Zeit und Kraft und Dinge teilen

Predigt am 07.11.2021

Es heißt: Mehr als ein Drittel aller Deutschen arbeitet ehrenamtlich. Hilft mit bei der Feuerwehr, singt mit in Chören, wirkt mit im Sport, beim Roten Kreuz oder in Kirchengemeinden. Heute, bei den Wahlen zum Kirchenvorstand und zum Pfarrgemeinderat, darf man das mal deutlich erwähnen: Ein Drittel, - das ist eine tolle Zahl! Ohne diese Ehrenamtlichen würde das soziale Leben in Gruppen, Vereinen und Kirchen zusammenbrechen. Manche geben dabei viel her - von ihrer kostbaren Zeit, von ihrer Kraft, auch von ihrem Geld. Geben her - manchmal, bildlich gespro-chen, „bis zum letzten Hemd!“.

„Das letzte Hemd“ hergeben: der Gottesdienst heute bietet viel Stoff zu diesem Thema. Zwei Witwen kommen vor. Die Witwe von Sarepta in der Lesung bietet den letzten Bissen Brot an, die Witwe im Evangelium ihre letzten Pfennige. Und St. Martin, der wichtigste Heilige dieser Woche, macht mit seinem Mantel Halbe-Halbe. Es geht also schon ans „Eingemachte“! Warum tun Menschen so etwas? Was hat sich ein Martin damals dabei gedacht? Wollten sie groß dastehen? Wollten sie Pluspunkte für den Himmel sammeln? Ging es ihnen darum, ihr Gewissen zu beruhigen oder innere Befriedigung zu spüren – auf Grund guter Taten? Das alles kann man nie ganz ausschließen. Die Motive unseres Handelns mischen sich ja oft; aber entscheidend war das sicher nicht. Martin, der Soldat mit dem Schwert und dem Mantel, hat ganz sicher nicht an den Nachruhm gedacht – er hat es sich sicher nicht träumen lassen, dass noch 1700 Jahre später Kinder einen Martinszug machen! Er hat bei der Mantelteilung auch nicht an den „lieben Gott“ gedacht – der kam erst später, in der Nacht, im Traum.

Ich denke, Menschen wie Martin konnten gar nicht anders. Die Not sprang sie an, sie „fackelten nicht lange“. Es war für sie ganz klar: Man muss doch jetzt etwas tun! Oder besser: Ich muss doch jetzt etwas tun. Ich bin gefordert, ich bin dran, da ist kein anderer da, ich kann das nicht abschieben. Der mittelalterliche Philosoph Meister Eckhart hat das so ausgedrückt: „Die wichtigste Zeit ist immer der gegenwärtige Augenblick, und der wichtigste Mensch ist immer der, der dir gerade gegenübersteht - mit dem du gerade zu tun hast!“ Das ist leichter gesagt als getan. Der Mensch, der mir gerade gegenübersteht, kann nerven und stören, er kann lästig sein und unangenehm. Er kann meine ganze Geduld herausfordern. Dennoch: Die großen Meister des Glaubens sagen: Der Mensch dir gegenüber ist wie ein Anruf Gottes. Gott ruft dich an durch ihn. Hoffentlich ist deine Leitung nicht besetzt!

Der Prophet Elija hat das in der Lesung so erfahren. Er ist richtig arm dran, er hat große Probleme mit dem König Ahab, der in seiner Hauptstadt einen heidnischen Baalstempel errichten ließ. Elija soll nun eine sehr kritische Botschaft Gottes zu ihm bringen, die den Propheten den Kopf kosten kann. Noch ist es nicht soweit. Eine schwere Dürre lastet auf Israel, eine Hungersnot. Elija kämpft selber ums Überleben. Als Fremder, als rechtloser Ausländer kommt er nach Sarepta, einer kleinen Hafenstadt im heutigen Libanon. Dort trifft er auf die Witwe und bittet sie um etwas Wasser und Brot. Witwen waren damals genauso schutzlos und bettelarm. Die Witwe von Sarepta hat selber nur noch Vorräte für eine Mahlzeit. Dennoch lädt sie den Fremden zum Essen ein. Auf dieser Gastfreundschaft liegt Segen – die Prophezeiung des Elija geht in Erfüllung: „Dein Mehltopf wird nicht leer und dein Ölkrug nicht versiegen!“

Und dann im Evangelium wieder eine Witwe! Derselbe Hintergrund: Armut, Rechtlosigkeit, Unerwünscht sein. Und dieselbe Großzügigkeit: Zwei kleine Münzen gibt sie in den Opferkasten des Tempels – ihren Tagessatz. Sie hat nichts auf der hohen Kante. Keine Kasse zahlt für sie. Sie hat alles gegeben.

Was für Menschen werden da in der Bibel gezeigt! Arme, die das letzte Hemd hergeben. Schreckliche Vorstellung: Alles aus der Hand zu geben, nichts mehr zu haben, das einen absichert. Völlig schutzlos und bedürftig dem Leben ausgeliefert sein! Hier geht das nur in einem großen Vertrauen. Die Witwe kommt ja in den Tempel, in das Haus Gottes. Sie kommt zu dem, der sich selber Jahwe nennt: Ich werde für euch da sein! Ich bin der große Mitgeher! Sie nimmt ihn beim Wort. Das kann man Hoffnung nennen! Sie hofft auf den Herrn und kann darüber alles loslassen. Jesus hat solche Menschen seliggepriesen: „Selig sind die Armen im Geist, denn ihnen gehört das Himmelreich!“ Diese „kleinen Leute“ sind die großen Hoffnungsträger mit den leeren Händen (sie haben nichts) und dem großen vollen Herzen.

Seitdem also lässt sich Gott nicht so sehr im Hocherhabenen oder in den Sternen finden, sondern viel mehr – in einem frierenden Bettler, der mit einem halben Mantel bekleidet wird, oder in einer Witwe, die sich von ihren zwei kleinen Münzen trennt. Sich zu bücken, um Gott zu finden – das ist typisch christlich. Denn: „Was ihr einem unter den geringsten Menschen getan habt, das habt ihr mir getan!“