Johannes Broxtermann - Predigten - Gedanken

Joseph, im Hintergrund

Predigt am 19.03.2022 in Nachrodt


Heute feiert diese Gemeinde ihren Namenstag. Viele Kirchen sind nach dem hl. Joseph benannt. Bei uns in Lüdenscheid gibt es für die zentrale Kirche am Sauerfeld einen Doppelnamen: St. Medardus, seit dem Mittelalter, und, ihm noch vorgeschaltet: St. Joseph. Joseph – der Name wurde im 19. Jahrhundert dazu gefügt. In dieser Zeit – 19. Jahrhundert – boomte der Name des Heiligen. Warum? Es war ja das Zeitalter der Industrialisierung – Millionen Männer wurden Industriearbeiter, im Bergbau, in den Fabriken. In meiner Heimat, im Ruhrgebiet, gab es fast nichts anderes. Man war beschäftigt bei Krupp oder Thyssen. Und da kam der Zimmermann und Bauhandwerker Joseph aus Nazareth gerade recht – die Arbeiter hatten im Himmel einen Patron, einen Verbündeten – einen aus ihren Reihen. Einen, der auch mit seinen Händen gearbeitet hat! Und das war ihnen näher als die sonstigen Heiligen, die Kirchenlehrer und Mönche und Bischöfe.

Aber Joseph deckte nicht nur den wichtigen Lebensbereich der Arbeit und Berufswelt ab, sondern auch den der Familie. Der Kult der hl. Familie – mit eigenem Kirchenfest nach Weihnachten – entstand ebenfalls im 19. Jahrhundert. Und auch das hatte seinen Grund. Eine Familie des Jahres 1880 lebte völlig anders als eine Familie hundert Jahre vorher: lebte immer mehr in großen Städten, auf engem Raum, in ziemlicher Armut, mit sehr wenig Freizeit, fernab der Natur, und die Fabrikarbeit diktierte das Leben. Eine riesige Herausforderung mit großen Problemen für die Familie! Die Kirche suchte nach Vor- und Leitbildern, an die sich in dieser Umbruchzeit die Menschen halten konnten. Und da passte der hl. Joseph sehr gut; er verband in seiner Person diese beiden wohl wichtigsten Lebensbereiche: die Arbeit und die Familie.

Warum gerade er? Er kam doch aus einer weit entfernten Zeit! Fast zweitausend Jahre her – das ist doch ein riesiger Graben! Das ist wahr. Aber die Bibel deutet eine Grundhaltung dieses Mannes an, die uns heute noch ansprechen kann. Die Bibel sagt: Er ist ein Gerechter. Das ist so etwas wie ein großer Ehrentitel. Ein Gerechter ist einer, der in einer rechten, guten Beziehung zu Gott steht, der auf Gott vertraut und nach dem Willen Gottes lebt, so gut er kann. Nicht der eigene Wille und die eigene Durchsetzung spielen da die Hauptrolle. Er lässt sich auf die Zumutungen Gottes ein, auf das, was Gott mit ihm vorhat. Joseph ist meilenweit entfernt vom Männertyp seiner Zeit, vom „Macho“, vom Patriarchen, der über seine Großfamilie bestimmt, der immer im Befehlston redet und sich bedienen lässt.

Nein, Joseph ist ganz anders. Er lebt mehr mit den Ohren als mit dem Mund.

Ein Hörender, ein Lauschender ist er, auch ein Träumender, einer, der in seinen Träumen die Sprache der Engel versteht. Heute würden wir sagen: ein meditativer Mensch. Ein Stiller im Lande. Er macht kein Aufhebens von sich, zieht keine Show ab, will nicht im Mittelpunkt stehen. Also steht er im Hintergrund.

In vielen Weihnachtsbildern kann man das deutlich sehen. Da sitzt er etwas abseits, manchmal schläft er auch. Er denkt nach – und hat ja auch genug zu bedenken: was für ein Kind ihm da in die Krippe, in die Wiege gelegt ist. Die Bibel legt großen Wert darauf: Das Kind kommt nicht von ihm – welcher Mann hätte das Wunder Jesus zeugen können? Nein, die Josephs-DNA könnte den Jesus Christus nicht erklären. Jesus ist ganz gewiss nicht das Produkt aus Vererbung, Erziehung und Umwelt. Die Werkstatt in Nazareth, diesem hinterletzten Kuhdorf am Ende der Welt, führt uns nicht an sein Geheimnis heran. Das Kind, betont die Bibel, kommt von Gott, ist ganz menschlich und ganz göttlich zugleich. Uns modernen Christen, die wir an dieser Stelle gern genauer Bescheid wüssten, wird in unserer Neugierde nicht weitergeholfen. Es geht nicht um Biologie, sagt die Bibel und mit ihr die Kirche. Es geht darum, wer Jesus wirklich ist – der Mensch, der nur von Gott her verständlich wird: „Die Liebe Gottes in Sandalen“, wie der große Theologe Karl Rahner treffend sagt.

Joseph ist im Hintergrund. Aber er kümmert sich. Er ist ein Meister der Fürsorge. Der Hörer Joseph ist auch ein Hüter, ein Behüter und Beschützer. In manchem Weihnachtsbild zündet er ein Feuerchen im Stall an, damit das Kind und seine Mutter nicht frieren. In einem Bild zieht er sich sogar die Hosen aus, um das Kind damit zuzudecken. Er organisiert die Flucht nach Ägypten. In der Familie in Nazareth verdient er das Geld. Sein Beruf ist das Bauhandwerk. Wahrscheinlich hat er im nahen Zipporis, einer größeren römischen Stadt, die gerade in der Nähe entsteht, Häuser gebaut. Er führt Jesus liebevoll in das alltägliche Leben und in den Glauben seines Volkes ein.

Die Liebe – das sind bei ihm Taten. Worte sind von ihm nicht überliefert. Kein einziges! Er wirkt durch sein Dasein. Und verschwindet ganz still und leise aus der Geschichte. Von seinem Altern und seinem Tod ist nichts bekannt. Dass er einmal verehrt würde, davon hat er gewiss nicht geträumt! Vielleicht schüttelt er im Himmel den Kopf darüber. Wenn es ein Wort von ihm gäbe, dann wäre das vielleicht: Schaut nicht auf mich. Hört auf Gott – auf seine Stimme in euch. Und folgt Jesus auf seinem Weg!

Das genügt. Im Beruf und in der Familie. Das genügt, um ein Christ zu sein.