisheit „hingelockt“, sie wird ihnen nicht übergestülpt, sondern „schmackhaft gemacht“. Weisheit ist nicht Lexikonwissen, Auskunft von Wikipedia, Faktenwissen. Weisheit ist Lebenswissen, das durch die Erfahrung gereift und bewährt ist, Wissen, was zu einem guten erfüllten Leben führt. Weisheit ist ein kostbares Gut! In der Bibel sind vor allem die „Väter“ und die „Lehrer“ Träger der Weisheit, sind es die Menschen, „deren Leben einem Sonnenaufgang gleicht: es wird heller und heller, bis es lichter Tag geworden ist“.

Klemens Laumann war so ein Mensch des „Sonnenaufgangs“, er war Lehrer und Vater zugleich, er konnte zur Weisheit „hinlocken“, und er hatte in seiner Familie ein reiches Betätigungsfeld an 5 Söhnen und 12 Enkeln, dazu noch zwei Urenkeln, die alle mit ihrem Ahnherrn im angeregten Gespräch waren. Denn das ist der Ort der Weisheit: das Gespräch, der Dialog, nicht das Diktat, nicht: So-hast-du-das-zu-machen.

Klemens Laumann stammt aus einer großen kinderreichen Bauernfamilie im Münsterland. Nicht der schlechteste Ort, um Weisheit fürs Leben zu lernen! Im Gymnasium des Ordens der Herz-Jesu-Priester in Handrup, dem Collegium Leoninum, wuchs in ihm die Liebe zur Bildung, die er im Studium an den Universitäten Münster und ab 1961 in Freiburg vertiefte. Ab 1965 unterrichtete er an Gymnasien quer durch die Republik: in Freiburg und Waldkirch in Baden, dann auf der Insel Langeoog an der Nordsee, schließlich 1973 bis zur Berentung 2002 am Bergstadtgymnasium in Lüdenscheid, mit noch einem kleinen Nachschlag von 4,5 Jahren zur Aushilfe am Gymnasium Altena. Er konnte es einfach nicht lassen.

Interessant: die Fächer, die er unterrichtete – Latein und Religion. Fächer, von denen mancher sagt: Brauchen wir das noch? Wem nutzt so etwas denn? Dann doch lieber Design und IT oder sonst was Aktuelles! Klemens Laumann aber vertrat mit großer Überzeugungskraft seine Fächer, weil er in der Antike und im Glauben einen Riesenschatz des Nachdenkens über Gott und die Welt (im wörtlichen Sinn!) entdeckte, weil er sich an der Wiege einer Kultur fühlte, die bis heute für uns prägend ist – und weil hier die großen Fragen gestellt werden, die wir nicht verdrängen und vergessen sollten, weil uns nur noch das Aktuelle und direkt Nützliche in Beschlag nimmt.

Wohl mehr als 30mal hat er Schulfahrten nach Rom geleitet, die geradezu legendär waren. Die antike Welt kam den Schülern anschaulich nah genauso wie das christliche Erbe. Den Schülern fiel es hinterher nicht ganz leicht, S. Maria Maggiore, S. Maria in Trastevere oder S. Maria del Popolo auseinanderzuhalten. 1978 sahen die Lüdenscheider sogar den weißen Rauch, der die Wahl von Johannes Paul II anzeigte.

Klemens war ein sehr beliebter und geschätzter Lehrer, der bis zuletzt Freude am Unterrichten hatte, sehr belesen und hochgebildet war und mit großem Engagement sich gerade um schwache Schüler und Schülerinnen kümmerte. Seine sehr bedächti-e und behutsame Art, gepaart mit Humor und ja, Weisheit, ließ Vertrauen wachsen. Einer, der ihn gut kannte, sagte: „Durch kleine Gesten konnte er einem das Gefühl geben, besonders zu sein.“

Im Privaten und Familiären war es natürlich ähnlich. 1963 kam Agnes nach Freiburg, um dort an der Pädagogischen Hochschule zu studieren. 1965 heirateten die beiden. 2015 konnten sie ihre Goldene Hochzeit feiern. In den 60er und 70er Jahren kam ein Sohn nach dem anderen auf die Welt: 66, 69, 70 die drei Älteren, 78 und 80 die beiden Jüngeren. In dieser männlichen Übermacht konnte sich Agnes gut behaupten. Die beiden führten eine liebevolle Ehe, bei aller Unterschiedlichkeit – Agnes konnte sehr kämpferisch sein – fanden sie immer einen Ausgleich und einen Kompromiss.

Das Jahr 1973 war für die Familie sehr markant. Umzug nach Lüdenscheid, in ein fremdes Terrain – außer einem befreundeten Ehepaar, den Müllers, war wirklich alles fremd! Start im Gymnasium, Start auch im Gemeindeleben.

Die erste Messe in St. Peter und Paul blieb den Laumanns unvergesslich. Sie kamen zu spät, da die damals drei noch recht kleinen Söhne zuhause herumklüngelten. Der Pastor Theo Grote war schon bei der Predigt, in der er, wie gewohnt unverblümt, mit den passiven lauen Christen haderte. Als die Laumanns die Kirche betraten, hörten sie Theo Grote gerade rufen: „Der Herr mag nicht die Laumänner!“ Das hat die Familie aber nicht daran gehindert, sich auf die Dauer in St. Petrus und Paulus sehr heimisch zu fühlen.

Klemens und Agnes waren bei den neu entstehenden Familienkreisen von Anfang an dabei und haben diese Jahrzehnte hindurch mitgeprägt. Klemens war im Pfarrgemeinderat aktiv, lange auch als Vorsitzender. Die Kirchgänger kannten ihn als Lektor und Kommunionhelfer und als Mitglied der Choralschola, der mit einer sehr schönen Singstimme den Gregorianischen Choral pflegte. Seine tiefe Religiosität und Kirchenbindung war immer verbunden mit einer großen Offenheit für anderes Denken, für andere Argumente und Erfahrungen. Es muss für die Söhne sehr schön gewesen sein, einen Vater zu erleben, der eine klare Haltung hatte und nicht hin und her schwamm, aber eine Fähigkeit zur kritischen und offenen Diskussion besaß und für sie ein wenig die Rolle des Sokrates einnahm.

Als ich am Montag das Vorgespräch mit Agnes, Dominik und Severin führte, kamen am laufenden Band Whatsapp-Meldungen von den weiteren Brüdern, den Schwiegertöchtern und Enkelkindern. Sie wollten sich am „Porträtgemälde“ des Vaters und Großvaters beteiligen, und ich habe fleißig mitgeschrieben.
Es war zu spüren, wie stark der Zusammenhalt zwischen diesen 30 Menschen ist: von „bedingungsloser Liebe und Unterstützung“ war die Rede, von einer „klaren und konsequenten Haltung und Werteorientierung“, die sich aber nie anderen aufdrängte und sie „bekehren“ wollte. Seine „ruhige Besonnenheit“ wurde gelobt, sein „diplomatisch-empathisches Wesen“, seine „Großherzigkeit“, seine erfolgreiche Latein-Nachhilfe, aber auch eine andere Seite von ihm beschrieben, eine spielerische: „mit den Kindern Hütten bauen“, Kartoffeln ernten, Holundersekt ansetzen, jeder Nachmittag bis zur Tagesschau freigehalten für die Kinder, abendliche „Schmuserituale“ und frei erzählte Piepmäuschengeschichten auf der Bettkante, das Bettritual „Hukastimpe“, das jetzt nur für die Eingeweihten verständlich ist, und am Schluss das Lied „Bevor des Tages Licht vergeht“ und der Segen für die Nacht. Der Oberstudienrat für Latein war auch ein phantasievoller „Kindergärtner“.

Als Klemens Laumann 70 wurde, beschloss er, nun alt zu sein. Das Fahrrad wurde weggestellt, die Einbußen des Alters wurden betont. Immerhin war noch vor zehn Jahren ein großer Umzug möglich, nach 37 Jahren in Wettringhof zogen die Laumanns um in die Hotopstraße, in eine größere Nähe zur Stadt. Man sah oft Klemens die Stadt durchqueren. Erinnerungslücken stellten sich ein und mussten ertragen werden. Das Alter war auch eine Last. Vor ein paar Monaten zog Klemens aber ein dankbares Fazit: „Ich habe ein wunderschönes Leben gehabt!“ Und im Blick auf seine Familie: „Das ist ein großes Geschenk Gottes!“ Und dann noch, etwas leiser: „Aber es ist jetzt genug.“

Die letzten Tage verbrachte Klemens im Krankenhaus Hellersen. Am letzten Tag gab ihm die Krankenhausseelsorgerin Petra Schulz den Sterbesegen. Beim Amen hörte er auf zu atmen. Amen heißt: ja, so soll es sein.

Für mich ist Klemens Laumann ein Beispiel, wie viele Gesichter und Formen die Weisheit in einem einzigen Leben hat. Die Weisheit, ein Licht, das Gott in Menschen entzündet. Und das viele andere hell und froh macht.