Johannes Broxtermann - Predigten - Gedanken

Blasius - ein Zeichen der Heilung

Predigt am 06.02.2022


„Und sie zogen die Boote an Land, verließen alles und folgten ihm nach.“

Ja, wer eine so grandiose Beute an Fischen in den Fangnetzen hatte, der ist begeistert, und in seiner Freude kann er alles verlassen und dem Herrn nachfolgen. Denn auf sein Wort hin ist er angetreten und hat die Netze ausgeworfen. Und es zeigt sich eine solche Fülle.

Die Jünger haben Jesus dann begleitet und bei ihm „abgeguckt“, wie er mit den Menschen umging – mit welcher Fülle des Erbarmens und der Großherzigkeit er ihnen begegnete. Gerade den Armen und Kranken. Gerade denen, die ihn brauchten! Da erscheint Jesus als der Heil-Macher. Er heilt körperliche Leiden, aber er bringt noch mehr: „Heil“. Er sieht den Menschen als Ganzes, als Leib und Seele, und bringt auch gestörte Seelen „in Ordnung“ – in inneren Frieden, in eine neue Geborgenheit.

Jetzt in Coronazeiten, die nicht enden wollen, spüren wir, was die Krankheit mit einem macht. Tausende müssen ins Krankenhaus, viele sterben. Aber auch die, die nicht angesteckt werden, leiden. Viele, sehr viele fühlen sich vereinsamt, die sozialen Kontakte sind weithin „auf Eis gelegt“. Auch die Gemeinden, die ja ganz von menschlichen Kontakten und Begegnungen leben, bluten aus. Leib und Seele sind nicht mehr im Einklang.

Ich liebe einen kleinen Text des Frankfurter Pfarrers und Dichters Lothar Zenetti: „Ich traf einen jungen Mann, mit Sportwagen, sonnengebräunt, frisch aus dem Studio, kraftstrotzend, und frage ihn beiläufig, wie es ihm gehe. „Alles Mist“, sagte er und wiederholte es noch mal: Alles Mist! Und brauste mit seinem Auto davon.
Und dann traf ich eine alte Frau. Sie saß im Rollstuhl, und ziemlich beklommen fragte ich auch sie, wie es ihr denn gehe. Gut!“, sagte sie. „Es geht mir gut!“
Da sieht man mal wieder, dachte ich bei mir – immer hat man mit den falschen Leuten Mitleid!“

„Das Wichtigste ist doch die Gesundheit!“ Das höre ich immer wieder. Ja, sie ist wichtig genug, denke ich gerade dann, wenn Rücken und Beine wehtun. Aber das Wichtigste? Die alte Frau im Rollstuhl lehrt mich anderes: Sie ist nicht gesund. Sie ist sehr krank. Und doch lächelt sie zufrieden. Sie steht zu ihrem Leben und spürt etwas vom „Heil“. Da wird auf einmal deutlich, dass der Rollstuhl ein besserer, „heilsamerer“ Ort sein kann als ein Sportwagen, dessen Fahrer alles als „Mist“ empfindet.

Heute wird der Blasiussegen nach der Messe ausgeteilt. Das ist eine der wenigen Gelegenheiten, wo im Gottesdienst das Thema „Gesundheit“ vorkommt. In der Regel wird darum gebetet, dass der Herr vor allem Leid und vor Krankheiten bewahrt. Seit langem habe ich die Worte abgeändert: Der Herr stärke dich in allem Leid! Ich weiß oder ahne ja, dass viele hier eine Krankheit mit sich herumtragen. Und darüber hinaus: Ist es wünschenswert und wirklich menschlich, vor allem Leid bewahrt werden zu wollen? Das käme mir vor wie ein halbiertes Leben, das nur schöne Tage kennt – so ein kleines „Schlaraffenland“! Wie würden wir reifen und innerlich wachsen und erwachsen werden in einer solchen leidfreien Zone? Vielleicht hat unser Sportwagenfahrer in der Geschichte so vom Leben gedacht: Immer Volldampf voraus, immer Vorfahrt, immer Spaß. Immer in der Spur der Sieger! Der arme Kerl! Wenn‘s anders kommt, ist „alles Mist“.

Nein, ich setze nicht auf eine leidfreie Welt! Ich hoffe eher, nicht über meine Kräfte beladen und belastet zu werden. Ich möchte das Schwere aushalten können. So erhoffe ich Stärkung durch Gott.

Ein ähnlicher Gedanke. In einem Hospiz sah ich ein großes Plakat: Warum ich? stand darauf, großgeschrieben, in Fettdruck, und dann, viel kleiner, mit Abstand darunter: Warum ich nicht?
Warum ich? Höchst menschlich, so zu fragen. Manchmal fügt einer noch hinzu: Warum bestraft mich der Herrgott? Ich habe doch nichts Böses getan.
Und dann das andere: Warum ich nicht? So viele Menschen werden krank, haben Krebs oder etwas anderes Bedrohliches. Warum sollte gerade mir das nicht passieren? Warum sollte gerade ich die Ausnahme sein? Es ist das Schicksal so vieler. Es gibt eine Gemeinschaft der Leidenden, und Jesus, der Gekreuzigte, ist da mittendrin und stützt und stärkt auf diese Weise.

Ich war früher oft in Lourdes, dem Wallfahrtsort, wo die Kranken im Mittelpunkt stehen. Drei Wochen habe ich da als Student mal Kranke gefahren. Dabei erlebt man so einiges. Viele Kranken hatten wohl auf „Heilung“ gehofft, auf ein kleines oder größeres „Wunder“, das ja gelegentlich dort geschieht. Aber sie fuhren krank zurück – und doch verändert. Oft näher „im Heil“, im Frieden. Die Frau im Rollstuhl, in unserer Geschichte, war vielleicht auch mal in Lourdes gewesen.

Hans Küng, der große Theologe, hat recht: Gott bewahrt mich nicht vor allem Leid – aber er bewahrt mich in allem Leid.

Das ist der reiche Fang im Evangelium. Das ist der Schatz und die Fülle. Gott ist auf der Seite der Menschen, auf der Seite der Leidenden. Selbst auf der Seite etwa von Aussätzigen, die völlig draußen sind. Jesus kommt ihnen entgegen, und mit ihm kommt Gott. Und dann ist der Kranke völlig drinnen. Drinnen im Heil. Da, wo Jesus uns alle hinbringen will – vielleicht gesund, aber mehr noch: geheilt.

Und dann kann ich wie die alte Frau im Rollstuhl sagen: Es geht mir gut! Trotz Allem!