Johannes Broxtermann - Predigten - Gedanken

Verklärung – in der Verdüsterung

Predigt am 13.03.2022


Hier bei uns ist es ziemlich düster in vielen Köpfen und Herzen. Erst zwei lange Jahre der Pandemie, und nun obendrauf noch der Ukrainekrieg. Ich treffe viele, die die Situation nur schwer aushalten. Es geht ihnen sehr nah, wie die Menschen leiden: die zerstörten Häuser, die Toten, der Mangel an Wasser, Strom und Lebensmitteln. Unzählige Familien werden auseinandergerissen, Frauen und Kinder sind auf der Flucht, es ist so ungewiss, ob und wann sie ihre Männer und Väter wiedersehen. Dazu kommt die Angst: Droht ein Dritter Weltkrieg? Oder ein Atomschlag? Wohl alle fühlen sich sehr hilflos. Prallt alles an dem Angreifer ab? Oder gibt es noch kleine Chancen für die Hoffnung?

Es ist ziemlich düster in uns. Eine Seelenfinsternis. Vielleicht auch eine Gottesfinsternis. Gott, wo bist du? Bist du da? Gehst du dazwischen? Veränderst du die Lage? Gott, du bist doch das Licht. Leuchte hinein in unsere verdüsterten Herzen. Erleuchte uns!

In der Bibel fand ich diese Worte des Paulus (1 Thess 5, 4 ff):
„Ihr aber lebt nicht im Finstern. Ihr alle seid Söhne und Töchter des Lichtes und des Tages. Wir gehören nicht der Nacht und nicht der Finsternis. Wir, die wir dem Tag gehören, wollen nüchtern sein und uns rüsten mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf das Heil.“

Ich denke: Das sind Worte genau für uns! Wir gehören nicht der Finsternis, und die Verdüsterung und die Angst sollen nicht das letzte Wort haben. Die Nacht bringt uns manchmal zwischen Schlaf und Halbschlaf trübe Gedanken, verzerrende Träume und Wahnbilder. Der Tag ist die Zeit, um klar und nüchtern zu sein – Zeit des Lichtes, das aufklären und erleuchten kann. So können wir uns wieder deutlicher sehen und aus mancher Blindheit herausfinden. Wir sind gerüstet, so sagt Paulus in kämpferischen Bildern, „mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf das Heil“.

Das sind die Waffen der Christen: Glaube. Hoffnung. Liebe. Wir dürfen den Ukrainern durchaus reale Waffen wünschen und ermöglichen, um sich und ihre Freiheit zu verteidigen. Aber unser „Beruf“, unser christlicher Auftrag ist jetzt: Glaube, Hoffnung, Liebe. Flüchtlingen helfen. Gastfreundschaft. Solidarität. Niemanden dämonisieren, auch nicht das russische Volk. Nicht alle Brücken abbrechen. Nachdenken. Wo nötig, Umkehr, und Vergebung.
Und – ganz wichtig – das Gebet.

Denken wir gut 30 Jahre zurück. Im Osten Deutschlands gärt es. Tausende treffen sich zu Friedensgebeten, Hunderttausende gehen danach auf die Straße. Die Stimmung ist explosiv. Jederzeit ist ein „großer Knall“ zu befürchten, ein Blutbad. Die deutsche Einheit wird uns aber geschenkt ohne Blutvergießen, ohne Bomben und Gewehre. Kein einziger Toter! Es war wie ein Wunder. „Die Einheit kam durch Kerzen und Gebete“, sagte ein Sprecher der Bürgerbewegung.

Durch Kerzen und Gebete kann auch heute viel Gutes entstehen. Gott sagt nicht wie in der Fernsehsendung: „Wünsch dir was!“ – und es passiert. Da läuft nichts automatisch! Gott lädt uns eher ein, dass wir beten: „Dein Reich komme“ – ja, und es geschieht! Das Reich Gottes wächst da, wo gebetet wird, wo Menschen sich im Gebet auf Umkehr und Versöhnung einlassen, auf die Nächsten- und selbst die Feindesliebe, auf den Frieden, auf Gottes Schalom.

Es sieht so aus, dass da gerade ein richtiger Wachstumsschub im Reich Gottes läuft – in der Ukraine selbst, wo die Haltung so vieler nur tief berühren kann, aber auch in Polen mit seiner riesigen Gastfreundschaft, und selbst bei uns.

Die Dunkelheit und die Verdüsterung ist also da, die Angst, aber auch das Licht des Tages, das Licht Gottes, mit mancher Erleuchtung.

Ich nehme nun unser Evangelium von der Verklärung auch als eine Geschichte für uns heute. Als einen großen, sehr symbolischen Hoffnungstext – mit „ganz viel Licht“! Die drei Jünger kommen mit Jesus aus der Ebene, wo sich das normale Leben abspielt, wo die Leute mit all ihren Nöten und Ängsten wohnen. Und da wird es zum Schluss wieder hingehen, in die Ebene, auf den Weg, der nach Jerusalem führt, dem Ort der Kreuzigung. Der Aufstieg auf den Berg führt zwischendurch zur inneren Stärkung: der Berg bringt näher zu Gott; die Vier unterwegs wollen dort beten. Im Gebet beginnt Jesus zu strahlen – er „leuchtet“. Das Licht Gottes spiegelt sich förmlich wider in ihm. Und Gott steht zu ihm und ruft ihn aus als den „geliebten Sohn“.

Aber er ruft aus der Wolke, die ihn verbirgt. Immer bleibt Gott der Verborgene, anwesend und abwesend zugleich, das große Geheimnis des Glaubens. Die Jünger fürchten sich, als die Wolke sie umgibt. Sie hätten Gott gerne greifbarer, „handfester“, eindeutiger, ohne Fragen und Zweifel. Petrus will sogar drei Hütten bauen und diese glücklichen Momente zwischen Anbetung, Staunen und Gottesfurcht verewigen. Aber es bleibt nur die Stimme. Von Gott bleibt die Stimme, die ganz und gar aus Jesus spricht. Es bleiben die Worte Jesu. Und es bleiben – quer durch die Zeiten – Menschen, die diese Worte leben. Nicht, weil sie müssen, sondern weil sie dürfen. Weil sie Jesus lieben. Auch viele von ihnen „leuchten“ – das Leuchten „färbt wohl ab“. Und vieles von diesem Licht ist gerade heute sichtbar, liegt förmlich in der Luft, in dieser Zeit großer Bedrängnis.

Zwischen der dunklen Wolke – der Verdüsterung – und dem Leuchten des Guten ziehen wir dahin. Achten wir auf das Leuchten. Es zeigt uns den Weg.