Johannes Broxtermann - Predigten - Gedanken

Aus dem Dornbusch eine Stimme

Predigt am 20.03.2022


In der Lesung haben wir von einer eigenartigen Gottesbegegnung gehört: Gott gibt sich dem Mose in einem brennenden Dornbusch zu erkennen.

Was war vorher passiert? Mose war aus Ägypten geflohen. Er hatte großes Glück und großes Pech gehabt in seinem Leben. Als jüdisches Baby wurde er im Nil ausgesetzt, und er überlebte im Binsenkörbchen. Das Findelkind wurde adoptiert vom Königshof des Pharaos. Mose wuchs da als eine Art Prinz auf.
Heranwachsende fragen nach ihren Wurzeln, Mose tat das auch und entdeckte seinen jüdischen Ursprung. Er lebte dann wie im Zwiespalt: nach außen hin ein Ägypter, ein Adeliger dazu - im Inneren aber ein Jude, ein Angehöriger des Sklavenvolkes.
Mose ergriff Partei für die Juden, die unter der Peitsche der Ägypter schwer zu leiden hatten. Als er die Quälerei seines Volkes mit ansehen musste, schlug er im Zorn einen ägyptischen Aufseher tot, der es besonders schlimm mit den jüdischen Arbeitssklaven getrieben hatte. Da merkten die Juden, wie dieser Mose in der Rolle eines ägyptischen Prinzen sie in Schutz nahm.

Aber in einer anderen brenzligen Situation, als Mose aus Liebe zu seinem Volk die Juden zurechtweisen musste, um sie zu schützen, da schimpften die Juden auf ihn und sagten: „Willst du jetzt über uns zu bestimmen haben, dass du so mit uns redest? Wir werden es dem Pharao melden, dass du einen von seinen Aufsehern erschlagen hast!“ Mose war tief verletzt über so viel Undank und floh aus Ägypten, denn er hatte Angst vor der Rache des Pharaos.

Man mag sich in seine Situation hineindenken. Die ganze Geschichte ist völlig verfahren. Was soll jetzt mit ihm werden? Mose blickt nicht mehr durch. Er, der vielleicht sein unterdrücktes Volk hätte retten können, wird von den eigenen Leuten verraten. Jetzt lebt er im Ausland bei einem heidnischen Hirten, bei Jitro, dessen Tochter er zur Frau nimmt. Seine ganze Laufbahn scheint verbaut, eine Sackgasse. Während er so in der Stille der Steppe mit den Schafen umherzieht, wird ihm das alles klar. Sein Leben ist verpfuscht und aussichtslos. Er ist verzweifelt. Er weiß nicht weiter. Er ist einer von den vielen ausweglosen Fällen, die es schon immer gab und immer geben wird.

Genau da passiert nun etwas. Am Tiefpunkt kommt manchmal eine Wende. Wenn man ganz unten ist, kann Rettung wachsen. Mose zieht herum und sieht: Ein Dornbusch steht in Flammen. Ein Dornbusch, ganz kahl, eigentlich zu nichts nütze, ohne Frucht, gefährlich obendrein, man kann sich an ihm stechen. Ein Bild, das zu der Stimmungslage des Moses bestens passt. Der Dornbusch, dieses Zeichen für das Nichts, steht in Flammen - er wird zum Zeichen für etwas ganz Neues. Aus dem Dornbusch, der nicht verbrennt, spricht Gott: „Mose, zieh deine Schuhe aus. Denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden!“

Was könnte das bedeuten? Da, wo nichts mehr geht, wo es nur noch düster ist, da ist heiliger Boden! Gott spricht aus dem Dornbusch, er spricht aus der Verzweiflung, er begegnet uns gerade am Tiefpunkt, wo es in uns brennt.

Eine Geschichte aus Guatemala - auch so ein „Dornbusch-Land“ - hat mich tief berührt. Ein junges Ehepaar aus dem Umfeld unseres Projektes Samenkorn verunglückte vor Jahren tödlich. Fünf kleine Kinder blieben zurück. Die Großmutter hat dann die Kinder zu sich genommen. Sie sagte damals, dass sie Gott noch nie so nah gekommen sei wie in dieser schwierigen Situation. Sie frage nicht „Warum?“, wie wir das wahrscheinlich tun würden. Gott ist ihr wirklich „in den Dornen“ begegnet, spricht aus dem Dornbusch. Gott, der zu Mose gesagt hat: „Ich kenne das Leid deines Volkes!“

Der Dornbusch in der Wüste steht in Flammen, aber er verbrennt nicht. Mose wird von seiner Verbitterung und Verzweiflung nicht verschlungen. Vielmehr spürt er: Es gibt einen Weg, einen Ausweg. Gott gibt eine Vision, ein Ziel: das Land, das von Milch und Honig überfließt. Das Gelobte Land. Ein lockendes Ziel wird gezeigt. Es liegt uns voraus. Es liegt uns immer voraus! Mose wird es kurz vor seinem Tod noch aus der Ferne sehen, aber nicht mehr betreten können. Und Gott gibt ihm den Auftrag: „Führe mein Volk dorthin. Befreie es aus der Knechtschaft!“

In der Kraft dieser Vision und dieses Auftrags findet Mose wieder Boden unter den Füßen. Er geht zurück nach Ägypten, zurück in die Hände des Pharaos. Er weiß nun, dass er nicht allein gehen muss. Gott hat seinen Namen genannt und darin sein Wesen ausgedrückt: Jahwe. Ich bin da. Der Name ist ein großes Versprechen, eine große Zusage: Ich bin da - für euch. Jederzeit, auch wenn ihr es nicht vermutet. Wenn ihr zwischen den Dornen hängt, bin ich der gute Hirt. Auch im Leiden bin ich bei euch. Durch nichts, wirklich durch nichts, trenne ich mich von euch. Ich werde mit euch gehen, der Mitgeher gibt euch niemals auf.

Ich bin, wo du bist - ein Wort der Liebe. Ein Wort des Glaubens.

Darauf verlässt sich Mose. Darauf vertraut er. Ihm wächst nun eine Stärke zu, die ihn durchs Rote Meer und durch die Wüste führt bis an den Rand des Gelobten Landes. Der Gott im Dornbusch, in den Stacheln und Dornen des Lebens lässt dann Milch und Honig fließen, gibt Brot und Wein. Der Gott des Kreuzes geht uns voran.