Tempelaustreibung: Gott ist umgezogen

Predigt am 04.03.2018

Einmal ist Jesus richtig wütend geworden - und das ausgerechnet in einer Kirche - im Tempel. Er ging dorthin, um zu beten. Tempel, das heißt: Haus Gottes, Nähe Gottes. Aber das Beten dort wurde ihm schwer gemacht. Eine Unruhe störte und hinderte ihn. Er hörte den Lärm, das Geschrei und Gefeilsche, die klirrenden Münzen der Händler, hörte, wie die gemästeten Opfertiere grunzten und blökten. Eine Atmosphäre wie auf einem Schlachthof! Eine merkwürdige Art, Gott zu dienen: Du kaufst ein Tier - wenn du arm bist, eine Taube, wenn du reich bist, ein Rind -, du lässt es schlachten, opfern, Gott darbringen, du murmelst Gebete dazu - und das war es dann. Jesus wurde also richtig wütend. Zorn und Wut können manchmal sehr heilsam sein! Und dann machte er etwas, was manche Propheten auch so ähnlich getan hatten: er jagte die Händler und Geldwechsler hinaus, kippte die Tische um, ließ die Tauben davonfliegen, weit in den Himmel hinein, wohin sie gehörten. Dabei rief er laut: "Hört damit auf! Was habt ihr aus dem Tempel gemacht? Verhunzt und beschmutzt habt ihr ihn! Einen Marktplatz, eine Räuberhöhle habt ihr jetzt!" Geschäftemachen an heiliger Stätte, modern gesprochen: Kommerzialisierung von allem und jedem. Da schwollen die Zornesadern Jesu! Aber mit solchen Aktionen schafft man sich Feinde - gleich auf den ersten Seiten des Johannesevangeliums. Und die rufen nicht nur "Der macht uns unser Geschäft kaputt", sondern mehr noch: "Der da tastet unsere heiligsten Traditionen an. Der will uns unseren Opferkult nehmen!" Das war ja wirklich ein altehrwürdiger Kult in den meisten Religionen, auch heute noch: Ich gebe Gott etwas. Ich opfere eine Gabe: Früchte, Tiere, etwas von der Schöpfung. Ich gebe es ihm zurück, denn eigentlich kommt ja alles von ihm. Und er gibt dann seinen Segen. Das Opfer war fast so etwas wie ein Tauschgeschäft: Ich gebe, damit du gibst. Und da geht Jesus nun dazwischen. Und seine Feinde denken: Der Mann ist gefährlich, man muss ihn im Blick behalten. Der stört unsere Kreise. Der stellt ganz neue Lehren auf!

Aber da hatten die Feinde Jesu durchaus Unrecht. Denn Jesus brachte nichts Neues an diesem Punkt, sondern rief nur die alten Worte der Propheten in Erinnerung. Den Propheten war der Opferkult im Tempel nie geheuer gewesen. Viele Propheten von einst hatten im Namen Gottes immer wieder ausgerufen: "Ich will eure Opfer nicht! Sie hängen mir zum Hals heraus! Ich will keine Schafe und Ochsen. Ich will nicht eure Früchte, ich will nicht euer Geld! Ich will etwas ganz Anderes: Ich will - euer Herz! Was ich will, ist Gerechtigkeit und Recht, Freude und Leben für alle Menschen. Was ihr mir da opfert, ich will es nicht! Gebt es den Witwen und Waisen, für die niemand sorgt. Gebt es den Armen. Erst dann und dadurch gebt ihr es mir. Denn in ihnen leide ich mit. Das ist der Gottesdienst, den ich mir wünsche: Gerechtigkeit will ich, nicht Brandopfer!"

So klang es bei den Propheten. So klingt es bei Jesus.
Diese prophetischen Worte gelten immer noch. Und immer noch gilt: Die Wohnung Gottes ist, seit Jesus, woanders zu suchen. Man kann sagen: Gott ist umgezogen! Wo soll man Gott anbeten, wird Jesus einmal gefragt, und er antwortet: "Die wahren Beter werden den Vater anbeten im Geist und in der Wahrheit." Das ist der neue Ort. Die Orte, an denen Jesus selber zu finden war, heißen z.B. Stall - Werkbank - Marktplatz - Hecken und Zäune - Seen und Berge - Gastmähler und Feste - und schließlich das Kreuz. Dazwischen auch Synagogen und Tempel. Ziemlich weltlich, diese Liste! Finden Sie nicht auch? Man kann sagen: Wo Jesus hinkommt, wird auch das weltlichste Stück Welt zum Tempel, zum Raum des nahen Gottes, zum Ort des Staunens und der Anbetung. Wo wir hinkommen, können auch wir unser Stück Welt zum Tempel - oder zur Hölle machen.

Der alte Tempel ist nicht mehr die gültige Hauptadresse. Ein paar Jahrzehnte später wird er außerdem zerstört, von den Römern. Der neue Tempel Gottes in der Welt heißt: Christus! Im Evangelium sagt Jesus: "Reißt diesen Tempel nieder, in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten!" Und der Evangelist Johannes kommentiert: "Er aber meinte den Tempel seines Leibes." Der neue Tempel Gottes in der Welt heißt: Christus. Und er heißt auch: Christen! Denn wir sind der Leib Christi. Was für ein Anspruch! Was für eine Zumutung! Wir sind Gottes Tempel in dieser Welt, ein Tempel aus lebendigen Steinen.

Gott wohnt in uns, wie es im Lied heißt (GL 414): Doch in den Menschen willst du wohnen, mit ganzer Kraft uns zugetan. Auch in den verwundeten Opfern der Kriege, den Menschen in Syrien. Den Flüchtlingen, die keinen Ort haben. Den Kindern, die in Armut leben. Gott bekommt ein Gesicht in ihnen allen. So sollen wir Gott nicht an den falschen Stellen suchen, nicht im Stein, nicht im Marmor, nicht im Gold. Gott kommt uns nah - nicht so sehr im Stein der Gebäude, sondern im Leib, im Fleisch und Blut Christi, im Brot der Eucharistie, in den Menschen. Darum ist der Mitmensch, der Nächste so wichtig: auch er ist ein "lebendiger Stein" in dem großen Bau, den Gott in dieser Welt errichtet. Und manchmal brauchen wir wirklich einen kräftigen Schubs, oder sogar Jesu Geißel aus Stricken, dass wir wieder daran erinnert werden.

Wo wohnt Gott eigentlich, wird ein jüdischer Rabbi gefragt. Und er antwortet: Gott wohnt da, wo man ihn einlässt.