Hoffen – trotz allem

Predigt am 04.12.2022


Ein Schwerkranker wird im Krankenhaus besucht. Die Liste der Beschwerden ist lang, er muss einiges aushalten. Er weiß, wie es um ihn steht. Aber er verliert nicht den Mut. „Trotzdem!“, sagt er. Trotz allem weitermachen, am Leben hängen, weiter hoffen, glauben und lieben.

Trotz allem. Das liegt irgendwie in der Luft, jetzt, in diesen Jahren, in diesem Advent. Trotz Klimakatastrophe, trotz Ukrainekrieg, trotz Inflation und Pandemie und fast unbezahlbarer Energie. Kirchlich: Trotz Kirchenschließungen, einer riesigen Gleichgültigkeit und einem ebenso riesigen Veränderungsdruck. Persönlich, privat: Da müsste dann jeder selber seine eigenen Trotz-allem-Erfahrungen einsetzen: zu viel Stress bei der Arbeit oder in der Familie – oder was auch immer.

Trotz allem. Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Glaube ist, wenn man trotzdem vertraut und die Lichter in der Dunkelheit sieht. Den „hellen Morgenstern“, der in die Finsternis hineinscheint. Advent ist, wenn man trotz allem hofft und große Erwartungen behält. Trotz allem Mist, in den wir ständig hinein treten – und der uns das Leben ziemlich verleiden kann.

Die Bibel gebraucht für diesen „Mist“ natürlich ein anderes Bild: Wüste. Es ist der Ort, wo Johannes der Täufer wirkt. Weiß Gott kein gemütlicher und bequemer Platz! Wer dort leben will, führt einen harten Überlebenskampf. Wir verbinden damit aktuell die Betonwüsten der großen Städte, die Leere, Isolation und Einsamkeit, die viele Menschen plagt.

In alten Zeiten wurde die Wüste empfunden als ein unheimlicher „Spukort“, wo die Dämonen hausen. Auch die „modernen Dämonen“ toben sich dort heute aus: Gewalt, Profitgier, Ausbeutung, Zerstörung. All das macht aus fruchtbarem, bewohnbarem Land eine Wüste, eine „seelische Wüste“. In ihr kann man wirklich nicht gut leben! Man muss sich betäuben, mit Konsum oder zu viel Arbeit vollstopfen, mit Medien ablenken, mit Alkohol „zudröhnen“, um sie auszuhalten.

Die Wüste ist für die frühen Mönche, die sogenannten „Wüstenväter“, der Schauplatz, wo wir mit inneren Feinden kämpfen müssen – selbst Jesus ist in der Wüste versucht worden. Wüste ist aber auch der Ort, wo wir uns ganz ehrlich selbst begegnen können. Wo wir uns ohne Maske sehen – wie wir sind. Dort schauen wir sozusagen „in den Spiegel“ – und erfahren, wo wir dran sind mit uns.

Eine Stimme ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen!

Jesaja sagt das, ähnlich reden alle Propheten. Gott möchte sich, auch heute, durch die Wüsten der Welt einen Weg bereiten. Er möchte wirklich zu uns kommen. Aber er braucht uns dabei als seine „Straßenarbeiter im Tiefbau“, als seine Mitarbeiter, die die Wege zu Gott zugänglich machen, das Verschüttete begradigen, Schlaglöcher auffüllen, Stolpersteine beseitigen und durch das verwahrloste, zugewachsene Land eine Schneise schlagen.

Advent – Ankommen Gottes im Jahr 2022, in der heutigen Welt. Sie braucht Menschen wie Johannes den Täufer, der sich hinstellt und das sagt, was er von Gott her spürt. Der sich mit den wichtigen Leuten anlegt und sie ungeschminkt als „Schlangenbrut“ bezeichnet. Der den Leuten nicht nach dem Mund redet. Der ihnen und uns Umkehr zumutet. Solche Leute wie Johannes bereiten dem Herrn den Weg – hin zu den Herzen der Menschen.

Den Weg bereiten. Das meint nicht, wir könnten selber alle Hindernisse aus dem Weg schaffen. Aber wir müssen unsere Wüste wahrnehmen und oft aushalten und so mitnehmen zu Gott. Gott schreibt uns nicht ab wegen unserer Verwüstungen. In der eigenen Dunkelheit, in der Schuld und Last, die wir mit uns herumschleppen, in unserer Leere und Unruhe kann er zu uns kommen. Er kann kommen, um die leere Schale zu füllen. Er kann kommen, um das innerlich Kranke zu heilen. Er kann kommen in dem Vertrauen, das sagt: Du bist da – trotz allem!

Allerdings möchten wir Gott lieber auf den Prachtstraßen begegnen, festlich, zu Weihnachten, in feierlicher Stimmung. Das brauchen wir auch. Aber gerade in meiner wirklichen Lage – sozusagen auf den „Trampelpfaden“ – kommt Gott auf mich zu. Ich brauche ihm kein geschöntes Bild zu bieten. Ich kann mich ihm so zeigen, wie ich wirklich bin: mit meinem Chaos, meinen Ängsten, Aggressionen und Schattenseiten. Denn Er kann auf krummen Zeilen gerade schreiben.

Die Rauheit Johannes des Täufers gehört immer zum zweiten Advent. Er lenkt unseren Blick nach innen, in die Wüsten des Herzens. Keine angenehme Blickrichtung, aber heilsam! Schaut euch an, was alles an „Mist“ da versammelt ist! Und schaut dann auf zu dem, der auch die Wüste zu „blühenden Landschaften“ umformen, der heilen und vergeben kann! Trotz allem!

Als Johannes den Jesus im Jordan taufte, da heißt es: Da öffnete sich der Himmel! Das ist ein schönes – auch adventliches – Schlussbild: Denn verschlossen war das Tor, bis der Heiland trat hervor. Kein verschlossener Himmel mehr steht über uns, sondern Offenheit und Weite – und ein Ahnen Gottes.