Der Garten Eden oder Jerusalem: das Paradies

Predigt am 22.05.2022


Sitzen Sie gern im Grünen? In Parks und schönen Gärten? Oder lieber in einem Straßencafé in Freiburg oder Florenz? In beiden Fällen hätten Sie die Bibel auf Ihrer Seite! In beiden Fällen würde die Bibel sogar vom Paradies sprechen. Paradies-Garten am Anfang, in der Schöpfungsgeschichte – und Paradies-Stadt, das himmlische Jerusalem, am Ende, in der Apokalypse, auf den letzten Seiten der Bibel.

Am Anfang also: der Garten Eden. Fruchtbar, wasserreich, voller Bäume, Sonne und Schatten, alles in Blüte – paradiesisch! Die Wüstenbewohner des Orients kannten eher Dürre und Trockenheit und Hitze, da muss ihnen das Wasser im Munde zusammengelaufen sein. Eine einzige Oase, das Paradies! Was gab es Schöneres? Und so kommt unsere sinnliche Vorstellung vom Paradies zustande: ein wunderbarer Garten!
Was wurde daraus? Adam und Eva – d.h. der Mensch, die Menschheit – wurde aus dem Garten vertrieben. Das Paradies ging verloren. Aber es blieb ein Traum zurück: die Sehnsucht nach einer heilen Welt, wo alles in Ordnung ist, in Harmonie.
Die heutige Werbung weiß darum, wenn sie Traumstrände mit Palmen in der Karibik zeigt und dann totsicher vom Urlaubsparadies spricht. Für den Menschen von heute liegt das Paradies also oft in den Ferien. Man muss ein Flugzeug nehmen, um ins Paradies zu kommen!
Ob man auch zuhause das Paradies erleben kann? Das will ich doch schwer hoffen! Man braucht kein Flugzeug, man braucht – Gott! Paradies und Gott: das lässt sich nicht voneinander trennen.

Im Garten Eden war Gott alles in allem. Und der geschaffene Mensch durfte mit ihm leben. Gott und Mensch gingen im Garten sozusagen miteinander spazieren. Schöpfer und Geschöpf gehörten zusammen, waren eine Einheit. Diese Einheit – das ist der Kern der Sache, wenn man religiös vom Paradies spricht. Eine Einheit, so wie das Kind im Mutterleib mit der Mutter. Diese Einheit zerbrach, musste vielleicht auch zerbrechen: Adam und Eva waren mit ihrem eigenen Kopf geschaffen. Das heißt: der Mensch ist frei, keine Marionette Gottes. Er nabelt sich ab und wird erwachsen. Er muss sich entscheiden. Er kann schuldig werden. Er kann sich entfernen. Aber in ihm lebt weiter die Sehnsucht nach dem Paradies – gerade dann, wenn er um sich schaut und sieht, wie teuer ihn die Freiheit zu stehen kommt. Wenn er die Trümmer und Ruinen sieht, den Krieg, die zerbrochenen Beziehungen, die Gewalt, den Raubbau an der Schöpfung, – ja, dann kann der Mensch wohl denken: es müsste doch anders gehen, ganz anders! Dann denkt und wünscht er, mehr oder weniger deutlich, das Paradies. Und Gott sah, dass es gut war, heißt es in der Schöpfungsgeschichte. Dieses Gutsein des Lebens möchte der Mensch wieder erfahren.

Für viele Menschen ist die Welt eine Wüste geworden, unwohnlich und sehr, sehr anstrengend. Aber es gibt Oasen darin. Situationen, Orte, Zeiten, wo etwas vom Paradies geblieben ist – für jeden anders. Stunden des Glücks, eine kleine „heile Welt“ in so viel Unheil: Freundschaft und Liebe, ein wirkliches Zuhause, die Enkelkinder, Schönheit in der Natur, Kunst, Musik, tief berührende Erfahrungen auch des Glaubens, schon ein wunderbares Gespräch! In all dem meldet sich dieses Gutsein des Lebens, in all dem klingt etwas nach vom Paradies. Es ging verloren, aber in kleinen Oasen ist der Garten Eden noch da.

Wir Christen haben Jesus Christus immer wie die große Oase Gottes empfunden. Wir können bei ihm spüren: Ja, so hat es sich Gott gedacht mit der Welt, mit den Menschen. Das Verlorene ist noch da, ist wiedergefunden. Das Paradies taucht wieder auf – in einem Menschen! Bei Jesus trägt das Paradies den Namen Reich Gottes: eine Welt, in der Gottes Wille gelebt wird. Die Einheit von Gott und Mensch, wie sie in Jesus selber zum Ausdruck kommt. Und Gott sah, dass alles gut war.

Und nun wandelt sich das Bild. Ganz am Schluss der Bibel, in der Offenbarung des Johannes, wirklich auf den allerletzten Seiten, finden wir die heutige Lesung (Apk 21). Da wird nicht mehr vom Garten erzählt, sondern von einer Stadt, dem himmlischen Jerusalem. Diese Stadt wird zum Bild der Sehnsucht und der Hoffnung, zum neuen Paradies.
Was ist so anziehend an einer Stadt, dass man von ihr träumen möchte? Heute sind die Städte, zumal die ganz großen, ja kein Traum, sondern eher ein Alptraum: schlechte Luft, Smog, Verkehrsstau, Anonymität, Lärm und Hektik und Stress, Elendsviertel, Gewalt, Chaos.
Zu biblischen Zeiten waren die Städte etwas ganz Anderes: Zufluchtsorte! „Stadtluft macht frei“, so sagte man. Draußen vor den Stadtmauern war die Wildnis, da heulten die Wölfe, da hausten die Räuber und Barbaren. Städte gaben Sicherheit, die Mauern schützten. Das Zusammenleben der Menschen war geordnet, hier war gut sein! Und so erscheint in der Vision des Sehers Johannes die himmlische Stadt, die von Gott her zu den Menschen herabkommt. Man kann sie nur wie ein Geschenk annehmen, das kostbarer ist als alle Edelsteine der Welt. Diese Stadt beschreibt Johannes als kristallklar, durchsichtig, d.h. ohne dunkle Ecken, ohne krumme Touren, ohne Mauscheleien – alles liegt sozusagen sonnenklar da, transparent. Die Stadt glänzt, leuchtet, strahlt aus, d.h. sie ist anziehend, Menschen möchten dorthin, nicht weg.

Und dann: Einen Tempel sah ich nicht in der Stadt. Kein Tempel, kein Dom, kein heiliger Bezirk. Tempel und Dom sind auch nicht nötig. Denn Gott „bewohnt“ die ganze Stadt, er ist die Seele der Stadt, er ist dort alles in allem. So wird diese Stadt, das himmlische Jerusalem, zum Paradies – Gott und Mensch vereint.

Wenn ich nach Köln komme, besuche ich dort, wenn eben möglich, das Vespergebet der „Gemeinschaften von Jerusalem“ in Groß St. Martin. Man nennt die Schwestern und Brüder dort auch die Stadtmönche. Ihr Gründer sagte in einem Interview: „Wir fühlen uns als Stadtmenschen. Vorher lebte ich 2 Jahre in der Stille der Wüste Sahara. Aber die wahre Wüste heute – das ist nicht die Sahara. Das sind die großen Städte wie Paris. Dort zog ich hin. Da gibt es die Anonymität und Einsamkeit, den inneren Hunger und Durst. Wir leben in Paris, um dort eine kleine Oase zu schaffen. Ja, dort ist wie in einem Brunnen das „lebendige Wasser“ zu finden. Wir nennen uns „Gemeinschaft von Jerusalem“. Wir gehören alle geistig zu den Bürgern Jerusalems. Hier hat Jesus sein Leben vollendet. Es ist die heilige Stadt von drei Religionen, ein starkes ökumenisches Symbol, und es ist die Stadt der Endzeit, der Hoffnung auf das himmlische Jerusalem. Diese Hoffnung bewegt uns sehr und lässt uns in unserer jetzigen Stadt, in Paris leben.“

Altena oder Lüdenscheid ist sicher nicht Paris, aber auch hier sind wir eingeladen, Oasen und Brunnen anzulegen, die an das Paradies erinnern und die Hoffnung wachhalten auf das, was von Gott her noch kommt.