Jesus in einer alten Meinungsumfrage

Predigt am 23.08.2020

Eines Tages will es Jesus wissen. Er will ein Feedback, ein Echo. Er macht eine Meinungsumfrage. "Für wen halten mich die Leute?" Ja, was ist schon alles über ihn gesagt worden! Juden sagen über ihn: Ein großer Prophet unseres Volkes. Seine Gegner im Hohen Rat: Er ist ein Aufwiegler! Ein Gotteslästerer! Kritische Geister heute sagen: Der größte Revolutionär der Weltgeschichte. Normale Bürger auf der Straße sagen: Der beste Mensch, der wohl je gelebt hat. Die Kirche sagt im Credo: Wahrer Mensch und wahrer Gott, eines Wesens mit dem Vater. Sehr alte Leute sprechen noch vom lieben Heiland. Den Kommunionkindern wird gesagt: Er ist dein Freund!

Danach wird Jesus noch direkter: "Für wen haltet ihr mich?", will er von den Jüngern wissen. Schwere Frage! Wenn wir gefragt werden: Für wen hältst du mich eigentlich, fangen wir an zu stottern. Petrus stottert nicht, er bekennt, ganz im Sinne der Kirche: Du bist der Christus, der Messias – der Sohn des lebendigen Gottes!

Spielt Jesus eine Rolle in meinem Leben? Gutes Indiz: Beten Sie zu ihm? Denken Sie an ihn, etwa in der Art: Was würde Jesus jetzt an meiner Stelle tun, in dieser vielleicht schwierigen Situation? Was will er wohl von mir? Spüren Sie seine Gegenwart in Ihrem Leben? Oder kommt er fast nur in der Kirche vor, jetzt in der Messe, wo man ihn ganz groß schreibt und den Glauben auf ihn aufbaut – während er dann anschließend im alltäglichen Leben meist wieder klein geschrieben wird und mehr und mehr verschwindet?

Wie kann Jesus in meinem Leben vorkommen? Wirken seine Worte und Taten nach? Sind sie uns irgendwie "in Fleisch und Blut" übergegangen und dadurch ein Teil von uns selbst geworden? Sein Verzeihen, sein Trost, seine Liebe zum Menschen, seine Worte: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, oder die Armen glücklich zu preisen! Eine Riesenherausforderung! Spüren wir, wie weit wir davon oft weg sind? Könnte Jesus also für uns der große Herausforderer sein, der uns nicht einfach satt und zufrieden sein lässt in der Halbherzigkeit und im Mittelmaß des Lebens, sondern der uns einlädt: "Dein Leben ist größer gedacht. Sei mutig. Sei vertrauensvoll. Geh voran. Du darfst weiter sehen, als Du jetzt bist!" Und würde das die Welt nicht wunderbar weiterbringen, wenn Jesus in vielen Lebensgeschichten "funkt" und zündet? Wenn viele einstimmen könnten: "Was ich von dir halte? – Dass du mich hältst!" (Lothar Zenetti)

Nachfolge Jesu. Ist Jesus für mich einer, dem ich nachgehen, nachfolgen kann – in meinem Leben, ob ich nun Rentner oder Hausfrau oder Schüler bin? Ist das nicht alles viel zu groß? Sind die Worte nicht viel zu groß für das Leben, das uns oft so eingefahren, so routiniert, so "gewöhnlich" – ja, auch oft so "gottlos" erscheint?
Aber wahrscheinlich will Jesus uns gar nicht unbedingt als die außergewöhnlichen Helden, sondern als die, die an ihrem Platz das Gewöhnliche gut und in Liebe tun?

In unserer Kapelle hängt das wohlbekannte Bild vom Mitgeher. Ist das Bild "wirklich" für mich, dass ich sagen kann: Ja, so ist das mit Jesus. Er fordert uns heraus, er zeigt einen großen, anspruchsvollen Weg – geradezu eine "Steilvorlage" – aber er zeigt ihn nicht nur, er geht voran, er geht ihn mit. Wir sind niemals allein damit. Er legt die Hand auf unsere Schulter. Er sagt im Bild: Hab Mut. Fürchte dich nicht. Er sagt: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Komm, geh mit auf dem Weg. Komm, vertrau dieser Wahrheit. Komm, teile mit mir das Leben, und du wirst das Leben in Fülle erfahren.

Jesus fordert heraus – und zugleich ermutigt er. Er hat eine Schwäche für den Fischer Simon, der ja in der Bibel durchaus nicht als Held erscheint. Dem Simon wird nun seinerseits von Jesus viel zugetraut und zugemutet: Fels zu sein, Petrus. Fundament der Kirche, Besieger der Unterwelt und ihrer heimtückischen Mächte, Schlüsselbewahrer für das Himmelreich, Türöffner in den Himmel, wie selbst Witze bis heute immer wieder erzählen: Petrus an der Himmelstür. Gleichzeitig ist Petrus alles andere als ein "Glanzlicht", alles andere als eine geborene Führergestalt. Zu ungestüm, zu aufbrausend, sehr "schwer von Begriff", und vor allem: in der Passionsgeschichte zu schwach, zu feige. So einen kann Jesus trotzdem brauchen. Er braucht Menschen mit ihrer Menschlichkeit, d.h. auch mit ihren Grenzen und Schwächen, mit ihrer Reue (Petrus vergießt Tränen wegen seines Verrats). Jesus sagt zu Petrus, dem Schwachen: "Du, stärke die anderen." Im Schwachen ist dennoch Stärke da: eine Stärke, die nicht aus dem eigenen "Fleisch und Blut" kommt, sondern die Gott in den Schwachen legt. Paulus wird später schreiben: Wir tragen einen Schatz – Gottes Stärke – in zerbrechlichen Gefäßen. Wir selber sind zerbrechlich, unbeständig, in vieler Hinsicht schwach, wie ein Krug aus Ton, der leicht einen Sprung kriegt oder gar zerbricht.

Und so geht es weiter mit der Kirche bis heute: Alle Schwächen des Lebens werden sichtbar, gerade in dieser Zeit, Feigheit und Verrat eingeschlossen – wie bei Petrus. Es gibt ein Zerbrechen, wir erleben es mit! Aber es gibt – hoffentlich, wie bei Petrus – auch die Tränen der Reue, und die Demut, die weiß, dass die Stärke nicht aus uns selber, sondern aus Gott kommt. Wir alle sind zerbrechliche Gefäße; aber welche Stärke wird hineingelegt! Die Stärke des Glaubens, mit der einer den anderen stärken kann. Des Glaubens, der bekennt: "Ja, du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!"