Allerheiligen: Heilige als „Fenster“ für Gott

Predigt am 01:11.2022


Ein rotes Lichtermeer – und viele Menschen an den Gräbern, die geschmückt sind mit Blumen, Gestecken und anderen Zeichen der Liebe und Anhänglichkeit. Das werden wir heute Nachmittag auf den Friedhöfen sehen. Auch wenn es inzwischen ganz andere Formen der Bestattung gibt – die Friedhöfe sind immer noch berührende Orte. Familien kommen dort zusammen, von nah und fern, um ihrer verstorbenen Angehörigen zu gedenken, Erinnerungen wachzurufen, für sie zu beten. Manche voller Trauer, weil der Verlust noch sehr schmerzt, andere mit Dankbarkeit und guten Erinnerungen. Und viele teilen die Hoffnung, dass die Verstorbenen aufgenommen sind in die Liebe Gottes. Wenn dann die Gräber gesegnet und mit Weihwasser besprengt werden, wird die Verbindung zur Taufe deutlich – Menschen haben in der Taufe ihren Weg mit Gott begonnen – und dieser Weg ist nun vollendet, angekommen am Ziel, bei Gott.

Allerheiligen – hier jetzt in der Messe wird an alle Heiligen gedacht: an die große Gemeinschaft derer, die ihr letztes, endgültiges Ziel erreicht haben: das Leben in Gott.
Viele Menschen hat unsere Kirche im Lauf der Jahrhunderte ganz offiziell für heilig erklärt, „heiliggesprochen“. Das ist so eine Art Garantieschein für christliche Qualität: Ja, liebe Christen, so sagt die Kirche damit, haltet euch an diese Heiligen, sie haben vorbildlich als Christen gelebt, an ihnen kann man ablesen, was einen Christen ausmacht. Wir haben sie nach allen Regeln der Kunst „durchleuchtet“ und sind uns ganz sicher: Aus ihnen leuchtet Gott.
Man darf hinzufügen: Gott leuchtet nicht nur aus den offiziellen Heiligen, die im Kalender stehen, sondern aus der viel größeren Schar derer, die bescheiden und ohne Aufhebens vorbildliche, „heilige“ Menschen waren. Heilige Mütter oder Väter, heilige Onkel oder Tanten oder Großeltern, heilige Nachbarn oder Arbeitskollegen.

Frage an uns: Steht uns so jemand vor Augen, der uns begleitet hat oder uns mal über den Weg gelaufen ist, der ein „heiliges Vorbild“ sein könnte?
„Heilige sind wie Fenster, durch die das Licht Gottes in unsere Welt schaut“, so hat es unser Papst mal treffend ausgedrückt.

Heilige haben wahrscheinlich auch ihre dunklen Seiten gehabt: ihre Vorurteile, die oft die Vorurteile ihrer Zeit sind. Ihre Einseitigkeiten und Grenzen. Sie waren nicht frei davon. Sie waren auch nur Menschen. Und dennoch: Sie waren transparent, durchsichtig auf Gott hin. „Fenster, durch die das Licht Gottes in unsere Welt schaut“, hieß es gerade. Keine blinden Fenster, keine Rollläden und Vorhänge davor. Fenster, durch die es scheint. – Ich finde unsere Kirchenfenster hier vorn so schön. Wenn die Sonne scheint, dann leuchten die Farben. So ist es mit den Heiligen: Gottes Liebe scheint durch sie hindurch – und dann leuchten die Farben. Dann leuchtet das Leben.

„Selig, die ein reines Herz haben“, hieß es gerade in den Seligpreisungen. „Denn sie werden Gott schauen.“ Ein reines Herz, ganz transparent, das nichts verbirgt vor Gott. Er soll leuchten. Nicht wir. Er soll leuchten, aber durch uns und in uns. Dafür haben sich die Heiligen zur Verfügung gestellt.

Heilige – da fallen uns Namen ein wie Franz von Assisi, Elisabeth von Thüringen, aus unseren Tagen Mutter Teresa – oder unsere Namenpatrone. Oft leuchtende Beispiele, wahre Steilvorlagen! Meister – während wir noch Anfänger und Lehrlinge sind und wohl Lehrlinge bleiben auf dem Weg des Glaubens.

Aber da gibt es eben auch die vielen unbekannten Heiligen unter uns, die für ihre Mitmenschen da sind und so Gott leuchten lassen: die Frau, die ihren bettlägerigen Mann oder ihr behindertes Kind jahrelang pflegt, der Angestellte, der immer ein offenes Ohr für seine Kollegen hat und sich für sie einsetzt, die jungen Leute, die in ihrer Freizeit viel tun für den Schutz der Natur oder der alte Mensch, der, ohne zu klagen und sich zu beschweren, Ja sagt zu seinem mühselig gewordenen Leben.

Heilige sind freie Menschen. Sie lassen sich nicht verbiegen und tun, was ihr Gewissen sagt. Ein Nawalny, der in Russland im Gefängnis sitzt, weil er unentwegt für Freiheit und Gerechtigkeit eintritt, ist vielleicht ein „Heiliger ohne Gott“. Besonders wichtig ist mir Oscar Romero, der Erzbischof von El Salvador in Mittelamerika, der vor vier Jahren heiliggesprochen wurde. In seinem Land herrschten die Großgrundbesitzer und ein brutales Militär, und Romero nahm in seinen Radio-Predigten kein Blatt vor den Mund. Er nannte öffentlich die Namen aller Opfer der Verfolgung durch Militär und Todesschwadronen – und auch die Urheber und Hintermänner dieser Gewalttaten. Er rief alle zur Umkehr und zum gewaltlosen Einsatz für Befreiung, Gerechtigkeit und Frieden auf. Während er eine Messe feierte, wurde er 1980 erschossen. Wahrhaft ein prophetischer Mensch! Aber auch hier ist an die vielen Unbekannten zu erinnern, an die Gläubigen in vielen Ländern besonders Lateinamerikas, die in der Spur Jesu gegangen sind, an der Seite der Armen, Unterdrückten, Verfolgten – und die deshalb ihr eigenes Leben lassen mussten.

Heilige sind nicht als Helden auf die Welt gekommen. Heilige sind auch keine perfekten Menschen. Sie haben Ecken und Kanten, Stärken und Schwächen wie jeder sonst. Aber: Sie haben alles auf die Karte Gott gesetzt! Das dürfen wir auch erhoffen: dass auch unser Leben – mit allem Kaputten und Misslungenen – heil wird, geheiligt wird durch Gott. Denn er allein ist „der Heilige“. Aber wir können die Fenster sein, durch die sein Licht strahlt.