Das Wichtigste ist doch die Gesundheit?

Predigt am 11.02.2018

Wieder hören wir eine Heilungsgeschichte - nach dem Gelähmten und einer Schwiegermutter, der des Petrus - nun ein ganz schwerer Fall: ein Aussätziger. Jesus erscheint als der Heiland, der Heil-Macher: Er bringt Gesundheit, aber noch mehr: "Heil". Er sieht den Menschen als Ganzes, als Leib und Seele, und bringt die gestörte Einheit "in Ordnung", ins rechte Lot, hin zum Frieden, hin zu Gott.

Ein kleiner Text von Lothar Zenetti bringt das auf den Punkt: Ich traf einen jungen Mann, mit Sportwagen, sonnengebräunt, frisch aus dem Studio, kraftstrotzend, und fragte ihn beiläufig, wie es ihm gehe. "Alles Mist!" sagte er, und wiederholte es noch einmal: "Alles Mist!" Und brauste mit seinem Auto davon.
Und dann traf ich eine alte Frau. Sie saß im Rollstuhl, und ziemlich beklommen fragte ich sie, wie es ihr denn gehe. "Gut!", sagte sie. "Es geht mir gut!"
Da siehst du mal wieder, dachte ich bei mir, immer hast du mit den falschen Leuten Mitleid!

"Das Wichtigste ist doch die Gesundheit", höre ich immer wieder. Ja, sie ist wichtig genug, denke ich gerade dann, wenn Rücken und Beine wehtun. Aber das Wichtigste? Die alte Frau im Rollstuhl lehrt mich anderes: Sie ist nicht gesund. Sie ist krank. Und doch lächelt sie zufrieden. Sie steht zu ihrem Leben und lässt etwas vom "Heil" durchscheinen. In der Geschichte wird auf einmal deutlich, dass der Rollstuhl ein besserer, "heilsamerer" Ort sein kann als ein Sportwagen, dessen Besitzer alles als "Mist" empfindet.

Letzten Sonntag wurde der Blasiussegen ausgeteilt – eine der wenigen Gelegenheiten in der Liturgie eines Jahres, in der das Thema "Gesundheit" vorkommt. In der Regel wird darum gebetet, dass der Herr vor allem Leid bewahrt. Seit langem habe ich die Worte abgewandelt: Der Herr stärke dich in allem Leid! Jetzt sprach mich jemand darauf an, warum ich so anders formulierte. Ich wusste nun, der Betreffende war selber krank, er war nicht bewahrt worden, wie fast alle, die den Segen empfangen (vielleicht mit Ausnahme der Kinder). Und darüber hinaus: Ist es wünschenswert und wirklich menschlich, vor allem Leid bewahrt werden zu wollen. Das käme mir vor wie ein halbiertes Leben, das nur schöne Tage kennt, ein kleines "Schlaraffenland". Wie würden wir reif werden und innerlich wachsen in einer solchen leidfreien Zone? Vielleicht hat unser Sportwagenfahrer in der Geschichte so vom Leben gedacht: Immer Volldampf voraus, immer Vorfahrt, immer in der Spur der Sieger. Und dann werfen einen die Widrigkeiten aus der Bahn - "Alles Mist" -, weil man nicht mit ihnen umgehen kann.
Nein, ich setze nicht auf eine leidfreie Welt. Ich hoffe eher, nicht über meine Kräfte beladen und belastet zu werden, dass ich das Schwere tragen kann und lerne, damit umzugehen. So erhoffe ich Stärkung durch Gott!

Ein ähnlicher Gedanke: In einem Hospiz sah ich ein großes Plakat. Warum ich? Stand darauf, großgeschrieben, im Fettdruck, und dann, viel kleiner, mit Abstand darunter: Warum ich nicht? Warum ich? Höchst menschlich, so zu fragen. Manchmal fügt einer noch hinzu: Warum bestraft mich der Herrgott? Ich habe doch nichts Böses getan.
Und dann das andere: Warum ich nicht? So viele Menschen werden krank, haben Krebs oder etwas anderes Bedrohliches. Warum sollte gerade mir das nicht passieren? Warum sollte gerade ich die Ausnahme sein? Es ist das Schicksal so vieler. Es gibt eine Gemeinschaft der Leidenden und Jesus, der Gekreuzigte, ist mit seinen Leiden mittendrin und stützt und stärkt auf diese Weise.
Ich war oft in Lourdes, dem Wallfahrtsort, wo die Kranken im Mittelpunkt stehen. Drei Wochen habe ich als Student da mal Kranke gefahren. Dabei erlebt man so einiges. Viele Kranke hatten wohl auf Heilung gehofft, auf ein "Wunder", das ja gelegentlich dort geschieht. Aber sie fuhren krank zurück - und doch verändert. Oft näher "im Heil", im Frieden. Die Frau im Rollstuhl, in unserer Geschichte, war vielleicht auch mal in Lourdes gewesen.
Hans Küng, der Theologe, hat recht: Gott bewahrt mich nicht vor allem Leid - aber er bewahrt mich in allem Leid.

Etwas näher nun ran ans Evangelium. Das damalige Weltbild ist von unserem meilenweit entfernt, man kann sich nur schwer hineindenken. Man kannte damals nicht die medizinischen Ursachen und Zusammenhänge. Eine Krankheit wurde von bösen Mächten geschickt, oder auch von Gott, wie eine Strafe verhängt für die Sünden der Vorfahren oder die eigenen Sünden. Weil sie damals oft als schuldhaft galt, machte sie kultisch unrein, der Kranke durfte damit nicht in den Tempel, in die Kirche gehen. Ganz besonders schlimm war es beim Aussatz, weil diese Krankheit so ansteckend war. Der Leprakranke war "sozial schon tot"; er vegetierte im Abseits, in Höhlen außerhalb der Stadt. Er war absolut draußen!

Jesus macht damit Schluss. Endgültig! Er sagt: Schaut anders, ganz anders hin zu Gott: Er schickt nicht das Leiden, er ist nicht die Ursache. Nein, er will davon befreien! Darum heilt Jesus immer wieder Kranke,- zumindest hier und da, aber niemals "flächendeckend"! Damit zeigt er: Gott ist auf eurer Seite! Selbst auf der Seite der Aussätzigen, die völlig draußen sind. Jesus kommt, und mit ihm Gott. Und dann ist der Geheilte völlig drinnen. Drinnen im Heil. Da, wo Jesus uns alle hinbringen will - vielleicht gesund, aber mehr noch: geheilt.