Gestorben mit 12 Tagen

Predigt am 05.11.2020

Wenn ich hier Menschen beerdige,
erzähle ich von ihrem Leben,
von ihrer Vergangenheit,
von ihren 70 oder 80 Jahren.
Heute ist es anders.
L. hatte noch keine
Vergangenheit. Er war und ist
ganz Gegenwart.
Er hatte nicht die Zeit,
jahrzehntelang zu leben.
Aber das Entscheidende
hat er in seinen 12 Tagen
doch erlebt:
Er war umgeben von Liebe.
Die Liebe seiner Eltern,
die Liebe seiner Familie.
Aus Liebe entstanden,
von Liebe getragen,
in Liebe freigelassen –
Die Eltern haben ihm erlaubt,
gehen zu dürfen
in seine Zukunft hinein,
zu der wir sagen: Himmel,
Aufgehoben sein bei Gott.

Sie haben ein Lied
der Sängerin Sotiria ausgesucht,
das wir gleich hören;
da heißt es u.a.:
Ich werd dich immer lieben
Du bist ganz nah
Ich lass dich frei, mein Engel.
Wenn ich in den Himmel seh,
wirst du bei mir sein.


Liebe Eltern,
diese 12 Tage waren für Sie
sehr hart, und zugleich
sehr intensiv
und herzergreifend.
So viele Gefühle
haben Sie durchlebt:
Nach der erwartungsvollen Freude
in der Schwangerschaft
den tiefen Schmerz,
das neugeborene Kind krank
und leiden zu sehen – und dann
ein sterbendes Kind
in den Armen zu halten.
Die innere Bereitschaft,
das Kind loszulassen
und es freizugeben
auf seinem Weg.
Die Dankbarkeit
für alle Unterstützung
durch die Familie und
das Personal im Krankenhaus.

Und jetzt ist es Ihnen wichtig,
ein würdiges Gedenken
an Ihr Kind zu haben.
Sein Name soll bleiben für immer.
Für immer gehört L.
zu Ihrem Leben.
Und darum sagten Sie:
Die Farbe Schwarz soll
jetzt nicht vorherrschen.
Mir fiel dazu ein Text, ein
Gedicht von Kurt Marti ein:
Wenn ich gestorben bin
Hat sie gewünscht
Zieht euch nicht dunkel an
Das wäre nicht christlich
Kleidet euch hell
Singt lobgesänge
Wenn ich gestorben bin
Hat sie gewünscht
Preiset das leben
Das hart ist und schön
Preiset den
Der ein gott von lebendigen ist.


Kurz vor seinem Tod
ist L. getauft worden.
Das war Ihr Wunsch.
Kurz vor seinem Tod
dieses Zeichen des Lebens.
Taufe heißt: Ob wir leben
oder ob wir sterben –
wir gehören zu Gott,
wir finden in ihm
eine ewige Heimat,
wir finden in ihm
einen bleibenden Ort.
Nichts kann uns trennen
von Seiner Liebe:
von der Liebe eines Vaters,
von der Liebe einer Mutter.
In ihm ist L. geborgen
für immer und ewig.

Das Kind Jesus wurde damals
zwar nicht getauft – wie wir,
aber es wurde
in den Tempel getragen
und Gott übergeben.
Hier, Gott – dein Kind!
Und dann kehrte es zurück
mit den Eltern, nach Hause.
Was da sichtbar wurde,
gilt auch für uns
und unsere Kinder:
Sie sind nicht
unser fester Besitz,
nicht unser Eigentum.
Sie gehören uns nicht.
Sie sind wie
eine Leihgabe.
Und gehen dann den Weg,
der ihnen bestimmt ist.
Egal, wie alt sie werden:
Immer ist das Ziel – Gott.
Der Anfang, und das Ende.
Liebe Eltern,
L. wurde Ihnen
nur gezeigt –
eine Leihgabe
für kurze Zeit.
Aber immer
werden Sie ihn
weitertragen
in Ihrem Herzen.
Und heute sind wir alle
darin mit Ihnen vereint.