Verschwendung bei der Saat

Predigt am 16.07.2023


Der Sämann geht aus, um zu säen. Aber das ist kein Bauer aus Westfalen! Der würde das Saatgut niemals so verschleudern. Anstatt erst zu pflügen, schreitet dieser biblische Sämann über ungepflügtes Stoppelfeld! Sät auf den Weg, sät in Disteln und Dornen. Sät in dünnen Humus, der nur ganz knapp steinigen felsigen Grund bedeckt. Ein merkwürdiger Bauer! Kein Wunder, dass aus der Saat nicht viel wird! Betriebswirtschaftlich geht dieser Bauer wohl bald pleite.

Wir haben ein Gleichnis gehört. Es sagt uns: So arbeitet Jesus, der Sämann Gottes! So arbeitet er in Galiläa, in Lüdenscheid und anderswo. Er geht nicht rechnend und kalkulierend vor, wie ein Manager das tun muss. Er macht es verschwenderisch!

Jesus verschwendet seine Worte, seine Taten, seine Liebe an die kleinen Leute seiner Zeit: die Fischer vom See, die Armen und Kranken, die Frauen und Kinder. In Wort und Tat verschwendet er sich selber an die Leute! Großzügig! Manchmal traurig über die Schwerhörigkeit, über die Hartherzigkeit. Erschüttert über die Ablehnung, der er begegnet. Sein Weg durch das heimische Galiläa ist kein Siegerweg. Die Pflugschar stößt auf Widerstand, bildlich gesprochen: auf Felsengrund. Der Sämann Jesus scheitert an den Feinden, er hängt dann am Kreuz. Doch die göttliche Verschwendung geht nach dem Kreuzestod weiter.
Die Frohe Botschaft von der Auferstehung wird in alle Welt gebracht, wird in alle vier Himmelsrichtungen und auf jede Art von Land gesät – unter Gerechte und Ungerechte, Faule und Fleißige, Fromme und Heiden. Unter Menschen, wie sie sind. Und wiederum ist das Ergebnis bescheiden genug. Nahezu 2000 Jahre Aussaat des Evangeliums – und immer weiter wuchert trotzdem die Saat von Hass und Gewalt, von Habsucht und Gottlosigkeit und erstickt das gesäte Wort. Unter dem dünnen Humus der Christlichkeit ist oft hartes Gestein, lagern harte Herzen. Es wird gepredigt, getauft, Religion unterrichtet, ein Gemeindebetrieb noch am Laufen gehalten – aber vieles wirkt wie auf Beton gesät. Die Kultur hat sich völlig verändert – das Wort greift nicht mehr, schlägt nicht Wurzel, bleibt liegen – und schon kommen die Vögel und picken die Saat weg. Und es bleibt so wenig zurück.
Aber: Es wird immer weiter gesät! Verschwendung sondergleichen! Wer von draußen draufguckt, schüttelt den Kopf – über die Kirche. Der große Aufwand stehe in keinem Verhältnis zum mageren Ergebnis. Man müsse wohl ganz anders vorgehen. Die Verschwendung beenden. Sich konzentrieren z.B. auf die kleine Herde der hoch motivierten Gleichgesinnten, wie es die Sekten tun.

Ja; man könnte vieles mehr und anders tun, wenn da nicht das Gleichnis vom Sämann wäre. Wenn dieser Sämann nicht Jesus Christus hieße, und wenn seine „Verschwendung“ nicht die Art Gottes wäre, mit uns Menschen umzugehen! Sie erspart uns nicht redliches Planen und Überlegen. Aber mehr noch sagt sie uns, dass das Entscheidende nicht von unserer Unternehmungslust abhängt, nicht von unserer Klugheit und unserem Können. Das Gleichnis von diesem merkwürdigen Sämann lädt ein, die Frohe Botschaft, die beste Botschaft der Welt, großzügig, geduldig, beständig auszusäen, ohne den ständigen Druck des Erfolgs. Wir müssen nicht ständig auf die Zahlen schielen. Jesus ist damals so vielen Menschen begegnet, hat viele innerlich berührt – ohne dass sie dann hinter ihm hergingen, ihm nachfolgten, seine Jünger und Jüngerinnen wurden, seine Gemeinde.

Das ist es wohl: Niemand weiß im Voraus, wo die Saat des Evangeliums guten Boden finden wird. Ich weiß es nicht einmal von mir selber. Auch in mir, in jedem ist der festgetrampelte oder gar zubetonierte Weg, auf dem die Saat keine Chance hat – die festgetrampelten Gewohnheiten, die eingespielten Abläufe, die Lebensroutine, die sich nicht aufstören lässt und ihre Ruhe haben will. Auch in mir ist unter der dünnen Humusdecke der felsige Grund, hart und widerständig wie Granit. Auch in mir wachsen die Disteln und die Dornen, in denen sich die Saat verfängt: die schönen Ablenkungen des Lebens, die Hobbys und Moden und Lustbarkeiten – alle nicht böse, alle berechtigt – aber eben so, dass sie uns ganz in Beschlag nehmen können, ganz ablenken. Die Medien etwa, der tausendfache Blick aufs Smartphone. Sie nehmen uns den Raum weg für anderes. Die Saat bleibt ohne Wurzeln.
Aber auch in mir und in jedem ist die Chance des guten Bodens, die Chance der Offenheit und Aufmerksamkeit gerade zur rechten Zeit, die Chance der guten Frucht – dreißigfach, sechzigfach, hundertfach.

Wer ist empfänglich für die Botschaft Jesu, für die verschwenderisch ausgestreute Saat? Wir wissen es nicht, und wir irren uns oft genug in unserer Einschätzung. Allzu rasch melden sich die Vorurteile, und wir empfinden oft genug Menschen im kirchenfernen Milieu als „steinigen Boden“. Aber hier ergeben sich manchmal die besten Gespräche und die lebhaftesten Fragen. Wir wissen nicht, wo steiniger und wo fruchtbarer Boden ist. Wir können da unsere Überraschungen erleben. Und wie groß mag die Überraschung am Erntetag sein, wenn – vielleicht – die „Zöllner und Sünder“ von heute mit guter Frucht kommen, mit Sehnsucht oder Reue und die Respektablen von heute mit ihren Dornen und Disteln. Wer weiß das schon, und wer weiß, wie er selber da steht in der Ernte?

Aber noch ist die Zeit der Aussaat. Das gute Beispiel, der Mut, der aufmerksame Blick, die Lebensfreude mitten im Alltag – das ist es, was heute wirkt, mehr als alles gutgemeinte Reden und Diskutieren, das oft so fruchtlos bleibt. In jedem von uns drängt die Saat des Sämanns, das Wort des Herrn, zum Wachstum und Wurzelschlagen – und zu guter Frucht: dreißig-, sechzig-, hundertfach.