Seitenblicke ins Katholische.
Neue Erfahrungen mit der Kirche

Vortrag in der evangelischen Erlöserkirche Lüdenscheid am 13.6.2022
(gekürzte Fassung)


3.
Die zweite Erfahrung: Öffnungen im Gehäuse


Das 2. Vatikanische Konzil (1962-65) wirkte wie ein Türöffner. Papst Johannes XXIII wollte die Fenster aufmachen, damit frische Luft in die Kirche kommt. Die neue Erfahrung: Die Kirche ist im Gespräch – eine Weltkirche, mehr als 2500 Bischöfe sind versammelt. Und die konkrete Welt wird, in einer hoffnungsvollen Sicht, zum Thema; neue Leitgedanken bestimmen die Debatten: Reform. Dialog. Ökumene. Dienst. Kirche wird als wanderndes Volk Gottes gesehen.
Und das zitierte Lied („Ein Haus voll Glorie…“) bekommt zwei neue Strophen, die das erneuerte Kirchenverständnis ausdrücken: „Seht Gottes Zelt auf Erden. Verborgen ist er da, in menschlichen Gebärden bleibt er den Menschen nah. … Sein wandernd Volk will leiten der Herr in dieser Zeit, Er hält am Ziel der Zeiten dort ihm sein Haus bereit.“ – Und als die Gemeinde St. Petrus und Paulus in Lüdenscheid in der Konzilszeit eine neue Kirche baut, hat die die Form eines Zeltes. Eines Zeltes für die Pilger, das neue Modell der Christen auf ihrem Lebens- und Glaubensweg. Der Weg wird zum entscheidenden Bild. Glaube heißt nun: Auf dem Weg sein, ihn unterwegs leben und bewähren. Die klassische Vorstellung: Wahrheit als Besitz einer geistlichen Schatztruhe, Fürwahrhalten von Sätzen / Dogmen, greift nicht mehr. Orthodoxie wird ergänzt, wenn nicht abgelöst durch Orthopraxie (das Rechte tun).

Und die Gemeinde wird nun als Familie verstanden. Bei dem Wort ging einem das Herz auf: Gemeinde. Dieses emotionale, idealistische Verständnis war neu in der Kirchengeschichte. Die klassische Pfarrei war eher eine geistliche „Tankstelle“ zum Empfang der Sakramente und in der Predigt zur Belehrung und Ermahnung. Und nun wird die soziale Dimension, die Gemeinschaft betont: Wer mitmacht, erlebt Gemeinde: Lebendige Gemeinde, aktiv sein in der Gemeinde, jeder hat sein Charisma, seine Gabe, die er einbringen kann. Und Gruppenmütter werden z.B. ermutigt, den Kommunionunterricht in Gruppen zu gestalten. Ihr Widerstand: „Wir können das doch nicht, wir haben doch nicht studiert“ wird beantwortet: Ihr könnt das! Probieren wir es zusammen aus! Der Priester wird zum motivierenden Ermutiger.

Das Konzil war für mich und für viele wie ein Frühling: und diesen Hauch des Frühlings spüre ich noch heute, mehr als 55 Jahre danach, in mir.

4. Nächste Erfahrung: Wie kurz der Weg vom Frühling in den November und in den Winter sein kann.