Ab in die Ernte

Predigt am 18.06.2023


Jesus sah die vielen Menschen und hatte Mitleid mit ihnen.
Wohl jeder, der heutzutage bewusst Christ ist und in der Kirche mitarbeitet, hat die vielen Menschen vor Augen und hoffentlich im Herzen: nicht nur die eigene Familie, sondern auch die Vielen in unserer Stadt und in unserem Land. Die Vielen in ihren Sorgen und Grenzen. Auch die, die Gott vergessen haben und ganz in ihrem Alltag feststecken.

Damals, bei Jesus, waren die vielen
müde und erschöpft – wie Schafe, die keinen Hirten haben.
Müde und erschöpft – das trifft es genau. Die Müdigkeit in den Gesichtern so vieler, die Erschöpfung durch Arbeit und Pflichten, die Antriebslosigkeit, die Zukunftsangst, die Langeweile und die innere Leere. „Null Bock“ bei manchen Jungen und Resignation bei manchen Alten: Unser Land ist alt geworden und ziemlich müde, erschöpft durch vieles, durch das Tempo der Veränderungen, durch den Druck des „Immer mehr“.

Wie Schafe, die keinen Hirten haben.
Da sind nicht mehr viele, die Wege zeigen können. Da fehlen die Weisen und die Wegweiser. Da rennt man im Kreis herum und gerät in immer neue Sackgassen und verbraucht so viele Energien und Kraft.

Jesus hatte Mitleid mit ihnen.
Jesus schimpft nicht auf die böse Welt. Er stimmt nicht ein ins allgemeine Klagen und Jammern, das auch ein Zeichen der Müdigkeit ist. Nein: Er empfindet Sympathie und Mitleid, Solidarität – eine Liebe, die helfen will. „Mein Beruf ist die Liebe“, sagt die hl. Therese von Lisieux, die als junge Schwester hinter Klostermauern vor Liebe zu den Menschen brannte. Mein Beruf ist die Liebe. Diese Liebe steckt an, so mancher in unserer Stadt hat sich auch schon anstecken lassen - und tut ganz unaufdringlich, ganz diskret viel Gutes, ohne es an die große Glocke zu hängen – wie selbstverständlich. Das hält eine Stadt, eine Gemeinde zusammen.
Christi Liebe steckt an. Wer sich anstecken lässt, begibt sich auf den Weg. Er folgt einer Berufung. Diese kleine Pflanze wird genährt durch das Gebet:

Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden.
Bei Jesus kann niemand sich selber berufen oder aussenden. Niemand wird sofort losgeschickt. Erst braucht es eine Zeit, sich zu entwickeln, zu reifen, es braucht eine „Inkubationszeit der Liebe“ – und es braucht das Gebet.

Bittet also…
Bittet als Christen, bittet als Gemeinde, vertrauensvoll und eindringlich.
Und führt nicht bloß schlaue Debatten über die Kirche, beschränkt euch nicht aufs Diskutieren – denn:

Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter.
Was ist unsere Aufgabe? Die Ernte? Oder nicht erst mal das Säen? Liebe aussäen und Herzlichkeit. Freude am Evangelium. Das Gespür für Gott wachhalten – ernten werden vielleicht mal andere.
Man sollte nicht ganz schwarz sehen mit der Saat – es gibt noch Menschen, die Gott suchen und im Leben entdecken. Im Leben! Nicht nur in der Kirche. Da wird es knapp. Im Bistum Essen werden im Jahr 2040 nur noch ca. 30 Priester im aktiven Dienst sein.

Den 12 Jüngern gab Jesus die Vollmacht, die Dämonen auszutreiben und alle Krankheiten und Leiden zu heilen.
Erstaunlich, nicht wahr? Der Apostel – nicht Beauftragter für Gottesdienste, Predigten und Kirchenverwaltung – sondern hier: halber Psychologe und halber Arzt? Da sieht man: Für Jesus ist das ganze Leben von Belang. Leib und Seele, Gesundheit und Krankheit, Glück und Leid, Worte und Taten. Und da sieht er die Dämonen am Werk, die uns innerlich kaputtmachen wollen. „Der größte Dämon,“ las ich kürzlich, „ist die Ablenkung vom Wesentlichen.“ Dämonen lenken uns ab, bringen uns durcheinander, hetzen uns aufeinander, nehmen uns den Seelenfrieden und drängen uns ab ins Chaos, in Verwirrung und Ängste. „Treibt sie aus, die Dämonen,“ sagt Jesus. „Bringt – Heilung!“

Denn das Himmelreich ist nahe!
Was für eine Riesenaufgabe! Die Sendung der Apostel: eine gigantische Überforderung? Alles eine Nummer zu groß? Dann sollten wir uns trösten mit der Namensliste der Apostel. An erster Stelle steht da Simon Petrus. Das waren alles keine Helden- alles kleine Fischer, alles begrenzte Menschen. In menschlicher Schwachheit bringt Gott seine Kraft in die Welt. Zum Beispiel in einem Angsthasen wie Petrus. Und dann kann der Mensch über sich hinauswachsen.

Jesus beendet seine Aufträge an die Jünger mit diesen Worten:
„Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben!"
Liebe Christen, was ist heute schon umsonst? Umsonst ist der Tod, sagt man, ansonsten hat alles seinen Preis, ausgedrückt in Euro und Cent. Und wenn die Leute von „umsonst“ reden, dann eher so: „Ist ja doch alles umsonst – hat ja doch keinen Zweck – ist alles für die Katz!“ Nun, wir dürfen uns als Christen über das Wort „umsonst“ richtig freuen: Umsonst. Gratis. Geschenkt. Reine Großzügigkeit Gottes, reine Gnade! Endlich mal ein Ort, wo man sich nichts verdienen muss – wo alle Ansprüche nichts zählen. Reine Großzügigkeit – das ist Gottes Stil – und dann vielleicht auch mehr und mehr unser „Gütezeichen“.

Umsonst sollt ihr geben!
Nicht als Belohnung. Eher als Starthilfe.