Judas war nie in Emmaus

Gedanken zum Osterfest - ein Gastbeitrag

Ich, Kleopas, komme gerade aus Emmaus. Sie wissen nicht, wo Emmaus liegt? Man sagt, es liegt nicht weit von Jerusalem, nur 60 Stadien entfernt. Auf einer Karte werden Sie es nicht finden. Auch deren Grundmauern nicht, selbst wenn Sie noch so tief graben.

Ich aber war da. Gestern. Habe mich aufgemacht, nach der ganzen Geschichte mit Jesus, dem unsäglichen Ende, um wieder nach Hause zurückzukehren. Gab ja nichts mehr zu tun für mich – für uns, die wir mit Jesus durch die Lande gezogen sind. Noch vorige Woche waren wir so guter Dinge, ja geradezu auf einem Höhenflug. Als wir nach Jerusalem kamen, wurden wir begeistert empfangen.

Wir hatten uns alles doch so schön vorgestellt. Ja, was eigentlich? Das Jesus die ganze römische Mischpoke vom Feld jagt, um das Land endlich den Juden zurückzugeben? Jesus hat das so nie gesagt, aber wir alle haben es uns so gedacht. Haben viel darüber diskutiert - wenn er nicht dabei war. Judas hat gesagt, wenn er nicht von sich aus anfängt, müssen wir ihn dazu zwingen. Nein, zwingen hat er nicht gesagt, aber ihn in eine Situation bringen, in der er zeigen kann, dass er ...
Dann ist er wohl zu den Hohepriestern gegangen und hat ihnen erklärt, er könne ihnen zeigen, wo sie Jesus ohne viel Aufhebens gefangen nehmen können. Und gehofft, dann würde Jesus endlich aus sich herausgehen und zeigen, welche Macht er hat. Nein, Verrat war das nicht, Judas wollte nur helfen. Dummerweise hat er noch das Geld angenommen, dass ihm die Hohepriester zugesteckt haben. Es wollte es erst gar nicht, aber wer weiß, wofür man es noch brauchen konnte. Hat im Nachhinein ein ganz schlechtes Bild auf ihn geworfen. Weil alles ganz anders gelaufen ist, als er sich das vorgestellt hat, im Garten von Gethsemane.

Jesus hatte an diesem Abend ein ganz ungutes Gefühl. Dass die Situation kippen würde. Dass sie ihn für den Aufruhr im Land verantwortlich machen. Ja, Hohepriester sind ganz schön empfindlich, wenn man ihnen den Spiegel vors Gesicht hält. Er hat sie ja auch ganz kräftig angegriffen. Dann schaukelt sich so eine Situation hoch. Und einige von ihnen meinten wohl, das beste sei es, ihn aus dem Weg zu räumen. Dann hätte man wieder Ruhe.
In Gethsemane sahen sie ihre Stunde gekommen. Sie schickte ein paar bewaffnete Schergen, um ihn gefangen zu nehmen. Und Judas hatte ihnen gesagt: "Den ich küssen werde, der ist es." Als ob sie nicht wüssten, wer Jesus ist. Aber so konnte er noch einmal ganz nahe an Jesus heran. Konnte ihm zuflüstern: Jetzt zeig denen, wer hier das Sagen hat, schlag sie in die Flucht, zeig ihnen endlich ihre Grenzen. Und dann lass uns mit dem Neuanfang Israels beginnen.

Doch, was macht Jesus? Nichts! Da hat Judas begriffen, dass er Jesus falsch eingeschätzt hat. Dass dieser nicht berechenbar ist, nach eigenen Gesetzen lebt, nach Gesetzen, die nicht von dieser Welt, nicht auf unserem Denken aufgebaut sind. Er hat sich gefangen nehmen lassen, ohne Widerstand.
Den Rest kennen wir ja: das Ende am Kreuz. Immer noch hatten wir gedacht, irgendwann wird ihm das zu viel, irgendwann muss er sich doch wehren. Schließlich hat er nichts getan, das den Tod verdient.
Doch keine Verteidigung, nur so kryptische Aussagen wie: Ich werde den Tempel einreißen und in drei Tagen wieder aufbauen. Er? Allein? Ohne fremde Hilfe?
Doch hatten wir auch noch in den Ohren: "Meine Zeit ist noch nicht gekommen". Aber wann endlich? Viel Zeit hatte er ja nicht mehr. Erst im Nachhinein haben wir verstanden, dass seine Zeit gekommen ist, wenn sie zu Ende geht. Das Ende ist der Anfang.

Und Judas? Hat sich sein Vorgehen schwer zu Herzen genommen. Hat sich zum Vorwurf gemacht, er sei für den Tod Jesus verantwortlich. Konnte nicht mehr damit leben und hat sich umgebracht, erhängt. Hätte er doch nur noch ein paar Tage gewartet, dann wäre für ihn alles anders gelaufen. Aber so ist er Jesus vorausgegangen, wie er - freiwillig - in den Tod.

Auch wir haben so etwas wie den Tod erlebt. Waren ja immer ganz nah bei Jesus. Haben zwar nicht immer verstanden, was er meinte, waren uns aber immer sicher, dass es richtig ist. Dass es zu einer besseren Welt führt. Als er dann am Kreuz starb, fiel alles wie ein Kartenhaus zusammen. Eine Vision - gestorben. Können sie sich vorstellen, wie frustrierend das ist? Was sollen wir denn jetzt tun?
Wir haben dann noch gewartet. Drei Tage lang. Haben überlegt, uns den Kopf zerbrochen. Das alles passt doch nicht zusammen. Erst die Vision vom Gottesreich auf Erden - und dann dieses, ... dieses Nichts. Die Frauen haben uns zwischenzeitlich in Aufruhr versetzt: der Leichnam Jesu sei nicht mehr im Grab. Auch darauf konnten wir uns keinen Reim machen. Wer klaut denn eine Leiche?

Und so haben wir dann gesagt: Das war's. Gehen wir wieder nach Hause. Von irgendetwas müssen wir schließlich leben. Machen wir da weiter, wo wir aufgehört haben, als Jesus in unser Leben trat.
Und so habe ich mich auf den Heimweg gemacht, zusammen mit meinem Freund. Enttäuscht, frustriert, ja richtiggehend deprimiert. Was sollten wir denn unseren Leuten zuhause sagen? Sind einem Phantom hinterhergelaufen? Den ganzen Weg über haben wir uns den Kopf zermartert, was da eigentlich abgelaufen ist - die ganze Zeit mit Jesus.

Ich weiß nicht mehr genau, wann, aber immer mehr ist die Niedergeschlagenheit von uns gewichen. Wir haben uns nicht mehr so allein gefühlt. Uns ist immer mehr klar geworden, warum das mit Jesus passiert ist - der scheinbar unsinnige Tod. Er hat es wohl schon immer gewusst, konnte und wollte ihn nicht abwenden. Uns kam es vor, als ob jemand mit uns ging und uns alles, aber auch alles, was wir bisher nicht verstanden haben, erklärt. Das war nicht nur so ein Gefühl. Ich kann's nicht anders erklären, man hätte meinen können, wir wären zu dritt. Und als es dann langsam zu dämmern begann, haben wir nach einer Herberge gesucht. Irgendwo da draußen, sagen wir - in Emmaus. Dort gab es zum Essen Brot und Wein. Und als wir dann das Brot brachen und den Becher zum Mund führten, da war es wie am Abend vor seiner Gefangennahme. Jesus war bei uns, wir hörten, wie er zu uns sprach, wir sahen, wie er das Brot brach. Dann begann es auch uns zu dämmern: er war wirklich bei uns. Gerade wollten wir ihn fragen, ob er die ganze Zeit mit uns den Weg gegangen ist - da war er verschwunden.

Nicht ganz - die Enttäuschung, der Frust waren verschwunden. So ein Hochgefühl hatten wir schon lange nicht mehr. Das mussten wir weitersagen. Also nahmen wir unsere Beine in die Hand und rannten zurück nach Jerusalem, zu unseren, zu seinen Freunden. Aufgeregt erzählten wir unsere Geschichte, wie das Gefühl, dass er bei uns ist, immer stärker wurde. Und wie wir dann sicher waren, dass er uns nicht verlassen hat, sondern, wann immer wir es zulassen, er bei uns ist, wirklich bei uns ist.

Was hatten wir erwartet? Große Augen, ungläubiges Staunen? Wild durcheinander erzählten alle, dass sie das gleiche erlebt hatten. Jetzt waren wir ganz sicher: Gestorben ist er am Kreuz, aber tot ist er nicht. Jesus lebt unter uns weiter. Wann immer wir in seinem Namen zusammen sind, wann immer wir an ihn denken, ist er bei uns.

So war das.
Und seitdem sagen wir immer, wenn uns etwas über Jesus klar wird, was wir vorher nicht begriffen haben: warst du auch in Emmaus?

Schade, dass Judas nie in Emmaus war.