Statt vergraben: vertrauen

Predigt am 19.11.2017

Worauf kommt es im Leben eigentlich an? - Das Kirchenjahr geht zu Ende, und in diesem Endspurt kommt uns der Evangelist Matthäus mit großen Gleichnissen, die uns alle vor die Frage stellen: Worauf kommt es wirklich an im Leben? Mehr oder weniger bewusst stellen wir uns alle diese Frage. Wahrscheinlich nicht so, dass wir uns darüber den Kopf zerbrechen, sondern durch unsere Weise zu leben: dies zu tun und das zu lassen. Die Antwort unseres heutigen Gleichnisses lautet: Es kommt im Leben darauf an, dass du dir selber vertrauen kannst, indem du diesem Gott, und sonst niemandem, grenzenlos vertrauen lernst.

Aber so weit sind wir noch lange nicht. Das Evangelium liegt nicht jedem. Der amerikanische Autor und Franziskanerpater Richard Rohr schreibt z.B.: "Ich habe dieses Gleichnis nie leiden können, denn ich bin in den USA in eine katholische Schule gegangen, und am ersten Schultag pflegten uns die guten Nonnen erst einmal diesen Text vorzulesen. Und dann hat der Priester eine Predigt darüber gehalten und uns ermahnt, gute und fleißige Schüler zu sein und Einser und Zweier zu schreiben und keine Dreier. Wir sollten so sein wie der erste und zweite Diener in der Geschichte, aber bloß nicht wie der dritte Mann. Deswegen hat mir diese Geschichte nie gefallen!"

Das Schicksal des dritten Dieners kann einen in der Tat erschrecken - der da, der sein Talent vergraben hat, wird in die "äußerste Finsternis" geschmissen, wo man nur "heulen und mit den Zähnen knirschen" kann. Und auch die nächsten Sätze sind heftig und unerhört:" Wer hat, dem wird gegeben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat." - Ja, was hat der dritte Diener denn Schlimmes verbrochen, dass er so fürchterlich behandelt wird? Er hat sein Talent, das, was er ins Leben mitbekommen hat, sorgfältig behütet, vergraben und dann feinsäuberlich zurückgegeben. Und dafür dann dieses vernichtende Urteil?

Stellen wir uns mal auf die Seite dieses dritten Dieners, kommen wir ihm zu Hilfe wie ein Verteidiger! Geht es wieder gegen die Kleinen? Ist es denn eine Kunst, mit dem Vierfachen, Fünffachen ausgestattet wie die anderen Diener, dann große Geschäfte zu machen, vor Selbstbewusstsein zu strotzen und die großen Erfolge einzufahren? Wird jetzt also auch im Evangelium den Tüchtigen und Erfolgreichen das Wort geredet? Warum diese Härte gegen den dritten Diener? Wahrscheinlich traut er sich eh nichts zu. Er ist voll von Gefühlen der Minderwertigkeit, die Angst ist ihm in die Wiege gelegt, er muss darum "auf Nummer sicher gehen". Wo bleibt das Verständnis für ihn, für die vielen Menschen, die ähnlich gestrickt sind? Die nirgendwo glänzen, die sich bedeckt halten, die nie eine Gelegenheit finden, wirklich etwas zu wagen? Die also werden ins Gefängnis und in die äußerste Finsternis geworfen? Menschen, die nicht eigentlich schlecht sind, sondern nur: ängstlich, risikoscheu, misstrauisch?

Halten wir an mit diesen Fragen. Wenn wir uns in diesen dritten Diener wirklich hinein fühlen, erst dann werden wir ahnen, warum Jesus mit diesem armen Kerl so heftig ins Gericht geht. Was dieser dritte Diener braucht - und wir alle brauchen -, das ist mit einem Wort gesagt: Vertrauen. Es kommt im Leben darauf an, dass Du vertrauen lernst, lernst, Dir selber zu vertrauen, indem du diesem Gott grenzenlos vertraust. Alfred Delp hat einmal gesagt: "Lasst uns dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt." Dieser Mann hat bei mir Kredit, er hat es 1944 gesagt, mitten im Niedergang des Nazireichs. Die Nazis hatten ihn, den Jesuitenpater und Widerstandskämpfer, auch in die "äußerste Finsternis" geworfen, er konnte sich seine baldige Hinrichtung ausmalen - und dann dieses unglaubliche Vertrauen! Oder sein Kollege Dietrich Bonhoeffer: Von guten Mächten wunderbar geborgen ...

Dieses Vertrauen fehlt dem Mann im Gleichnis völlig. Das Problem ist nicht, dass er weniger Talente hat als die anderen und damit deutlich benachteiligt ist. Das Problem ist, dass er diesem Gott - und um den geht es auch hier voll und ganz - nicht vertrauen kann. In diesem dramatischen Gleichnis sagt Jesus: Schielt doch nicht auf die anderen, die vielleicht mehr abbekommen haben als ihr! Vergleicht euch erst gar nicht mit ihnen! Hört auf, euer Schicksal zu bejammern, das Euch weniger zugedacht hat. Fangt doch endlich an, in Ruhe mit dem umzugehen, was euch mitgegeben wurde, also euer eigenes Leben zu leben. So gut ihr könnt - euer eigenes Leben zu leben! Und bei all dem brauchen wir keine Angst zu haben vor diesem Gott, sondern wir dürfen ihm vertrauen. Er hat Dich geschaffen, einmal und einmalig unter sieben Milliarden Menschen. Er wollte dich genauso haben, wie nur du allein in deinem Wesen bist. Eines Tages wirst du ihm dein Leben wieder zurückgeben, und du wirst keine äußerste Finsternis und Verlorenheit schauen - wenn du nur das Vertrauen gelernt hast!

Hätte dieser dritte Diener alles Schlimme im Leben getan, hätte er all sein Talent verloren, verschleudert, kaputt gemacht, wäre er mit absolut leeren Händen zurückgekommen - ich bin überzeugt: Gott hätte ihn dennoch in die Arme genommen. Wenn er nur vertraut hätte - wie im anderen Gleichnis vom verlorenen Sohn.

Angst macht eng. Vertrauen macht weit. "Lasst uns dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt." Lasst uns das Leben wagen - mit allen Risiken, ohne ständig auf "Nummer sicher" zu bleiben. Denn Gott lebt es mit uns!