Beten?

Predigt am 24.07.2022


„Herr, lehre uns beten“ - so baten die Jünger damals Jesus.
„Wir wissen ja nicht, was rechtes Beten ist,“ schreibt Paulus im Römerbrief.

Ja, wie sollen wir beten? Wir befinden uns mit dieser Frage wohl in guter Gesellschaft. Wenn schon die Jünger und einer wie Paulus um eine Art „Schulung“ im Gebet bitten, um wieviel mehr können wir da einstimmen: „Herr, lehre uns beten!“
Ein Leben lang werden wir das Beten lernen müssen – ohne Rezepte, wir können noch so viel darüber hören oder lesen. Ein inzwischen fast 90-jähriger frommer und gebildeter Priester sagte mir mal: „Beten heißt Üben“. Und er fügte hinzu: „Ich übe in meinem Alter immer noch!“ Beten lernt man nur durch Beten. Man muss es einfach tun, man muss einfach damit anfangen. Und man sollte nicht damit aufhören – durch alle Trockenheit und Skepsis hindurch.

„Herr, lehre mich beten,“ sagt vielleicht der Erste. „Ich muss es neu lernen. Ich hab´s inzwischen verlernt. Das Gebet ist mir entglitten. Früher betete ich noch, als ich Lust darauf hatte, und wenn mir danach war. Aber dann schlief es nach und nach ein. Aber irgendwie fehlt es mir jetzt!“

„Herr, lehre mich beten,“ sagt vielleicht ein Zweiter. „Immer schiebt sich meine Skepsis dazwischen, meinen nüchternen Kaufmannsverstand kann ich nicht abschalten. Wenn ich bete, rede ich dann vor eine Wand? Führe ich ein Selbstgespräch? Gott, hörst du zu? Kannst du in den Lauf der Welt eingreifen? Warum tust du es nicht? Warum räumst du nicht auf – z.B. mit dem Ukrainekrieg? Sind wir mit allen Nöten und Weltproblemen allein auf uns gestellt? Ich möchte festhalten an Dir. Aber da sind immer sofort die abwehrenden Gedanken und die Zweifel im Hinterkopf – die Fragen, auf die es keine Antwort gibt!“

„Herr, lehre mich beten,“ sagt vielleicht ein Dritter. „Ich bete oft den Rosenkranz und auch sonst immer dieselben Worte. Ich weiß: „Nur der Kopf will immer das Neue, das Herz will dasselbe.“ Aber manchmal denke ich: Ich mache so viele Worte, ich plappere daher, mein Herz ist oft woanders. Ich möchte von den Worten freikommen, ich möchte mit dem Herzen und in der Stille beten. Vielleicht ganz ohne Worte. Ich möchte im Beten hören - ein Hörer sein! Hilf mir dabei!“

„Herr, lehre mich beten,“ sagt vielleicht ein Vierter. „Ich bin mehr der Machertyp. Ich kremple die Ärmel hoch und pack an und helfe den Leuten. Beten ist schwierig für mich – mir ist, als wenn ich dann die Verantwortung wegschiebe. Auf Dich! Mach Du! Aber ich ahne schon, dass Beten eine Kraftquelle sein kann für richtiges Handeln. Ich habe gelesen, dass Mutter Teresa jeden Morgen ein, zwei Stunden gebetet hat, ehe sie an ihre mühsame Arbeit bei den Armen ging. Herr, lehre mich, zu beten und dadurch immer wacher und bereiter zu werden fürs Handeln!“

Beten kann so vieles sein: Danken, jubeln, staunen, nachdenken, klagen, seufzen, flehen. Lange Litaneien, feierliche Hymnen oder kurze Stoßgebete („Danke, Gott!“). Beten lässt sich in jeder Lebenslage. Beim Autofahren und Kartoffelschälen. Man muss nicht „feierlich“ werden, man muss nicht die Hände falten, man muss keinen eigenen „Gebetsjargon“ pflegen. Eher so, wie es zu einem passt. Ich denke an Don Camillo in den berühmten Filmen aus Italien: Er stellte sich unter das Kreuz in seiner Kirche und sagte sehr ungeschminkt, was er auf dem Herzen hatte – wie er z.B. seinem Gegenspieler, dem kommunistischen Bürgermeister Peppone, eins auswischen wollte. Und Jesus antwortete ihm! Nicht laut, wie im Film, über die Ohren, sondern leise im Herzen kann er uns antworten. Und plötzlich sehen wir Wege, finden Trost – oder mäßigen uns, wie bei Don Camillo, der von Jesus hörte, er solle mit seinem Gegner Peppone etwas sanftmütiger umspringen.

So viele Formen kennt das Gebet – aber was ist es denn im Kern? Worauf kommt es denn an?
Der heilige Pfarrer von Ars, ein einfacher französischer Dorfpfarrer vor zweihundert Jahren, war beeindruckt von einem armen Bauern, den er in der Kirche beobachtete. Der Bauer saß einfach nur da, sehr lange, und der Pfarrer fragte ihn: „Was betest du?“ Der Bauer antwortete: „Ich sage nur: Herr, Du bist da, und ich bin da!“ Beten heißt hier: in der Gegenwart Gottes leben. „Du bist da!“ Der eigenen Seele dafür Raum geben, das zu erspüren: Du bist da. Du gehst mit. Und sich dafür etwas Zeit lassen.

Das heißt nicht: Immer an die Gegenwart Gottes denken! Vergleichen wir das mit Familien: sie wissen und verlassen sich darauf, dass sie zusammenstehen und füreinander das Beste wollen. Das trägt sie, das gibt ihnen Halt. Das ist sozusagen der Boden, auf dem sie stehen. Aber deshalb wird der Mann wohl nicht den ganzen Tag und auf der Arbeit an seine Frau und an seine Kinder denken. Ganz tief drinnen lebt er mit ihnen, und manchmal aus ihnen, und das ist viel mehr!

„Mit Gott leben“ – das könnte so selbstverständlich werden wie der Herzschlag, wie das Atmen, Ein- und Ausatmen, das wir ja auch nicht ständig beobachten.
Mit Gott leben – das ist der „Herzschlag“ eines Christen. Das ist der „Boden“, das Fundament des Gebetes, und nicht die aktuelle und grüblerische Frage, ob unsere Bitten erhört werden.

So verstehe ich das Wort des Paulus: Betet allezeit! Das ganze Leben soll Gebet sein – über alle bloßen Worte hinaus: Leben in der Gegenwart Gottes.