Nachtgespräch mit Nikodemus

Predigt am 11.03.2018

Vor allem, wenn man jung ist, laufen die besten und tiefsten Gespräche oft in der Nacht. Ich weiß noch aus meinen Zeiten als Jugendkaplan, dass es bei Wochenenden mit Jugendlichen wenig Schlaf gab, sondern langes Reden und Zuhören bis tief in die Nacht. Früher hat man solche Gelegenheiten "Nikodemusstunden" genannt - nach dem jüdischen Schriftgelehrten Nikodemus, der in der Nacht zu Jesus kam, um mit ihm zu sprechen. Das konnte noch einen anderen Grund haben: Nikodemus wollte nicht gesehen werden. Für einen Pharisäer war es gefährlich, im vertraulichen Kontakt mit Jesus zu sein. Die "Geheimdienste" schon damals waren wachsam und schliefen nicht! Für den Evangelisten Johannes, der als einziger von diesem Nachtgespräch erzählt, kommt noch etwas anderes hinzu, etwas eher Symbolisches: Die Nacht ist die Zeit des "Dunklen, Geheimnisvollen" - im Gegensatz zum "Tag-hellen".

Geheimnisvoll entwickelt sich auch das Gespräch. Nikodemus ist ein Suchender, der noch keinen endgültigen Standort gefunden hat. Eigentlich ein ziemlich moderner Mensch! Er kommt mit einem offenen Herzen, er ist nicht festgelegt. Im Gespräch "tastet er Jesus ab". Er bewundert ihn - bleibt aber vor der Türschwelle des Glaubens stehen. Nikodemus ist ehrlich. Aufrichtig, klug, ein idealer Gesprächspartner - aber das alles ist noch vor der Schwelle.

Jesus will ihm nun im Gespräch zeigen, wie man über die Schwelle kommt - hinein in den Glauben. "Du musst von oben geboren werden!", sagt er, "wiedergeboren, neu geboren aus Wasser und Geist!"

Wiedergeburt - eine merkwürdige und missverständliche Vorstellung. Heute ist sie ein Schlüsselwort derer, die von Seelenwanderung sprechen, von unzähligen Wiedergeburten in einem "Leben nach dem Tod". Aber das ist hier sicher nicht gemeint. Nikodemus tut sich schwer: Wie das? Ich kann doch nicht in den Mutterschoß zurück, um von neuem geboren zu werden. Dabei trifft er durchaus etwas Richtiges: Man muss sehr klein werden, man muss loslassen. Man muss vom "hohen Ross herunter", vom Stolz auf seine Bildung oder seine Leistungen - man muss sich beschenken lassen - kurz: Man muss wieder zum "Kind" werden, zum Kind Gottes.

Und da bewegt sich was in diesem Nikodemus. Eine Wende! Vielleicht so, dass er denkt: Ich habe mich so furchtbar angestrengt im Leben. Ich lief im Hamsterrad der Gebote. Alles wollte ich richtig machen. Die Gesetze Gottes zu halten, das war das Wichtigste. Aber der "springende Punkt" fehlt noch. Ich muss wohl wirklich "springen", ins Vertrauen springen. Leistung ist wichtig. Vertrauen ist wichtiger. Ich möchte mich fühlen können als Kind Gottes, als "Sohn" - geliebt, Vereint mit Gott!

Wenn Menschen zum Glauben an Jesu kamen, war das wirklich eine Wende im Leben. Ein neues Leben begann. Man sah sich und alles mit anderen Augen - in einem neuen Licht! Zum Beispiel lernte man die anderen als Brüder und Schwestern zu sehen - und Gott als den gemeinsamen Bezugspunkt, den "Vater", zu dem man aufschaute. Man sah nicht mehr sich als Angelpunkt und Mittelpunkt von allem - sondern Gott! Man sah neu und anders in die Welt und sah neu und anders, "was im Leben wirklich zählt".

Dieses Evangelium mit Nikodemus hören wir in der Fastenzeit. Vor allem die Taufbewerber fühlten sich dadurch angesprochen, die vielen Erwachsenen, die in der Osternacht getauft wurden. Da feierte man dann mit der ganzen Gemeinde diese große Wende, wo Menschen die Türschwelle zum Glauben überschritten, manchmal sozusagen wie in einem Sprung herübersprangen und im "neuen Leben" ankamen. Wende, ja Wiedergeburt wirklich "aus Wasser und Heiligem Geist" - das wurde mit großer Freude und aus ganzem Herzen gefeiert!

Was könnte "Wiedergeburt" nun für uns heißen, die wir ja alle schon getauft sind? Ja, wir sind getauft, aber unser Glaube ist vielleicht "eingetrocknet" und verschrumpelt wie Obst, das zulange in der Schale liegt. Unser Glaube ist vielleicht zu sehr Gewohnheit und Routine geworden, eine Pflichtübung oder eine Kopfsache. Vielleicht haben wir ihn in die Abstellkammer verbannt - zu allem anderen Gerümpel des Lebens. Da riecht es leicht modrig und verstaubt! Und dann merken wir: Er muss ins Leben, an die frische Luft. Er muss sich erneuern.

Wiedergeburt, Erneuerung: Manche erleben das in Krisen oder in der Trauer. Da brechen ganz neu Fragen auf. Die alte Routine zerbricht. Man spürt: Der eingetrocknete Glaube reicht nicht mehr aus. Dann kann einem Gott ganz neu aufgehen und begegnen.

Andere erleben Erneuerung durch Begegnungen mit Menschen und Gruppen, die etwas "ausstrahlen". Eine Taizéfahrt für Jugendliche, eine Begegnung, ein Ereignis, etwa die Geburt des eigenen Kindes, kann zu einem Schlüsselerlebnis werden, das das Herz öffnet. Und das bekommt dem Leben, macht es reicher und reifer. Manche fangen dann an, wieder zu beten, wieder "anzudocken" an den Glauben.

Im Evangelium heißt es: Jeder, der glaubt, hat das ewige Leben. Ein toller Satz! Er hat es jetzt schon, hier! Jesus sagt nicht: Er wird es erst nach dem Tod bekommen. Er hat das neue Leben, Leben mit Gott und auf ihn hin - ein Leben, das kein Tod zerstören kann. Mit dieser Sicht kann man gut leben - und kann man gut sterben.

Möge Gott uns allen auf unseren Lebenswegen die erneuernde Kraft des Glaubens schenken und eröffnen!