Gast und Freund

Predigt am 17.07.2022


Ein Gast sein ist schön, Gäste haben fast noch schöner. In den letzten Jahren hatten wir kaum dieses Vergnügen. Corona hielt uns auf Abstand. Wir verlernten die Gastfreundschaft. Jetzt kommt sie langsam zurück.

Gast – das ist ein kostbares Wort. Es gilt von der Wiege bis zur Bahre. An der Wiege, bei der Taufe, habe ich manchmal zitiert: „Kinder sind Gäste, die nach dem Weg fragen.“ Und an der Bahre, bei einer Trauerfeier, singen wir immer wieder das Lied: „Wir sind nur Gast auf Erden…“ Das Bild vom Gast ist sehr geeignet, um das Leben in einem Wort zusammenzufassen. Wir sind Gäste, wir sind eine Leihgabe an die Welt, wir sind en passage, auf der Durchreise – auch wenn wir es auf 90 Jahre bringen.

Die Bibel hat ein ganz starkes Gefühl dafür. Die Gastfreundschaft wird hochgeschätzt. Sie zeigt uns ganz deutlich, dass wir aufeinander angewiesen sind. Leben heißt, gemeinsam am Tisch zu sitzen, an einem langen Ausziehtisch: zu essen und zu trinken, miteinander zu reden, das Leben zu feiern und miteinander zu teilen. Und niemanden auszuschließen!
Jesus war andauernd Gast. Von seiner eigenen Privatwohnung und einem Haus, einem „festen Wohnsitz“ ist nie die Rede. Er ist bei den anderen zu Gast. Bei vielen Gastmählern ist er dabei. Selbst nach seinem Tod wird er noch als Gast erfahren. So in dem Dorf Emmaus. Er redet vom Reich Gottes und beschreibt es gerne wie ein Mahl, wie eine Hochzeitsfeier mit vielen Gästen. Er, der Sohn Gottes, tritt nicht auf in der starken Position des Hausbesitzers und Gastgebers, sondern in der schwachen Rolle des Gastes. Man kann ihn einladen, man kann ihn aber auch ablehnen und ihm die Tür weisen. Man kann ihn auf die Gästeliste setzen – oder nicht.
So ist Gott in unserer Welt. Unterwegs als Gast. Man kann ihn in sein Leben einladen – oder aussperren! In unserer Zeit und unserem Land vielleicht immer seltener auf der Gästeliste.

Die anschaulichste und farbigste Erzählung von Gastfreundschaft findet sich in der heutigen Lesung – Gen 18. Abraham zeltet bei den Eichen von Mamre. Drei Fremde kommen zur Mittagszeit. Fremde! Da ist doch Vorsicht geboten. Oder der Griff zum Dolch! Es könnten doch Feinde sein, mit schlechten Absichten! Aber der antike Mensch des Orients denkt so nicht. Er wendet die Angst vor dem Fremden ins Gegenteil, behandelt ihn mit überschwänglicher orientalischer Gastfreundschaft! Der Fremde braucht doch Hilfe mitten in der Wüste, mitten im Ödland. Als Meister der Gastfreundschaft zeigt sich nun Abraham. Es ist köstlich zu sehen, wie er sich vor den drei Fremden tief verneigt, wie er „zu Diensten“ steht, hin und her eilt, das Küchenpersonal auf Trab bringt, Wasser für die Fußwaschung holen lässt, eine kleine Erfrischung reicht, für Brotfladen sorgt – drei Sea feines Mehl soll seine Frau Sara kneten und backen, das sind immerhin 20 kg fürs Brot: Abraham lässt sich wahrlich nicht lumpen! Und Kalbschnitzel werden auch hingebracht zu den drei Fremden unter den Eichen, die es sich schmecken lassen. Eine Stimmung wie heute in den Biergärten.

Ein wunderbares kleines Kapitel Gastronomie also! Aber noch viel mehr! Denn es heißt: In diesen drei Fremden erschien ihm der Herr.
Gastfreundschaft ist also nicht nur eine Gelegenheit, Gutes zu tun – Hungrige zu speisen –, sondern eine Möglichkeit, Gott zu begegnen, der incognito, gleichsam durch die Hintertür, zu uns Menschen kommt.

Viele Legenden erzählen vom heiligen Gast – wie Gott im Fremden kommt, der unbekannt, mittel- und machtlos, auf Hilfe angewiesen bei dir erscheint, auf der Matte steht. Was nun: Tür auf oder zu?
In der Ordensregel des hl. Benedikt steht z.B. geschrieben: Kommt ein Wanderer des Weges, so beherberge ihn wie den Heiland selbst! Behandle – an der Klosterpforte – den Fremden so, als wenn Christus vor einem stünde.

Der Journalist Michael Holzach, der vor rund 40 Jahren den Versuch gemacht hat, wie ein Bettler durch Deutschland zu trampen, wirklich mit nichts in der Tasche, erzählt in seinem Buch „Deutschland umsonst“, dass nirgendwo in unserem Land die Türen und Herzen so aufgingen wie in katholischen Klostergegenden, etwa in Bayern. Als ein Klosterbruder ihn an der Pforte abweisen wollte, murmelte der vermeintliche Bettler: „Aber, wenn nun der Herr vor Ihnen stünde?“ Das hat den Pförtner so berührt, dass er ihn gleich zum Abendessen in der Abtei einlud.

Vielleicht kommt Gott auf ähnliche Weise auch zu uns. Hoffentlich verpassen wir ihn nicht! Ich muss an eine Spruchkarte denken: Gott besucht uns häufig, aber meistens sind wir nicht zuhause. Was der andere will und braucht, nehmen wir dann nicht wirklich wahr. Wir sind nur mit einem Ohr dabei, sind nicht wirklich in uns „zuhause“, nicht bei der Sache, nicht bei ihm.

Martin Buber, ein berühmter jüdischer Denker, erzählte einmal: Ein unbekannter junger Mann suchte ihn auf, ohne dass er selber mit dem Herzen dabei war. Es kam zu einer freundlichen Plauderei – aber Buber bemerkte nicht, dass der Besucher in großer innerer Not war, Fragen hatte, die er nicht zu stellen wagte, und im Ringen um eine ganz wichtige Lebensentscheidung gerade in dieser Stunde zu ihm gekommen war. Buber machte sich die fehlende Aufmerksamkeit zum Vorwurf und lernte daraus: „Seitdem suche ich Gott im Alltag. In dem, was passiert. Ich achte darauf, wie ich jetzt in Anspruch genommen werde. Und ich weiß, wer spricht und Antwort verlangt!“

Ähnlich Meister Eckhart, der große Denker des Mittelalters:
Was ist die wichtigste Zeit?
Die wichtigste Zeit ist immer die Gegenwart, der gegenwärtige Augenblick.
Wer ist der wichtigste Mensch?
Der wichtigste Mensch ist immer der, der dir gerade gegenübersteht.

Wahrheiten, die man gerade im Umgang mit dem Gast einüben kann.