Der Stall als Wärmestube

Predigt an Weihnachten 2022


Weihnachten verbinden wir mit Wärme. Zuhause gibt es ein gutes Essen, die Familie kommt zusammen, es ist festlich, es ist behaglich. Auch unsere aktuellen Gas- und Energieprobleme dürften uns nicht hindern, zumindest das Weihnachtszimmer warm zu bekommen.

Weihnachten verbinden wir auch mit Kälte. Draußen: Weiße Weihnacht, leise rieselt der Schnee. Das war immer ein großer Wunsch. Draußen soll es ruhig kalt sein. Der Gegensatz: „draußen kalt – drinnen warm“ gerät in diesem Jahr durcheinander. Für viele Menschen, ja für ein ganzes Volk, für die Ukrainer, wird es auch drinnen richtig kalt. Minus 10 Grad oder mehr in der Wohnung. Wie ist das auszuhalten? Zittern vor Kälte unterm Weihnachtsbaum? In vielen Städten und Gemeinden hat man Wärmestuben eingerichtet, wo alle, die frieren, sich aufwärmen können.

Ich möchte mit Ihnen gern ein Bild betrachten, das in den Bänken ausliegt. Ein Bild aus dem späten Mittelalter. Ein Mann aus Westfalen hat es gemalt, Conrad von Soest, so um 1400 herum. Es hängt in der evangelischen Stadtkirche in Bad Wildungen. Vieles kommt uns vertraut vor: der Stall. Ochs und Esel wie auf einem Logenplatz. Ein aufschauender Hirte mit seinen Schafen. Ein Engel fliegt ins Bild und verkündet eine große Freude. Und dann Maria! Sie nimmt den größten Teil des Bildes ein mit ihrem Riesenbett, das mit seiner roten Decke sehr nobel, sehr königlich wirkt – so ähnlich wie ein Thron. Maria ist hier nicht das einfache Mädchen aus Nazaret, sie ist schon „verklärt“, der Heiligenschein, ihr Aussehen und ihre Kleidung machen eine „Adelige“ aus ihr, die das kleine Jesuskind liebkost. Eine Heilige im göttlichen Glanz.

Und Josef? Der ist für mich die anrührendste Person. Seltsam: Sonst bleibt er immer im Hintergrund – der ruhige, hörende und treue Beschützer, der dann ja auch bald nach den Geschichten vom Jesuskind still und leise aus der Bibel verschwindet. Hier rückt ihn der Maler aber in den Vordergrund. Tief gebückt liegt er auf den Knien, seine Hosen wirken wie moderne Jeans, die blaue und helle Kleiderfarbe teilt er mit Maria – man nennt das heute „Partnerlook“. Die Heiligkeit und den göttlichen Glanz sieht man ihm nicht an, kein Heiligenschein umgibt sein Haupt. Josef ist ganz erdnah, ganz handfest, ganz eine Figur dieser Welt. Typ: Hausmann. Er erinnert an die Väter, die sich heute mühen, bei Gartenpartys den Grill anzuzünden. Ein Blasebalg ist ihm nicht gegeben, er bläst die Backen auf, so facht er ein Feuer an. Und kocht Brei für das Kind. Er bückt sich und tut das Notwendige.

Stellen wir uns die Nacht im Stall kalt vor. Das nackte Kind und seine Mutter dürften wohl vor Kälte zittern und frieren. Das mag keiner, auch heute nicht, im Jahr der Energieknappheit. Josef ist der Kümmerer, sozusagen der Energiebeauftragte; mit den Mitteln von damals sorgt er für Wärme.

Ein Freund von mir hat dieses Bild gesehen und treffend gesagt: „Der Stall von Bethlehem ist eine Art Wärmestube für die ganze Welt. Da können wir uns aufwärmen und Energie und Hoffnung speichern in der Kälte unserer Zeit.“

Genau! Das ist es. Und darum feiern wir Weihnachten! Wir finden uns zusammen, um Wärme zu teilen, um uns wohl und geborgen zu fühlen in den Liedern, in der Stimmung, mit den Kerzen und Ritualen, beim Essen und Auspacken der Geschenke. Familie kann so viel Wärme geben – menschliche Wärme. Und der wärmende Glühwein gehört manchmal auch dazu. Diese Wärme zu erleben, die im Alltag oft nicht so zu spüren ist – diese Erfahrung einer großen Geborgenheit – das macht für viele Weihnachten aus.

Feiern wir uns also nur selber? Unser Familienglück – wenn wir es denn haben?

Ich möchte sehr dazu einladen, Weihnachten erstmal als Feier unseres Gottes zu begreifen. Der scheut sich nicht, in einem kleinen hilflosen Kind auf die Welt zu kommen. Nicht im Triumphzug, nicht mit Pauken und Trompeten, nicht mit Glanz und Gloria, sondern in einem kalten Stall. Allerdings mit Engelsgesang – damit wir etwas schwerfälligen Menschen gesagt bekommen und kapieren, was für eine Gnadenstunde das ist. Dass unsere Augen durch den sehr bescheidenen Augenschein hindurchsehen, unsere Ohren durch die Stille hindurch dem Gesang der Engel lauschen, unsere Haut durch die Kälte der Nacht hindurch die Wärme spürt, die uns hoffentlich „unter die Haut geht“ – bis ins Herz hinein. Und da bleibt. Herzerwärmend ist diese Menschwerdung Gottes!

Auf den gebückten Josef blickend mit seinem Feuerchen, mit seinen Energiebemühungen, möchte ich hoffen, dass wir den großen „Energielieferanten“ Gott nicht verlieren und vergessen. Der dreht nicht nach drei Tagen den Hahn zu. Der liefert immer. Gratis, aus Gnade. Der bleibt den Menschen treu mit seiner Liebesenergie. Und das zu glauben, darauf zu vertrauen, schafft eine große innere Wärme.

Die Vorstellung, dass da ein Weltall ist ohne Gott, eine Gesellschaft ohne Gott, ein Denken und Leben ohne Gott – wir Menschen immer nur allein mit uns –, das lässt mich vor innerer Kälte zittern. Dann ist die innere Wärme wirklich heruntergedimmt auf Mindesttemperaturen, wie sie derzeit in vielen Kirchräumen herrschen – gerade so, dass man keine Frostbeulen kriegt. Immer nur ein Mindestmaß! Aber wir brauchen mehr – gerade jetzt, in kalten ungemütlichen Zeiten. Wir brauchen Glaube, Hoffnung, Liebe. Wir brauchen die göttliche Energie, die wir meist „heiliger Geist“ nennen. Wir brauchen Menschen, die förmlich davon „brennen“. Und wir brauchen Leute wie den Josef im Bild, die sich bücken und anpacken und das Notwendige tun, und die so alles zusammenhalten. Und die dabei hoffentlich nie „aus der Puste“ kommen.