Nachts, auf dem Meer

Predigt am 09.08.2020

Eine merkwürdige Geschichte: Da laufen zwei übers Wasser. Der eine, Jesus, gekonnt. Der andere, Petrus, möchte auch gern, kann aber nicht richtig, geht darum unter. Im Boot bleiben, das wäre für ihn sicherer gewesen.

Wenn es nach Sicherheit geht, bleiben wir am besten auf der Erde. Mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Da kennen wir uns aus, da kann uns keiner was, da geht alles seinen gewohnten Gang.
Aber da fällt dann eben auch manches flach: Weite Aussichten, Wagnis und Abenteuer, Neuland entdecken. Luft und Wasser stehen dafür, bildlich gesprochen. In die Luft zu gehen, zu fliegen macht durchaus auch Angst; manche mögen nicht fliegen. Übers Hochseil zu laufen – nichts für unsereins! Aber ist das Leben nicht manchmal wie ein Drahtseilakt? Man kann tief abstürzen – und nur hoffen, dass dann ein Netz da ist, das uns auffängt, im Sturz.
Ähnlich wirkt das Element Wasser. Man muss sich die Menschen zur Zeit Jesu als Nichtschwimmer vorstellen, als ziemlich wasserscheu. Wasser hat keine Balken, so empfanden sie. Das Meer ist so abgründig! So bedrohlich und gefährlich! Ich höre, wie die eritreischen jungen Leute von ihrer Flucht über das Mittelmeer erzählen, von den Booten der Schlepper. Man möchte wirklich nicht mit ihnen tauschen! Da ist nichts von Romantik und schönen Sonnenuntergängen am Horizont. Sondern: Lebensgefahr.

Das Evangelium erzählt das in einer sehr symbolischen Bildgeschichte. Einer Geschichte über das Leben, vor allem über das bedrängte Leben der ersten Christen. Die erlebte Ablehnung und Verfolgung. Das kannten sie also: Das Wasser steht einem bis zum Hals. Das Leben kann so bodenlos und abgründig sein wie das weite Meer. Und mancher "geht baden", mancher geht unter.

Das Evangelium sagt nun: In der vierten Nachtwache, am frühen Morgen, kommt Jesus auf die Jünger, auf die Menschen zu. Das ist immer seine Richtung: auf die Menschen zu! Auf uns zu. Um diese Richtung durchzuhalten, läuft er sogar übers Wasser. So erzählt das die Bibel, und gemeint ist: Nichts kann ihn hindern. Auch nicht das Meer. Er geht über den Abgrund. Er überwindet die tiefsten Gräben. Der allertiefste Graben ist der Tod. Da fällt jeder hinein und kommt nicht mehr raus. Aber auch diesen Graben überwindet der Herr. Das feiern wir zu Ostern: Jesus ersteht aus den Abgründen auf und hilft uns hinüber.

Dieses Gehen über das Wasser, über den Abgrund kommt den Jüngern gespenstisch vor. Natürlich! Wie denn anders? Sie werden noch viel Zeit brauchen, um diesen Jesus zu verstehen, der alle Grenzen überschreitet. Ein Gespenst! so rufen sie. Das rufen sie übrigens auch, als sie später dem Auferstandenen begegnen. Gespenstisch – dieser Jesus, der den Abgrund des Todes hinter sich hat.

Wer immer nur mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht, auf dem ziemlich schmalspurigen Boden des Alltags, der hat es nicht unbedingt mit den Wundern, mit dem Wunderbaren. Mit dem, was uns staunen lässt. Was unseren Alltagsverstand übersteigt. Mit Ostern zum Beispiel. Mit dieser wunderbaren Richtung Jesu, hin zu den Menschen. Selbst ein Meer, selbst der Abgrund kann ihn nicht aufhalten. Und so läuft er auf das Schiff zu, auf das Schiff "Gemeinde", auf das Boot "Kirche". Das hat gerade heute hohen Seegang und schlingert herum im Meer; es wird von Wind und Wellen hin- und her geschüttelt. Jesus bemerkt die Angst vor dem Untergang, auch heute – und lädt ein zum Vertrauen: "Schaut nicht nur auf die Angst," scheint er zu sagen, "fixiert euch nicht darauf. Schaut weiter. Über euch hinaus. Schaut auf mich!"

Petrus, mit dem Mund immer vorne weg, lässt sich das nicht zweimal sagen. Wenn Jesus auf ihn zukommt, dann will er auch auf Jesus zugehen, ihm entgegen gehen. Er will das tun, was Jesus tut – er will ihm nachfolgen. In diesem Fall: Raus aus dem Boot, raus aus der Sicherheit! Quer übers Wasser, quer über den Abgrund! Ganz allein, als Einzelner! Was für ein Wagnis, was für ein Abenteuer!

Jesus ermächtigt den Petrus nun zu diesem Wagnis – bildlich gesprochen: Aufs Wasser zu kommen. Der Evangelist weiß: Nachfolge geht nicht auf eigene Faust. Man wird dazu gerufen, berufen. Darum sagt Jesus: "Komm!" Petrus steigt also aus dem Boot und wagt die Nachfolge. Und das Wasser trägt. Zunächst! Sein Leben ähnelt später wirklich einem Lauf übers Wasser – oder über glühende Kohlen! Auf ihn warten Gefängniszelle, Verfolgung und Märtyrertod: Kreuzigung mit dem Kopf nach unten. Dies ahnend kann man schon mit der Angst zu tun kriegen – und sinken! Wer der Angst immer mehr Raum gibt, wer sich darauf und auf sich selbst konzentriert, der kann untergehen. Den hält nichts. Hoffentlich sieht er die ausgestreckte Hand und lässt sich ergreifen – wie Petrus.

Liebe Schwestern und Brüder, gute Zeiten sind uns nicht versprochen und nirgends garantiert. Nachfolge Jesu war nie ein gemütlicher bequemer Spaziergang! Fester Boden ist uns nicht verheißen, auch nicht das Ende des Sturms. Aber auf die ausgestreckte rettende Hand dürfen wir hoffen. Und auf die Stimme, die sagt: "Komm. Hab keine Angst. Hab Vertrauen. Ich bin es!"