Johannes Broxtermann - Predigten - Gedanken

Wohl und Wehe – die Feldrede Jesu

Predigt am 13.02.2022


In den letzten Jahren war ich öfter im Jobcenter, um Flüchtlinge zu begleiten. Da saß ich dann im Warteraum zwischen Leuten, die wir hier in unseren Gottesdiensten und Gemeindetreffen kaum vorfinden. Ganz junge, alleinerziehende Mütter mit ihren Ba-bys im Kinderwagen, Ausländer aus allen Teilen der Welt, Ältere, die sich nur schwer in eine Arbeit vermitteln lassen. Fast alle in schwarzen Jogginganzügen. Alle arm oder arm dran. Viele müde, enttäuscht, ausgelaugt vom Leben. Nicht immer ein schöner Anblick.

Ja, Armut hat erstmal nichts Schönes an sich, nichts Anziehendes. Sie kommt oft deprimierend daher. Darum wird sie gerne versteckt. Darum verdrängen viele sie aus ihrem Blickwinkel. Niemand will arm sein – wenn man es aber ist, will man das nicht unbedingt zeigen. Armut bleibt gern im Verborgenen: Wer gibt schon gerne zu, auf soziale Unterstützung angewiesen zu sein?

Noch häufiger wird die innere Armut, das Unglücklichsein, hinter Masken versteckt. Man spielt Stärke vor, man spielt „Mir geht es gut“. Wie‘ s drinnen aussieht, geht keinen was an. Hauptsache: die Fassade bewahren.

Im Evangelium, in der „Feldrede“ bei Lukas, vor unzähligen Zuhörern schaut Jesus hinter die Fassaden. Die Leute bekommen zu hören: Selig ihr Armen! Euch gehört das Reich Gottes! Merkwürdige Worte Jesu! Den Armen gehört doch etwas? Das Reich Gottes? Ja, sagt Jesus. Wir müssen gar nicht so tun, als wären wir gut dran und gut drauf. Wir müssen das Versteckspiel nicht mitmachen. Wir dürfen ehrlich sein. Und wenn wir uns so richtig verloren und mies vorkommen, dann – so sagt Jesus – kann Gott unser Reichtum sein. Er steht zu uns. Nicht, weil wir so toll und so gut sind, sondern weil er so gut ist. Wenn uns das aufgeht, dann haben wir die Schwelle ins Reich Gottes schon hinter uns.

Selig, die ihr jetzt hungert. Ihr werdet satt werden! Auch dieses Wort kann uns Mut machen. Hunger – das heißt: Sehnsucht. Sehnsucht nach Zuwendung und Geborgenheit, ja oft nur nach einem guten Wort, nach kleinen Zeichen des Wohlwollens. Jesus sagt: „Ihr werdet satt werden!“ Das ist kein leeres Versprechen! In Gott kommt unsere Sehnsucht zur Ruhe. So hat es der große Heilige Augustinus erfahren: „Unruhig ist unser Herz, bis dass es seine Ruhe findet in dir!“

„Selig, die ihr jetzt weint! Ihr werdet lachen!“ Wenn jetzt Enttäuschungen, Verletzungen, Trauer uns die Tränen in die Augen treiben, lasst sie zu, unterdrückt sie nicht! Aber seid offen für die andere Seite, für die Spuren der Hoffnung, für die Freude, für das Lachen, für die Weite Gottes, der uns niemals ausschließt und der der Trauer nicht das letzte Wort lässt.

Solange wir hinter einer Maske leben, verwenden wir viel Kraft darauf, ein Bild von uns zu zeigen, das wir gar nicht sind. Ihr braucht, sagt Jesus, euch selbst und den anderen gar nichts vorzumachen. Ihr könnt hinter der Fassade hervorkommen. Ihr braucht euch nicht selber zu belügen. Und Gott auch nicht.

Wohlgemerkt: Nicht die Armut erklärt Jesus zum Ideal, nicht den Hunger und nicht die Trauer. Das wäre ja auch zynisch: die dunklen Seiten des Lebens schön zu reden und hell zu streichen. Jesus preist die Armen und Trauernden selig – also nicht die Zustände, sondern die Menschen, die davon betroffen sind. Die dunklen und wunden Stellen im Leben sollen uns nicht beherrschen, und wir müssen uns nicht auf sie festlegen und fixieren. Ein Hartz4-Empfänger, oder ein Depressiver, oder ein Flüchtling ist immer mehr als das – er ist immer ein Mensch mit vielen Facetten. Immer sind wir mehr, als wir scheinen. Die wunden Stellen und die Narben sind nicht das „dicke Fell“, mit dem wir uns panzern und abschirmen. Sie sind im Gegenteil die Stellen, wo das Leben bei uns anklopft und Neues bei uns in Gang kommen kann, ein Wachsen und Reifen – und die Hoffnung, dass Gott „alle Tränen abwischen wird von unseren Augen“ (Apk 21)

In scharfem Kontrast zu diesen Seligpreisungen stehen die Wehe-Rufe. Wehe den Reichen und Satten und immer nur Spaßhabenden und immer nur mit Beifall und Applaus Bedachten auf der Siegerspur! Wehe euch – durch diese Warnungen fragt Jesus seine Hörer: Welchen Weg wollt ihr gehen? Das Wehe wird denen zugerufen, die das Reichsein jetzt, das Satt-Sein jetzt, das Lachen jetzt, das schöne Gerede der anderen jetzt für das Ganze und für das Entscheidende halten und sich darin sonnen und sich daran klammern. Passt auf, meint Jesus, dass euer Besitz nicht zu innerer Leere und Langeweile führt. Dass euer Satt-Sein euch nicht abstumpfen lässt. Dass ihr vom Beifall der anderen nicht abhängig werdet und euch selbst verliert. Ihr habt euren Trost schon weg, sagt Jesus. Sie haben ihren Trost schon weg, weil sie vom Menschen viel zu klein gedacht haben. Als wenn es mit dickem Bankkonto, mit übervollen Kühlschränken, mit Bettaffären und dauerndem Erlebnis – und Spaßmodus schon genug sei für ihn.

Wo doch Gott den Menschen so sehr viel größer gewollt, ihm so viel mehr an Sehnsucht und Hoffnung in die Seele gelegt hat. Wer sich arm und bedürftig fühlt oder wer trauert, der kann diesem größeren Bild vom Menschen näherkommen und auf der Spur sein – mehr als der Satte, der glaubt, er hätte schon alles, er wäre schon am Ziel.

Und darum sind wir hier und bestärken uns im Gottesdienst, von uns Menschen selber nicht zu klein zu denken.