Traum und Alptraum

Predigt am 11.10.2020

Hochzeiten können es „in sich haben“, können wunderschön sein! Manche nennt man sogar Traumhochzeiten. Aber es gibt auch das Gegenteil. In dem Kinofilm „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ wurde vor Jahren eine Serie von Hochzeiten witzig vorgeführt, die voller Pleiten und Pannen waren, wo der Bräutigam es sich im letzten Moment anders überlegte usw. Keine Traumhochzeiten, sondern eher ein Alptraum!

Ähnliches heute im Evangelium: wirklich ein Alptraum! Unbegreiflich. Beängstigend! Obwohl auch hier alles bestens vorbereitet wurde, der König viele ausgesuchte Gäste eingeladen hatte und ein wirklich prächtiges Fest zu erwarten war. Aber es kommt alles anders. Die Gäste kommen nicht. Die Eingeladenen reagieren nicht einmal. Sie entschuldigen sich nicht. Nein, sie gehen einfach ihren Geschäften nach, gehen auf den Acker, gehen in den Laden. Alles ist wichtiger als dieses Hochzeitsfest.

Und dann das Drama. Übersteigert, mehr als im wirklichen Leben. Es gibt Mord und Totschlag. Manche Eingeladene töten die Diener des Königs, die sie abholen sollten. Warum, wird nicht gesagt. Der König reagiert nicht gerade souverän, sondern grausam. Er schickt ein ganzes Heer aus, lässt die Mörder töten und ihre Stadt in Schutt und Asche legen. Blut und Gemetzel überall! Schließlich lässt der frustrierte König Menschen von der Straße holen, von den „Hecken und Zäunen“. Er würfelt die Schar der Gäste bunt durcheinander. Lauter Zufallstreffer: Gute und Böse. Arme und Reiche.

Nun kann endlich gefeiert werden. Aber noch einmal kommt es zum Skandal: Der König geht durch die Reihen und mustert seine Gäste. Und da ist einer dabei, der ihm nicht passt. Der ist nicht richtig angezogen – dem fehlt die hochzeitliche Festkleidung. Und der wird dann im hohen Bogen herausgeschmissen „in die äußerste Finsternis“. Denn, so heißt es am Schluss: „Viele sind gerufen, aber nur wenige auserwählt.“

Merkwürdiges Fest! Solche Überreaktion des Gastgebers! Wer denn wird mit solcher Gewalt reagieren? Und schmeißt einen Gast raus, nur weil er die Krawatte zuhause ließ, und droht ihm mit Unheil und Vernichtung? Das soll ein Bild fürs Himmelreich sein?

Versuchen wir, diese harte, überzogene Bildsprache des Gleichnisses zu übersetzen. Der Evangelist Matthäus will etwa dies sagen: Der König ist Gott, der für seinen Sohn Jesus Christus das endgültige Hochzeitsmahl, das Reich Gottes vorbereitet hat. Dazu werden die Propheten und dann die Apostel ausgesandt, um das Volk Israel einzuladen. Aber das Volk hält sich abseits, es will nicht, und viele Boten Gottes werden misshandelt und getötet. Die Zerstörung Jerusalems durch die Römer im Jahr 70 – 40 Jahre nach der Kreuzigung Jesu – wird als Strafgericht über Israel gedeutet.

„Geht also hinaus auf die Straßen, an die Hecken und Zäune und ladet alle zur Hochzeit ein“: – das meint die ganze Menschheit. Alle, die nicht zum Volk Israel gehören. Heiden-Christen, Menschen aus den anderen Kulturen, die bald schon zu den ersten Christen stoßen. Unter ihnen gibt es Gute und Böse. Eben auch solche, die trotz ihrer Taufe, ihrer Eingliederung in die christliche Gemeinde kein „hochzeitliches Gewand“ tragen. Die ersten Christengemeinden erkennen sich also in dem Gleichnis wieder: Bunt zusammengewürfelt, Juden und Heiden, Gute und Böse, mehr oder weniger hochzeitlich gekleidete und geprägte Menschen – sie alle sind der Einladung Gottes schließlich gefolgt und zusammengekommen. Ihnen allen schärft Matthäus – weiß Gott sehr zugespitzt – mit dem Gleichnis einiges ein. Und zwar:

Erstens: Alle sind eingeladen zum Fest des Lebens mit Gott. Alle Mutigen und Ängstlichen, alle Nachdenklichen und Oberflächlichen, alle Verzagten und Hoffenden. Alle, wirklich alle. Gott kann und will für jeden Menschen wie ein Vater sein. Egal, woher er kommt und was er mitbringt. Keiner ist da von vornherein ausgeschlossen. Keiner muss abseits stehen.

Zweitens: Es genügt nicht, einmal die Einladung zum Hochzeitsmahl angenommen zu haben. Es genügt nicht, irgendwann einmal getauft worden zu sein. Wenn ihr die Einladung Gottes wirklich annehmt, dann auch richtig, sagt Matthäus. Dann muss das durch das Leben gehen, dann muss es im Leben sichtbar werden – erkennbar wie die Kleidung. Dann seid ihr wirklich Schwestern und Brüder Jesu Christi, auch wenn ihr ständig hinter den Möglichkeiten zurückbleibt. Aber hört nie auf, Euch darum zu bemühen, meint Matthäus. Hört nie auf, Christen zu werden!

Drittens: Daher kommt es schon auf den richtigen Stoff eures Kleides an, wenn ihr die Einladung richtig versteht. Der Mann, der aus dem Festsaal achtkantig herausgeschmissen wurde, war ohne Hochzeitskleidung erschienen. Matthäus meint damit nicht das äußerliche Kleid – so wichtig kann Kleidung niemals sein! Das neue Leben, das in der Taufe geschenkt wird – das „neue Kleid“, das sozusagen durch die Taufe angezogen wird –, darauf kommt es an! Die wichtigsten Fäden, aus denen das neue Kleid gewebt ist, sind:

- Liebe, die das Wohl des anderen will – Nächstenliebe, die Hand und Fuß bekommt
- Hoffnung, die auch bei bitteren Erfahrungen nicht aufgibt
- Vertrauen und Glaube, dass Gott am Werk ist
- Umkehr, die mich aus Irrwegen und Sackgassen herausführt.
Aus diesen und ähnlichen Fäden ist das Hochzeitskleid gemacht.

Liebe Schwestern und Brüder, wirklich: Die Hochzeit aus dem Gleichnis ist alles andere als eine Traum-Hochzeit. Hier lief es nicht nach Plan. Aber eines kann man wohl sagen: Sie ist noch nicht vorbei. Sie geht weiter. Das Fest Gottes ist da. Mit uns heute, auch hier und jetzt in unseren Gottesdiensten. Achten wir auf die Fäden, die das Gewebe unseres Lebens ausmachen. Dass sie nicht verschlissen sind. Dass sie halten.