In der neuen Kirche

Predigt am 03.12.2023


Heute sind wir zum ersten Mal in der renovierten Friedhofskapelle, die fortan unser Gottesdienstort in Nachrodt sein wird.

Warum feiern wir noch Gottesdienst? Meine Antwort heute am 1. Advent lautet so:
Unser Leben gehört Gott. Er ist der Herr. Wir glauben, ahnen oder wissen das und kommen zusammen, um diesen Gott zu feiern.
In der Lesung (Jes 63, 16-19 und 64,3-7) begegnet uns dieser Glauben in Reinform. Und zwar: nicht drohend, nicht autoritär, nicht: Ihr müsst. Sondern: Einladend, werbend – Ihr dürft. Der Herr ist der Vater, der Erlöser: Er möge doch „den Himmel zerreißen“, ihn öffnen, um uns nahe zu sein – uns, „dem Werk seiner Hände“.

Was bedeutet das – zu glauben, dass unser Leben Gott gehört?
Das Christentum stellt diese Frage schon bei der Geburt. Khalil Gibran, ein Dichter des Orients, schreibt den Eltern: „Eure Kinder sind nicht eure Kinder. Sie kommen durch euch, aber nicht von euch. Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht.“ Und in jeder Taufe bekennen Eltern: Unser Kind gehört Gott! Es gehört zwar zu unserer Familie, aber es gehört nicht uns. Jedes Kind und jeder Mensch ist eine Leihgabe Gottes an uns. „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein.“ So heißt es auch bei Jesaja. „Du bist mein!“ Manchen mag das allzu besitzergreifend klingen, wie eine Freiheitsberaubung. Aber es ist etwas ganz anderes. Es ist eine Liebeserklärung! Liebeserklärung Gottes an die Menschen – so wie Liebespaare das Wörtchen „mein“ gebrauchen: Mein Schatz – und durch dieses kleine Wörtchen „mein“ weiß Gott nicht ihre Freiheit bedroht sehen.

Ja, und dann werden wir erwachsen. Und damit könnten wir vergessen, dass wir „Kinder Gottes“ sind und bleiben. Das Leben führt uns oft in die Nähe der Abgründe. Ein deutscher Terrorist, der eine entsetzliche Kindheit hatte, sagte kürzlich in einem Interview: „Ich wusste auf jeden Fall immer ganz genau, wozu ich nicht gehören will!“ Das kann so kommen: nicht mehr wissen, wozu man gehört – aber genau wissen, wozu man nicht gehören will! Weil man konfrontiert ist mit dem wirklich Bösen, mit der Gewalt, mit den Kräften, die den Tod bringen.

In unserer Jesaja-Lesung haben die Leute in Israel das auch erfahren: „Unreine sind wir alle geworden, unsere ganze Gerechtigkeit ist wie ein beflecktes Kleid. Niemand ruft deinen Namen an, keiner rafft sich dazu auf, festzuhalten an dir.“

Niemand ruft deinen Namen an. Niemand fühlt sich dir zugehörig. Das klingt so modern, aber das war schon die Situation in biblischen Zeiten. Das gab es schon vor 2500 Jahren, in der Zeit des Jesaja. Aber damals war es ein Anlass zur Besinnung. Was passiert mit einem Volk, das seinem Gott nicht mehr folgt? Was kann das Volk der Macht des Bösen entgegensetzen? Jesaja stellt glasklar diese Gottesferne fest. Aber er begnügt sich nicht damit, sondern wirbt eindringlich darum, sich diesem Gott wieder vertrauensvoll zuzuwenden. Die alte Liebe wird wieder aufgeweckt!

Gehören wir Gott – heute? Für die meisten Menschen, auch Christen, werden ehrlicherweise andere Zugehörigkeiten im Vordergrund stehen. Ich gehöre der Familie. Ich gehöre der Arbeit. („Nur Arbeit war sein Leben“, heißt es manchmal in Nachrufen). Jetzt, in einer Todesanzeige, gehörte einer dem BVB Dortmund – oder manchmal auch Schalke. Oder welchem Fanclub auch immer.

Wem gehört man dann im Tod? Da lässt man ja solche Zugehörigkeiten zurück. Sie sind „auf Zeit“. Sie sind nicht ewig. Sie tragen nicht über die Schwelle des Todes.
Wenn ich einmal sterbe, möchte ich vorher noch beten können: „Jesus, dir leb ich. Jesus, dir sterb ich. Jesus, dein bin ich. Im Leben und im Tod.“

Damit sage ich auch: Ich gehöre jetzt nicht dem Tod! Auch wenn alles so aussieht, dass der jetzt das letzte Wort hat, dass der mich jetzt verschlingt. Auch wenn vieles so aussieht, als sei der Tod der Herr der Welt – der Tod und seine Boten: das Böse, die Gewalt, der Krieg, das Elend und Leid.

Nein: so nicht – das glauben und hoffen Christen. Sehr treffend hat es der Dichter und Pfarrer Albrecht Goes in einem kurzen Gedicht mit dem Titel „Grabschrift“ ausgedrückt:

„Mein bist du,“ spricht der Tod – und will groß Meister sein.
„Umsonst – mir hat mein Herr versprochen: Du bist mein!“


Das ist genau die Hoffnung von Christen: Der Tod, der „große Meister“, der alle Menschen unter seine Herrschaft bringt, ist nicht der Größte! Der „kriegt uns nicht“, dass er uns auf ewig hätte! Da ist einer noch größer! Einer, der den Tod besiegt hat: Jesus Christus. Und der steht für Leben, für das Leben in Fülle.

Wem soll mein Leben gehören? Ihm, Jesus Christus, möchte ich zugehören. „Dein bin ich. Im Leben und im Tod!“
Wem gehört unser Leben? Irgendwann, auf jeden Fall am Ende, müssen wir das selber entscheiden.