Masken dürfen fallen

Predigt am Palmsonntag 05.04.2020

Beim Einkaufen gestern geriet ich in eine maskierte Gesellschaft. Einige vorwiegend ältere Leute tauchten plötzlich zwischen den Regalen auf, etwas gespenstisch, mit ihren Schutzmasken - von den Gesichtern sah man nicht allzu viel. So sinnvoll und notwendig die Masken auch sind - ich muss mich erst daran gewöhnen! Masken haben jetzt ihre Konjunktur, sie sind Mangelware, sie werden gesucht und gebraucht.

Wir treten jetzt ein in die Heilige Woche, und wenn alles normal liefe, würden wir die Palmweihe und die Passionsgeschichte miterleben. Und da passiert dann etwas Umgekehrtes. Während wir aus hygienischen Gründen Masken anlegen sollen, sind wir eingeladen, im geistlichen, im christlichen Sinne Masken abzulegen, uns zu demaskieren. Wie Jesus das auch getan hat.

Ähnliches geschah ja am Beginn der Fastenzeit. Zum Karneval lieben zumindest die meisten Rheinländer unter uns die Verkleidung und den Maskenball und das rauschende Fest. Aber dann kommt Aschermittwoch, und wir können uns einiges "abschminken". Ein Aschenkreuz zeigt uns, wer wir - auch - sind: angeschlagene, vergängliche, hinfällige Menschen. Gedenke, Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehrst. Denke daran, Mensch, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen, dass Wohlstand und Fortschritt ihre Grenzen haben. Dass du eine Grenze hast. Dass du zurechtkommen musst mit allen möglichen Leiden - und schließlich mit dem Tod.

Leiden heißt auf lateinisch: Passion. Wir haben, wie Jesus, auch unsere eigene, ganz persönliche Passionsgeschichte. Und wir sind Teil einer großen kollektiven, alle umfassenden Leidensgeschichte. Als Bürger: Wir sind konfrontiert mit einer Pandemie, die auf der ganzen Welt lastet. Als Christen: Wir gehören mit hinein in die Passionsgeschichte Jesu. Das ist kein Leiden, das wir sozusagen mit dem Abstand von 2000 Jahren ruhig und behaglich im Fernsehsessel begucken können, in einem der biblischen Karfreitagsfilme. Wir spielen da irgendwie mit! Der Tod Jesu geschieht für uns, um unseretwillen. Und hebt uns aus dem Dreck.

Ja, wir können uns einiges abschminken. Unsere Alltagsmasken, die wir nie oder kaum ablegen. Alltagsmasken, wie: Mir kann keiner was! Stärke zeigen, Unverwundbarkeit! Schwäche wird ja ausgenutzt, man wird an deinem Thron sägen! Alltagsmasken wie das Leistungs- und Siegergesicht. Alltagsmasken wie "ewige Jugend". Den Schmerz betäuben. Die Falten wegretuschieren. Negatives weglachen. Die Enttäuschung wegstecken.

Wenn wir in die Texte des Palmsonntags schauen, werden da die Masken des Siegers und des Erfolgs wegretuschiert, und das wahre Gesicht wird sichtbar: im Gesicht Jesu. Wahrheit wird freigelegt, der Schein hört auf. Du darfst dein wahres Gesicht zeigen.

Einzug Jesu in Jerusalem. Kein Triumphzug, trotz der Hosianna-Rufe! Bald wird man anderes schreien: "Kreuzige ihn!" Jesus reitet nicht auf dem Schlachtross der Krieger und Sieger, sondern auf einer Eselin. Sehr bescheiden, sehr zurückgenommen, viel näher am Boden, als Bote des Friedens, so zieht er ein nach Jerusalem. Und so soll die Kirche, seine Gemeinde mitziehen: Eher arm als reich. Gewaltlos. Keine Institution, die auf Standpunkten steht und ausruht. Sondern eine Kirche, die auf den Straßen unterwegs ist, mit den Menschen, zu den Menschen. Auf Augenhöhe, nie von oben herab.

In der Lesung (aus dem Buch Jesaja) wieder ein Hinweis auf das wahre Gesicht Jesu: Der leidende Gottesknecht. Er ist ganz Ohr für das göttliche Wort, seine Zunge spricht stärkende und ermunternde Worte für die müde Gewordenen. Sein Gesicht verbirgt er nicht vor Schlägen, Schmähungen und Speichel. In ihm lebt das Vertrauen in Gottes Hilfe. "Darum werde ich nicht in Schande enden!" Sein Vertrauen gibt ihm recht, die Schande des Kreuzes wird nicht das letzte Wort haben.

"Ecce homo, siehe da, der Mensch", sagt Pilatus (in der Passionsgeschichte des Johannes) und zeigt auf Jesus, der blutüberströmt schon die Dornenkrone trägt. Der Mensch: Nicht mehr schön an Gestalt wie eine griechische Götterstatue, unverwundbar wie Apoll. Nicht auf dem Siegerpodest. Sondern: Zerschlagen, am Ende. Gekreuzigt.

Ecce homo, seht, der Mensch: Heute in den Elendsquartieren der großen Städte, in den Intensivstationen der Krankenhäuser, nach Luft röchelnd. In den Flüchtlingskindern auf Lesbos. In allen, die auf der Strecke bleiben.

Sie sind alle Menschen Gottes. Gott hat sie nicht vergessen. Sie gehören zu ihm, auch wenn aller Augenschein dagegenspricht! Wir Christen sind dazu eingeladen, "passioniert", d.h. mit Leidenschaft, dem Schein - und dem Augenschein - nicht das letzte Wort zu lassen. Sondern Gott. Und Jesus Christus, dem Weg, der Wahrheit und dem Leben. Durch das Kreuz hindurch.