Leo Pilorz +

Predigt in Essen-Bredeney am 17.03.2018

Der Leo ist tot. Eine verstörende Nachricht war das in der letzten Woche! Gestorben einen Tag nach seinem Weihetag ...

Der Leo, ein Weggefährte durch viele Jahrzehnte. Ich z.B. lernte Leo 1967 - vor mehr als 50 Jahren - kennen, als wir gemeinsam das Theologie-Studium in Bochum begannen.
Der Leo - so hieß er im ganzen Bistum. Der Pilorz, das sagte niemand. Vielleicht, weil er wohl der einzige Leo im Klerus war. Vielleicht, weil der Name so kurz und bündig ist. Vor allem aber darum kam immer der Vorname, weil "der Leo" als Mensch erlebt wurde. Nicht als Amtsperson, nicht als Kirchenbeamter und Funktionär. Als Mensch! Als Mensch, der glaubte - und das zu seinem großen Lebensinhalt machte - und das glaubwürdig lebte und weiter gab.

Zum Namen: Leo heißt Löwe. Aber Leo war nicht löwenhaft. Er war keiner, der sich vordrängte und den "König" spielen wollte. Er war eher klein geraten, ohne das kompensieren zu müssen. Im Älterwerden wurde er immer langsamer im Gehen und leiser im Sprechen. Ein Mann der leisen Töne. Nein, kein Löwe! Leo war die personifizierte Gewaltlosigkeit - er konnte keiner Fliege etwas zuleide tun. Unter Leo musste niemand leiden. Behutsam war er und sehr freundlich: er strahlte richtig, wenn er Leute begrüßte. Ganz zugewandt war er, ausgeglichen, verlässlich, zupackend, humorvoll, immer wohl wollend, voll von Frieden - selbst in den letzten drei Monaten der Todeskrankheit. Auch da ruhte er in sich, hatte den Frieden im Herzen. Er war im Reinen mit sich. Das alles sind gute Eigenschaften für einen guten Pastor!

Viele Pastöre werden gelobt und mehr noch kritisiert. Manche Züge und Eigenschaften mag man an ihnen, andere Seiten ihres Wesens finden heftige Ablehnung - und über die wird dann meistens geredet. Wir mochten alles an Leo - fast alles: Nur wenn er Witze erzählte, stöhnten wir, die Pointen kamen immer so spät! Nein, Leo war ein Pastor, ein "guter Hirte" im besten Sinn. Wäre ich nicht selber vom Fach, hätte ich ihn sehr gern als meinen Pastor gehabt!

Und er war ein tüchtiger Seelsorger - er verstand sein pastorales Handwerk. Während wir im Studium auf den Höhen der theologischen Abstraktion oder in den Niederungen der Bochumer Studentenkneipen wandelten, hatte Leo schon die Praxis und die Zukunft im Blick: er übte an der Orgel, vertiefte sich in Kirchenmusik und neues geistliches Liedgut, legte ein Foto- und Bildarchiv an, kopierte Dias für später, für die Katechese und den Religionsunterricht, bereitete Ferienlager der Caritas für Kinder vor und machte irgendwann auch einen Busführerschein. Er hatte ein Händchen für Gestaltung, das er akribisch und sorgfältig einsetzte. Das alles zahlte sich später aus. In Werden gründete er die Ludgerus Singers und führte sie zu großer Blüte. Mit vielen kreativen Ideen gestaltete er Arbeitshilfen im katechetischen und familienliturgischen Bereich mit, so die Adventskalender des Bistums Essen. Und wie viele jüngere oder ältere Menschen mag er auf seinen Busfahrten quer durch Europa geführt und ihnen den Reichtum christlicher Geschichte und Kunst erschlossen haben! Wie oft hat er wohl junge Leute nach Taizé mitgenommen und ihnen (und sich selbst!) eine Quelle eröffnet, von der man lange zehren konnte.

Leo war immer in Essen tätig. Er kannte die Stadt in- und auswendig; lange Jahre hat er die Kirche im Schulausschuss der Stadt vertreten. Seine Orte waren erst Rüttenscheid, dann nach der Weihe Katernberg, Werden, Schonnebeck, Heisingen und dann in den letzten Jahren Kettwig, Bredeney und weitere Gemeinden der Pfarrei St. Ludgerus. Er kannte den rauheren Norden und den wohnlicheren Süden der Stadt. Sein Herz ging auf, wenn er von den Kaplansjahren in der Propstei Werden erzählte, von der Nähe zur Jugend, von der Ministranten - und Chorarbeit. Auch wenn Erfolg, laut Martin Buber, "keiner der Namen Gottes" ist, spürte er, wie sein unermüdlicher Einsatz gesegnet war. Er dachte gern zurück an seine Gemeinden und ihre Menschen und viele von ihnen denken gern zurück an Leo Pilorz und sind dankbar für das, was er mit ihnen an Leben und an Glauben teilte.

Liebe Schwestern und Brüder,
"Ich bin der gute Hirte", sagt Jesus. Der gute Pastor. Leo hat hingeschaut zu diesem guten Hirten, hat sich ausgerichtet an ihm und ist selber ein guter Hirte geworden. Er bildete eine Frömmigkeit aus, in der Glaube und Liebe ziemlich nahtlos zusammenfanden. Auf der Todesanzeige der Familie ist das lateinische Wort abgedruckt: Ubi amor deus ibi est. Wo Liebe ist, da ist Gott. Das war der Kern. Ich habe an Leo bewundert, wie er das umsetzte und sich z.B. um seine alt gewordene Tante Leni kümmerte, die ihm lange den Haushalt geführt hatte. Während wir anderen in den Ferien "bis an die Grenzen der Erde" reisten - bis nach Guatemala oder Nepal hin, lud Leo in großer menschlicher Treue die Tante in seinen Wohnwagen und zeigte ihr Europa. Diese Treue und Menschenfreundlichkeit, diese Gabe, Menschen anzunehmen, wie sie sind, machte den Leo zu einem glaubwürdigen Zeugen der Liebe, die "von oben kommt".

Guter Hirte - das ist keine Idylle. Der gute Hirte hat's nicht leicht. Der große gute Hirte Christus setzt sein Leben ein, verliert es und gewinnt es neu. Leo setzte seine Kraft und Gesundheit ein. Er war seit langem gesundheitlich angeschlagen. Ein Glücksfall für ihn, dass er im letzten Lebensjahrzehnt in der Familie Siepmann in Kettwig ein liebevolles Zuhause fand.

Der Härtefall kam im Dezember: Krebs der schweren und schnellen Art. Noch drei Monate zu leben. Leo hat diesen Schlag angenommen und als Willen Gottes verstanden. "Alles, was auf Erden geschieht, hat seine von Gott bestimmte Zeit", dieses Wort aus Kohelet war ihm nah. In den letzten Lebenswochen taufte er noch ein ihm bekanntes Kind, den kleinen Adam, und hielt die Messe zu Lichtmess: erschöpft, aber glücklich. Er verabschiedete sich von vielen. Die letzten Gespräche waren traurig, aber schön - so haben es viele empfunden. Leo verzichtete auf Therapien, die eh nicht mehr helfen konnten, und ließ sich ganz ein auf das, was noch trotz des nahen Todes das Herz erfreuen kann: Sein Zuhause, mit den Menschen, die ihm sehr lieb waren. Das Kindergartenkind Clara aus der Familie Siepmann, das zu ihm "Opa Leo" sagen durfte. Clara drückte ein paar Tage nach Leos Tod einen Kuss in die Luft und sagte: "Ich habe dem Opa Leo einen Kuss in den Himmel geschickt!" Intuition eines Kindes!

Ja, und jetzt ist er am Ziel. Und wird erwartet. Als Leo vor zwanzig Jahren meine Mutter beerdigte, las er einen Text vor von Lothar Zenetti, den ich seitdem auch häufig benutze. Mir gefallen die vielen Fragen:

Alle unsere Namen wird der Wind verwehn,
oder ruft uns einer, dass wir fortbestehn?
Kann es sein, dass Gott uns einst vom Tod befreit
und in Freude wandelt alles Menschenleid?
Eine neue Erde, wie soll das geschehn,
dass wir unsre Lieben einmal wiedersehn?
Oder sind das Träume, die wir uns erdacht?
Wer von uns ist jemals aus dem Tod erwacht?
Wer wälzt von dem Grabe uns den schweren Stein?
Wer kann, wenn wir tot sind, uns vom Tod befrein?

Ehe dann das Bekenntnis Zenettis kommt:

Einen sah ich sterbend in das Leben gehn,
und ihm will ich glauben, dass wir auferstehn.

Bis dahin lauter Fragezeichen, die darauf hinweisen, dass der Tod die große Frage, die große Anfrage an uns alle bleibt, die wir nicht mit schnellen Antworten oder Selbstverständlichkeiten oder frommem Gerede zukleistern dürfen. Auch unser damaliger Weihespruch, ebenfalls auf der Todesanzeige zu finden, hielt etwas frei, ging ins Offene: Durch den Glauben gehorchte Abraham, als der Ruf an ihn erging, und er wanderte aus, ohne zu wissen, wohin es ging (Hebr 11, 8). Abraham brach auf, ohne zu wissen, wohin es ging. Abraham wusste nicht, und wir wissen auch nicht. Aber der Stammvater des Glaubens vertraute, dass Gott ihn auf gute Wege führt und an ein gutes Ziel. Und diesen Glauben, dieses Vertrauen können wir mit dem alten Abraham teilen. Das hat Leo beispielhaft getan.

Als ich Leo zum letzten Mal sah, meinte ich, ich müsste ihn etwas aufheitern (was gar nicht nötig war!) und erzählte die Anekdote von Bischof Poggenburg von Münster. Als er 1933 auf dem Sterbebett lag, erschien zum wiederholten Mal sein Beichtvater, ein alter Kapuziner, und fragte: "Exzellenz, sollen wir noch einmal Reue und Leid erwecken?" "Ach was," rief der Bischof, "ich lasse es jetzt drauf ankommen!" Ja wirklich: es drauf ankommen lassen, Gott beim Wort nehmen, im Vertrauen darauf, dass Sein Wort das beste Wort ist: Du bist mein. Du bist geliebt. Du wirst erwartet.