Dreifaltigkeit

Predigt am 12.06.2022


Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes – so beginnen wir meist unsere Gebete. Die Formel ist uns vertraut. Aber können wir sie begreifen? Ein Gott – in drei Personen? Müssen wir das begreifen, auseinandernehmen können – so wie ein Mechaniker einen Motor auseinandernimmt? Oder darf das als Frage, als Geheimnis, mit uns gehen? Als etwas, das uns übersteigt, das wir nicht einfach „in den Griff kriegen“?

Ich war sieben oder acht Jahre, als ich meine damalige Grundschule verließ und anderswohin zog. Mein Lehrer schenkte mir zum Abschied ein Buch, die „Keimzelle“ meiner jetzigen Bibliothek, das erste und älteste Buch in meinem Besitz. Was schenkt man so einem Zweitklässler? Das Buch war ein kleiner Bildband mit dem Titel „Der Passionsaltar des Meisters Loedewich in der Nikolaikirche in Kalkar“. Das ist ein Schnitzaltar mit sicherlich mehr als tausend Figuren aus dem Spätmittelalter, so um 1450. Nun, das war weiß Gott kein typisches Kinderbuch! Irgendwie daneben!

Dreißig Jahre später traf ich den Lehrer wieder. Er wohnte inzwischen hochbetagt am Niederrhein, ganz nahe bei Kalkar, und ich fragte ihn, warum er mir damals ausgerechnet dieses Buch geschenkt hatte. „Ja,“ sagte er, „man muss seine Schüler immer ein bisschen überfordern. Erst dann lernen sie etwas.“ Ich glaube, das war eine sehr weise Bemerkung. Immer alles mundgerecht servieren, da kommt kein Fragen und Suchen auf. Plattes Reden: das hakt man ab. Das fordert nicht heraus.
Ein bisschen überfordern – das tut der Glaube mit seinen großen Worten: Auferstehung, Dreifaltigkeit, Erlösung. Wir kommen nicht zu Rande damit. Wir können da nichts abhaken. Aber wir können weitersuchen und weiter fragen. Wir können das Geheimnis nicht auflösen und weg erklären. Wir können es aber „bewohnen“ (Zulehner), mit ihm leben – und das ist tausend Mal besser!

Andreas Knapp, ein Priester und Dichter aus Leipzig, zur Dreifaltigkeit:

Glauben Sie
so wurde ich gefragt
an den lebendigen Gott
Und ich antwortete
Ich lebe davon
dass Gott an mich glaubt
Und was halten Sie
von Jesus Christus
Und ich antwortete
Ich baue darauf
dass er mich hält
Und was denken Sie
vom Heiligen Geist
Und ich antwortete
Dass er uns beide tief verbindet
mehr als wir uns denken können


Die Autorin Andrea Schwarz hat dazu ein einprägsames Bild gefunden: Gott hat drei Hände. Wir haben in der Regel nur zwei und können als Links- oder Rechtshänder jeweils ganz verschiedene Dinge tun. Umso mehr Gott mit seinen drei Händen!

Die erste Hand ist die des Vaters, des Schöpfers. Großartig hat Michelangelo das in der Sixtinischen Kapelle in Rom gemalt. Die Erschaffung des Adam! Eigentlich ist es nur ein Finger, den Gott ganz vorsichtig, ganz sanft und sacht nach vorn streckt; gleich wird er den Adam damit berühren. Und von ihm berührt und zum Leben eingeladen, wacht der Mensch auf, öffnet die Augen, staunt, lebt, ist voller Sehnsucht und Neugier, steht auf… und geht los. Der Schöpfer, der Vater hat ihn ins Leben gerufen.

(Orgel)

Aber wie geht es dann weiter im Leben? Was macht das Leben mit einem? Es kann sein, dass wir uns verlieren, dass wir uns verirren, dass wir auf Abwege geraten. Dass wir nur „mit halber Kraft leben“, auf Schmalspur. Es kann sein, dass das, was die Bibel „Sünde“ nennt, Verlorenheit, Verirrung und Macht des Todes, uns beherrscht. Das, was der Schöpfer in uns hineingelegt hat, kommt dann nicht ans Licht und ans Leben. Es bleibt verdunkelt.

Hier, in dieser schwierigen Lage als Menschen, kommt nun die zweite Hand ins Spiel. Es ist die Hand Jesu Christi, des Erlösers, des Befreiers. Wir finden sie auf einer alten ägyptischen Ikone, die durch Taizé sehr bekannt ist. Man nennt sie die Ikone vom „Mitgeher“. Es ist mein Lieblingsbild. Der Schöpfer, der Vater, hat Jesus Christus gesandt, um sein Mit-Gehen mit uns Menschen deutlich zu machen. Er wird zum Bruder neben uns. Brüderlich, freundschaftlich, „auf Augenhöhe“ geht er mit uns, legt uns die Hand auf die Schulter, gibt Kraft, stärkt uns den Rücken, holt uns heraus aus den Abgründen. Er zeigt uns, dass wir niemals ganz allein sind. Er, der damals in den Straßen Israels Blinde, Taube und Aussätzige geheilt hat – er, der schwere Schuld vergab – er, der die verlorenen Seelen fand –: ER wirkt das auch heute. Mit zupackender Hand.

(Orgel)

Gott wirkt auf uns ein. Als Schöpfer ist er uns voraus. Als Erlöser geht er neben uns. Als Heiliger Geist wohnt er in uns.

Das dritte Bild und die dritte Hand habe ich im Internet gefunden – unter dem Stichwort „Hände“. Genauer gesagt: Es sind zwei Hände, die zusammen ein Herz formen. Und in diesem geformten Herzen wird das starke Licht der Abendsonne sichtbar.
Ich brauche den anderen, um mein Herz zu entdecken. Ich brauche den anderen, um lieben zu können, um Frieden und Versöhnung und so vieles mehr in der Welt zu stärken. Der Heilige Geist, der Geist Gottes traut mir, traut uns das zu! Er braucht uns als seine Mitarbeiter in seiner Welt. Die Initiative und Kraft, die von Gott und von Jesus ausgeht, geht auf uns über. Wir werden durch den Geist in das Kraftfeld Gottes hineingezogen. Wir bleiben nicht stumm und passiv. Gott bezieht uns ein in Sein Leben! Und darum erscheint in der Mitte des Herzens das Licht. Sein Licht. Er selber. Als die Mitte der Liebe.

Drei Hände also. Sacht berührend. Auf die Schulter gelegt. Zum Herzen geformt.
Vielleicht merken Sie, dass die Dreifaltigkeit alles andere ist als eine abstrakte Lehre im luftleeren Raum der Theologie. Sie hat ganz viel – eigentlich alles – mit unserem Menschsein zu tun!