Ein Kind und zwei Greise. Darstellung des Herrn

Predigt am 02.02.2020

Ein noch sehr kleines Kind - und wie zum Kontrast zwei sehr alte Menschen - begegnen sich in dieser Geschichte. Und zwar an einem sehr markanten Ort: dem Tempel in Jerusalem, dem zentralen Heiligtum der Juden. Die Eltern haben das Kind Jesus dorthin gebracht, so wie es alle jüdischen Eltern machten, wenn der erste Sohn geboren wurde. Sie wollen ihn Gott sozusagen übergeben, so wie sie auch die ersten Früchte der neuen Ernte Gott überlassen.

Was steckt hinter diesem Brauch? Als wir einmal mit einer Gruppe die Synagoge in Bochum besuchten, hat es uns der dortige jüdische Gemeindeleiter so erklärt: Die eigenen Kinder sind kein Besitz, kein Eigentum der Eltern. Allenfalls sind sie eine Leihgabe! Man lebt zwanzig oder dreißig Jahre mit ihnen unter einem Dach, aber man muss sie ziehen lassen - in die eigene Selbstständigkeit hinein. Es bekommt weder Eltern noch Kindern, wenn man klammert und sie an sich bindet, wenn man nicht loslässt. Und da stellt der jüdische Brauch ein gutes und heilsames Stopp-Signal auf: Liebe Eltern, das Leben gehört Gott! Eure Kinder gehören nicht euch, sondern Gott! Und so bringen die Eltern das Kind in den Tempel und übergeben, ja schenken es Gott. Und Gott gibt es ihnen sozusagen treuhänderisch, als Leihgabe und Aufgabe zurück.

Ich finde, da haben die Juden ein starkes Zeichen gefunden! Ein Ritual, das gerade heute sehr aktuell wäre, wenn durch Überbehütung, Verwöhnung und allzu große Nähe den Kindern die Luft zum freien Atmen fehlt und sie aus dem "Hotel Mama" nicht recht herauskommen. Da ist der frühe Gang in den Tempel ein sprechendes Gegengewicht! Du bist nicht Besitz. Dein Leben ist nicht vorgegeben. Wachse in deine Freiheit hinein. Du kannst dich aber immer daran festhalten, dass du Kind und Mensch Gottes bist.

Jesus jedenfalls hat sich daran festgehalten. Mit zwölf Jahren ist er wieder im Tempel zu finden, in dem Alter, wo junge Menschen damals als mündig angesehen wurden. Er ist Maria und Josef ausgebüxt, hat sie ziemlich ungestüm in Angst und Sorge versetzt, sitzt da im Tempel unter lauter Professoren der Religion und fragt die bestürzten Eltern: Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört? Man kann merken: Jesus hat wirklich in seine Freiheit hineingefunden. Freiheit meint da nicht: Tun und lassen, was man will und worauf man gerade Lust hat. Freiwillig bindet Jesus seine Freiheit an Gott - und nur an ihn! Das meint übrigens das Wort "Religion": Sich freiwillig, aus innerem Antrieb an Gott zu binden. Und dann allem übrigen, "der Welt" gegenüber, möglichst frei und souverän zu sein.

Der Apostel Paulus fragt später: Wo ist Gott gegenwärtig, wo ist er zu finden in dieser Welt? Und er antwortet: In Jesus - und in den Menschen, die an ihn glauben. Sie sind der "neue Tempel Gottes" in der Welt, ein Tempel aus lebendigen Steinen. Man muss also nicht mehr unbedingt zum Tempel nach Jerusalem pilgern, um Gott anzutreffen (der Tempel wird ja auch bald von den Römern zerstört!). Man trifft Gott in sich selber an, im eigenen Herzen.

Unser Evangelium erzählt also symbolisch: Der neue Tempel (Jesus), dieses unerwartete Geschenk, begegnet dem alten Tempel. Und in ihm den Frommen seines Volkes. Denn nun sind da zwei alte Leute, ein Mann und eine Frau, die ganz offensichtlich auch Gott im Herzen tragen. Keine Betschwester, kein Betbruder, die da ihre Zeit im Tempel vertun! Sondern zwei Greise mit langer Lebens- und Glaubenserfahrung. Zwei Sinnsucher. Zwei mit einer prophetischen und visionären Kraft, wie sie oft bei Alten zu finden ist, die nicht mehr im Tagesgeschäft aktiv sind. Die keine Rolle mehr spielen müssen, sondern vielleicht aus diesem Abstand heraus weise wurden und tiefer sehen. Alte verbünden sich manchmal mit den Jungen, verstehen sie besser, erkennen in ihnen das Potential, sind ihnen "geistesverwandt". Kinder, die das Licht der Welt erblicken, sind für sie ein Grund, Gott zu loben und Hoffnung zu haben.

Diese beiden Alten - Simeon und Hanna - erkennen in dem kleinen unscheinbaren Kind, das da im Tempel ihren Weg kreuzt, das Heil der Welt. Simeon und Hanna sind Menschen, die sich nicht resigniert und enttäuscht mit dem Unheil der Welt abgefunden haben. Sie sind randvoll geladen mit Sehnsucht, Leidenschaft und Hoffnung! Simeon ruft aus, und die Kirche betet die Worte jeden Tag in der Komplet, in ihrem Nachtgebet mit: "Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast - ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel." Was für innere Augen hat dieser Simeon gehabt, dass er im Keim schon die Blüte und die Frucht erkannte, im Kind den Mann, im Anfang schon die große Entfaltung, den Sinn und Wert dieses Lebens Jesu! Wirklich eine "Erleuchtung". Augenöffner ist Gottes Geist, der ihn leitet und führt, betont das Evangelium.

Ich nehme aus diesem Text die Freude mit, dass es auch heute solche Menschen gibt wie Hanna und Simeon: Geistesverwandte Jesu. Menschen, die sich nicht von schlechten Erfahrungen, sondern von großen Erwartungen leiten lassen. Und darum passt dazu der Lobpreis des Lichtes und die Segnung der Kerzen. Wo solche Menschen hinkommen, da wird es heller. Da geht uns ein Licht auf.