Wohin mit dem Unkraut?

Predigt am 23.07.2023


Jetzt ist die Zeit des Wachsens und Reifens. In den Gärten blühen die Blumen, aber leider schießt auch das Unkraut hoch. Als ich noch im Pfarrhaus in Lüdenscheid wohnte, erinnerte der Garten dort an einen Urwald. Das Unkraut schoss aus allen Steinritzen hoch. Ich hatte immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich aus dem Fenster in den Garten guckte.

Unkraut - eine Plage für Bauern und Gärtner. Jesus kennt das. Er kam ja auch vom Lande. Und so wird das Unkraut zu einem wichtigen Bild in seinen Gleichnissen. Was steckt dahinter?

Manchmal spürte Jesus es ganz deutlich, dass die Saat seines Wortes überhaupt nicht in den Herzen der Menschen ankam. Die Gegenmacht wurde immer stärker: eine Feindschaft, die alles auslöschen wollte, was er lebte und lehrte und tat. Ja, auch sein Leben sollte ausgelöscht werden! Seine Gegner kamen zusammen in ihren dunklen Ecken, in ihren Sicherheitsbüros und in langen nächtlichen Beratungen, um gegen ihn Material zu sammeln. Jesus ahnte das. Vielleicht deshalb erzählte er noch einmal das Gleichnis von der Saat des Wortes Gottes, um seine Gedanken und Gefühle zu klären.

Aber jetzt ging es nicht mehr um die Dornen und die Vögel und um den felsigen Grund (wie am letzten Sonntag); jetzt bekommt die Ursache so vieler Schwierigkeiten einen neuen Namen - jetzt spricht er vom Feind. Dem Feind, der ihn am Anfang seines Wirkens in der Wüste versucht hatte mit den Verlockungen von Reichtum, Ehre und Macht. Diesen Versuchungen hatte Jesus widerstanden. Nicht in ihm wuchs das Unkraut, dafür aber in den anderen: in Judas z.B., der ihn verraten wird. In Jakobus und Johannes, die nichts anderes zu tun wissen, als nach den besten Plätzen zu haschen. Und Petrus - selbst er! - verstand kaum etwas und verleugnete Jesus.

Ja, die gute Saat gab es kaum in Reinform! Immer mischte sich das Unkraut dazwischen, wurde noch größer, verdeckte und erstickte wohl auch die Saat. Und die Jünger fragten ihn: Was ist bloß los mit der Welt? Dieses viele Unkraut überall, das sich schon zum Urwald ausweitet! - Auch in uns! Dieses viele Unkraut auch in der Kirche! Dieser Halb- und Viertelglauben, und die Christen sind auch nicht besser als der Rest der Welt! Die Skandale, immer wieder von neuem! Was tun? Sollen wir das Unkraut rausreißen? Eine Kirche bilden nur noch aus denen mit den ganz weißen Westen? Nur noch mit den Hundertprozentigen? Nur noch mit den Heiligen? Das Unkraut rausreißen - das hätten die Jünger wohl gern gemacht, das haben dann auch manche in der Kirche gern getan: Rausreißen, rausschmeißen, raus mit dem und dem und dem - alle Fehler ausmerzen. Der oder die passt nicht zu uns, passt nicht in die Kirche.

Aber Jesus ist da sehr behutsam und vorsichtig. Reißt das Unkraut nicht aus, lasst es wachsen bis zur Ernte, sagt er. Weiß man denn immer so genau, was das Unkraut ist (in Israel sehen sich Getreide und Unkraut oft zum Verwechseln ähnlich)? Man kann das Leben nicht gut auf einen Schwarz-Weiß-Film bannen. Dafür ist es zu bunt, zu kompliziert, zu vielfältig.

Jesus war überzeugt, dass das Böse durch das Gute überwunden wird. Er sah, das Gute würde schneller wachsen als das Böse, der Weizen schneller als das Unkraut. Ja, er sah, dass das Böse manchmal sogar das Gute hervorbringen kann! Das Unheil sah er, aber auch die Gnade. Das verantwortungslose Verhalten, aber auch die Wiedergutmachung. Er sah die Krankheit, aber auch die fürsorgliche Pflege. Er sah das Kreuz, aber auch die Auferstehung. Und er sagte: das Gute ist das Ziel in der Ernte. Lasst alles wachsen, schont und schützt die „zarten Pflänzchen“, dass sie zum Zuge kommen.

Dieses Zutrauen in die Kraft des Guten machte Jesus so geduldig, so gelassen. Er lässt uns Zeit. Er kann warten. Er wartet manchmal sehr lange auf uns.
Geduld. Wir brauchen viel Geduld, wenn wir merken wollen: das, was Gott unter uns gesät hat, geht langsam, aber sicher auf. Auch in den eigenen Kindern, auch in der jüngeren Generation, die ihre eigenen Wege geht. Nichts, was gesät ist, geht einfach verloren!

Wir sind von einer Zeit geprägt, in der alles schnell gehen muss, rasend schnell, effizient. Wir wollen die Früchte möglichst gleich, manchmal fast noch vor der Saat - wir wollen am liebsten gleich schon ernten. Da tun wir uns oft schwer mit der Geduld, mit der Gelassenheit und Langmut, und dann lassen wir uns und den anderen kaum Zeit - dann fehlt uns die Geduld mit uns selber und mit den anderen.

Statt zu verurteilen und dies und jenes vorschnell zum Unkraut zu erklären, sollten wir also auf diesen Keim des Guten bauen. So können wir die Ernte getrost einem anderen überlassen - dem, der alle Abgründe des Menschen kennt. Er ist größer als unser Herz, und er weiß alles.