Weg in schweren Zeiten

Predigt am 10.05.2020

Die Kirche ist wie ein "Feldlazarett". Dieses ungewohnte Bild verdanken wir Papst Franziskus. Der Papst kann nichts anfangen mit einer Kirche, die vor allem "Selbstgespräche" führt, die vor allem mit sich selbst beschäftigt ist. Zum Beispiel damit, unter welchen hygienischen Bedingungen wieder Messen stattfinden. Sicher muss so etwas geklärt werden. Aber das "Feldlazarett Kirche" hat einen anderen Auftrag. Es ist für die Menschen da, die in diesen Wochen und Monaten schwer verunsichert sind - sozusagen herzkrank, fußkrank, auch geisteskrank. Es ist da für die Welt, die global leidet. Überall drohen heftige Wirtschaftskrisen, Menschen verlieren ihre Arbeit, vielleicht auch ihren Lebensmut. Die Ärmeren trifft es wieder deutlich härter! Um wichtige Werte wird gestritten: Gilt Gesundheit um jeden Preis? Was aber ist dann mit der Würde des Menschen - etwa mit 90-jährigen, die im Altenheim oder Krankenhaus auf Abstand gehalten werden und ohne die Nähe und den Trost ihrer Angehörigen sind? Wie bitter das ist, haben mir die Kinder von Sterbenden erzählt. Wird dieses "auf Abstand bleiben" zum Kennzeichen der Zukunft? Wird das Leben einsamer? Immer wieder klingt die Frage durch: Was ist eigentlich wichtig im Leben?

In den letzten Tagen habe ich einem Schüler aus Eritrea bei einer schriftlichen Hausaufgabe geholfen. Corona - und der Sport. Das ist nun nicht gerade mein Thema. Aber in dem Thema Sport zeigen sich ja wichtige Züge unserer Gesellschaft. Ich erfuhr, dass der weltweit bestbezahlte Fußballstar Messi monatlich 10 Millionen Euro verdient. Unsere Bundeskanzlerin kriegt 35.000 Euro. Rechnen Sie nach: Der Fußballer hat fast 300mal so viel!
Was ist das für eine Welt! Was für verrutschte Maßstäbe! Der Tanz ums Goldene Kalb! Was ist eigentlich wichtig im Leben?

Kleines brandneues Gedicht von Andreas Knapp, dem Leipziger Arbeiterpriester, der schon zweimal Gast war bei unseren Veranstaltungen "Grabt Brunnen"(aus seinem gerade erschienenen Buch "Ganz knapp"- Gedichte an der Schwelle zu Gott, S. 12):

Götterdämmerung

Kirchen geschlossen
Kapellen umgewidmet
das allerheiligste entweiht
der altar geopfert
das ewige licht gelöscht
das göttliche ausgetrieben
aus unserer Mitte

dafür sprießen die shopping malls
und banken aus dem boden
doch der neue gott des geldes
wird zur geißel
wir stürzen uns wie die lemminge
- ihm zum opfer-
in den tödlichen abgrund

Das "Feldlazarett Kirche" soll Menschen direkt helfen, den Armen zuerst. Aber es soll Menschen auch geistlich helfen, nicht "in den Abgrund zu stürzen". "Euer Herz lasse sich nicht verwirren", sagt Jesus im Evangelium. Vielleicht kann die Kirche Fragen wachhalten, die in der heutigen Zeit leicht untergehen. Wie jetzt in der Corona-Krise stürzen sich alle auf das, was sich praktisch organisieren lässt: Maskenpflicht, Öffnungszeiten, Zweimeterabstand. Aber das allein ist weniger als die halbe Miete! Dahinter zeigen - oder verbergen - sich die Sinnfragen. Etwa: Wie wollen und sollen wir als Menschen miteinander leben? Wie ertragen wir es, wenn unsere Freiheit eingeschränkt wird, unser Lebensstil bescheidener wird und wir wohl auf lange Sicht auf manches Gewohnte verzichten müssen? Was bedeutet das, dass wir mit der Nase auf unsere Endlichkeit und Vergänglichkeit gestoßen werden? Und für gläubige Menschen: Was hat das alles zu tun mit unserem Glauben an Gott?

Noch einmal Andreas Knapp mit dem neuen Gedicht "kältetod":

einst lebten wir
von Gott umhüllt
in einem warmen Mantel
doch dann dachten wir
es sei eine zwangsjacke

wir haben ihn mit allen wassern
der kritik und aufklärung gewaschen
bis das gewebe
fadenscheinig wurde
zerschliss und zerriss

bloßes nacktsein aber
machte noch nicht frei
und vielerlei verkleidungen
bemänteln nur
die innere gänsehaut

wenn einsamkeit
wie eine kalte hand
eisig nach uns greift
ist da nichts und niemand mehr
uns zu wärmen

Wärme in einer erkalteten Welt. Ein Glutkern, ein Herdfeuer aus alten Zeiten. Gott und sein Messias Jesus Christus als Herz-Erwärmer - Grundlage der Hoffnung. Im Feldlazarett weiß man noch darum. Man bedient nicht unbedingt die Mode und den neuesten Geschmack. Da wäre ja, was heute noch "in" ist, schon morgen "out"! Man versucht, das Gespür für "Ewigkeit" lebendig zu halten, für das, was immer da ist und immer gilt. Und die Freude an der Liebe, die im Wort "Gott" mitschwingt. Und das Interesse an dem Weg, der Wahrheit und dem Leben.

Im Evangelium zeigt sich Jesus sehr selbstbewusst: Ich bin der Weg! Der Weg. Nicht irgendeiner unter vielen anderen. Nicht der Vertreter einer bloßen Meinung, sondern der Wahrheit. So ein Anspruch gerät gleich unter Verdacht: Das ist Anmaßung! Was bildet ihr euch eigentlich ein?

Nun, dieses Wort vom Weg verdanken wir dem Evangelisten Johannes. Er lässt Jesus so sprechen, aber eigentlich will er sagen: Ich, Johannes, habe Jesus so erlebt. Ich kann nicht anders, als in ihm den Weg zu sehen. Ich kann nicht anders, als seine Wahrheit zu glauben, mein Vertrauen ganz in ihn zu setzen und so "das Leben in Fülle" zu empfangen.

Ich höre den Johannes sagen: Denkt an die Fußwaschung. Niemand sonst hat davon erzählt. Nur ich. Da ist alles zusammengefasst. Hat man sonst schon mal gehört, dass einer, der "oben" ist, der von Gott her kommt, so tief nach unten geht, sich zur Erde bückt, zu den Füßen und da den Staub und Dreck der Straße abwäscht? Ein Wegweiser, der den Weg selber geht, den er anzeigt?

Ja, könnte Johannes sagen, in diesem Jesus habe ich den "Schatz" gefunden, die Perle, für die man alles stehen und liegen lässt. Der Sinn des Lebens? Leben mit Ihm. Wohnen bei ihm; er hat viele Wohnungen. Leben wie aus einem Guss: nicht die schönen Worte auf dem einen Blatt und dann die mäßigen Taten auf dem anderen. Nein, alles stimmt überein: Weg; Wahrheit, Leben, Worte und Taten.

Weg ist dabei das treffendste Wort. Wir wollen Wege zu Gott finden. Johannes würde sagen: Diesen Weg müsst ihr nicht erfinden! Die Brücke ist schon gebaut - Gott ist auf dem Weg zu uns. Der Weg ist da, mit seinen Spuren. Habt den Mut, euch auf Gottes Wege zu trauen - die Wege hin zum Menschen, und darauf, Gott und den Nächsten zu treffen! Unterwegs bleiben - hin zu ihm, hin zu den anderen, hin zum eigenen Selbst.

Diesen Weg hat damals Johannes gewählt, zusammen mit den anderen Jüngern. Den Weg, den wir in unseren Gottesdiensten feiern - mit aller Stärkung: dass wir ihn auch gehen können und da nicht nur stolpern. Den Weg mit Namen Jesus. Diesen Weg möchte auch ich wählen. Nicht, "weil er sich irgendwie so ergab". Sondern, weil er die Wahrheit ist. Die Wahrheit auch in anstrengenden Krisenzeiten. Und weil darin eine große Hoffnung liegt.