Jesus wird zornig – und Menschen heute auch

Predigt am 3. Fastensonntag 07.03.2021

Einmal ist Jesus richtig wütend geworden – und das ausgerechnet in einer Kirche – im Tempel. Er ging dorthin, um zu beten. Aber das Beten dort wurde ihm schwer gemacht. Große Unruhe störte und hinderte ihn. Er hörte den Lärm, das Geschrei und Gefeilsche, die klirrenden Münzen der Händler, hörte, wie die gemästeten Opfertiere grunzten und blökten. Eine Atmosphäre wie auf einem Schlachthof! Eine merkwürdige Art, Gott zu dienen: Du kaufst ein Tier, du lässt es schlachten, opfern, Gott darbringen, du murmelst Gebete dazu – und das war es dann. Jesus wurde also richtig wütend – er, der sonst so sanftmütige, so liebevolle. Aber Liebe heißt ja nicht, zu allem Ja und Amen sagen. Aus Liebe muss man oft genug Nein oder Stopp rufen: So nicht! Hört auf!

Und dann machte er etwas, was an die Propheten erinnert. Er jagte die Händler und Geldwechsler hinaus, kippte die Tische um, ließ die Tauben davonfliegen – weit in den Himmel hinein, wohin sie gehörten. Dabei rief er laut: „Was habt ihr aus dem Tempel gemacht? Verhunzt und beschmutzt habt ihr ihn! Einen Marktplatz, eine Räuberhöhle habt ihr jetzt!“ Geschäftemachen an heiliger Stätte, das prangert Jesus an. Aber damit schafft man sich Feinde – gleich auf den ersten Seiten des Johannesevangeliums. Und die rufen nicht nur „Der macht uns unser Geschäft kaputt“, sondern mehr noch: „Der da tastet unsere heiligsten Traditionen an. Der will uns unseren Opferkult nehmen!“
Das war ja wirklich ein altehrwürdiger Kult in den meisten Religionen – auch heute noch: Ich gebe Gott etwas. Ich opfere eine Gabe: Früchte, Tiere, etwas von der Schöpfung. Ich gebe es ihm zurück, denn eigentlich kommt ja alles von ihm. Und Gott gibt dann seinen Segen. Das Opfer war fast so etwas wie ein Tauschgeschäft: Ich gebe, damit du gibst.

Und da geht Jesus nun dazwischen – so ähnlich wie die Propheten früherer Zeiten. Denen war der Opferkult im Tempel nie geheuer gewesen. Immer wieder riefen sie im Namen Gottes aus: „Ich will eure Opfer nicht! Sie hängen mir zum Hals heraus! Ich will keine Schafe und Ochsen. Ich will nicht eure Früchte, ich will nicht euer Geld! Ich will etwas ganz Anderes: Ich will – euer Herz! Was ich will, ist Gerechtigkeit und Recht, Freude und Leben für alle Menschen. Was ihr mir da opfert – ich will es nicht! Gebt es den Witwen und Waisen, für die niemand sorgt. Gebt es den Armen. Das ist der Gottesdienst, den ich mir wünsche: Gerechtigkeit will ich, nicht Brandopfer!“

So klang es bei den Propheten. So klingt es bei Jesus.
Diese prophetischen Worte gelten immer noch. Auch heute! Und immer noch gilt: Der Ort Gottes ist – seit Jesus – woanders zu suchen. Man kann sagen: Gott ist umgezogen! Wo soll man Gott anbeten, wird Jesus einmal gefragt, und er antwortet: „Die wahren Beter werden den Vater anbeten im Geist und in der Wahrheit.“ Das ist der neue Ort. Die Orte, an denen Jesus selber zu finden war, heißen z.B. Stall, Werkbank, Marktplatz, Hecken und Zäune, Seen und Berge, Gastmähler und Feste – und schließlich das Kreuz. Dazwischen auch Synagogen und Tempel. Ziemlich weltlich, diese Liste! Finden Sie nicht auch? Man kann sagen: Wo Jesus hinkommt, wird auch das weltlichste Stück Welt zum Tempel, zum Raum des nahen Gottes, zum Ort des Staunens und der Anbetung. Wo wir hinkommen, können auch wir unser Stück Welt zum Tempel – oder zur Hölle machen.

Der alte Tempel ist nicht mehr die gültige Hauptadresse. Ein paar Jahrzehnte später wird er außerdem zerstört – von den Römern. Der neue Tempel Gottes in der Welt heißt: Christus! Im Evangelium sagt Jesus: „Reißt diesen Tempel nieder, in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten!“ Und der Evangelist Johannes kommentiert: „Er aber meinte den Tempel seines Leibes.“ Der neue Tempel Gottes in der Welt heißt: Christus – und er heißt auch: Christen! Denn wir sind der Leib Christi. Was für ein Anspruch! Was für eine Zumutung! Wir sind Gottes Tempel in dieser Welt, ein Tempel aus lebendigen Steinen.

Dieser neue Tempel, die Gemeinschaft der Kirche, wird in diesen Wochen massenhaft verlassen. So zornig wie Jesus damals sind Menschen heute über die Kirche. Christliche „Wutbürger“, die die Nase voll haben, die sagen: Diese Kirche ist nicht mehr der Ort Gottes! In Köln z.B. laufen die Telefone der Amtsgerichte heiß, weil Tausende austreten wollen. Sie sind, so sagen sie, sauer auf den Kölner Kardinal, der u.a. nach ihrer Meinung die Missbrauchsskandale vertuscht. Und die Christen, die Gläubigen kommen oft nicht besser weg: sie seien lau, selbstgerecht- Typen von vorgestern. Eine Art „aktueller Tempelaustreibung“ ist das durch die Leute, durch die öffentliche Meinung.

Das kann uns nicht egal sein. Vielleicht bleiben wir selbst eher gelassen, atmen ruhig durch und teilen nicht den heutigen hohen Pegelstand der allgemeinen Aufregung und Wut. Wie die Rheinländer ja ansonsten zu sagen pflegen: Sind ja alles nur Menschen.

Aber ich will nicht verharmlosen. Und keine Antwort vorgeben. Fragen Sie sich selbst einmal: Wenn Jesus heute auf die Kirche schaut, würde er dann in Zorn und Enttäuschung wieder zur Peitsche oder zur Geißel aus Stricken greifen und die Händler von heute, die Funktionäre und Schriftgelehrten vertreiben, und den kirchlichen Betrieb still legen? Alles nur eine „Räuberhöhle“? Die Tempelaustreibung etwas, das immer ansteht und nötig – und heilsam ist?

Ganz sicher hat die ganze Kirche Umkehr nötig. Sie hinkt, oft sehr lahm, immer hinter dem Evangelium her. Sie braucht oft einen kräftigen Schubs – damit sie die Ausrichtung aufs Evangelium nie vergisst!