Wählt die Gerechtigkeit - und noch ein wenig mehr ...

Predigt 24.09.2017

Jetzt ist er da, der Wahlsonntag. Wir sind eingeladen, ein paar kleine Kreuzchen aufs Papier zu machen – nur ein kleines Kreuzchen, aber so viel hängt davon ab, für die nächsten Jahre!

Früher gab die Kirche Wahlempfehlungen. Die Bischöfe schrieben einen Wahlhirtenbrief. In dem empfahlen sie ziemlich eindeutig die Partei, die das Christliche im Namen hat. Heute wäre das undenkbar. Die Situation ist viel zu komplex geworden.

Ich habe mir in den letzten Wochen viele Talkrunden zur Wahl angeschaut - der übliche Schlagabtausch der Parteien. Richtig nachdenklich wurde es einmal, als ein Teilnehmer die Frage nach unserem Menschenbild in die Runde warf und alle anderen betroffen dreinschauten und sich dann einig waren: Ja, ein richtiges klares Menschenbild ist eigentlich nicht mehr da. In Sonntagsreden wird oft noch so getan, in Wahlreden auch, aber was passiert dann in Wirklichkeit? Alle sind sich einig: Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen, alles soll dem Wohl des Menschen dienen. Sonntagsreden! Denken Sie an die Lage in Krankenhäusern und Pflegeein-richtungen: vom Pflegenotstand wird da gesprochen. Denken Sie an die älteren Leute mit den kleinen Renten, die kaum noch zurechtkommen, an Kinderarmut und schlecht ausgestattete Schulen.

Wofür ist Politik da? Für den Menschen. Aber was ist der Mensch, wie wird er gesehen? In erster Linie ein Konsument, der kaufen soll und Geld ausgibt und so die Wirtschaft am Laufen hält? Nur ein Rädchen im Getriebe der Gesellschaft? Einer, der seine Arbeitskraft einsetzt und nur so Wert hat. Und der, wenn er schwach wird, uninteressant ist und nicht mehr zählt? Der Mensch, gesehen durch die Brille der Stärke, der Leistung und Effizienz? Der Mensch, eine Nummer, eine Kostenstelle? Alles scheint dem Diktat des Geldes unterworfen (übrigens ja auch das kirchliche Leben!), alles muss billiger werden, an allem wird gespart. Alles wird käuflich. An Sonntagen sollen immer mehr Geschäfte öffnen. Auf Kosten des Menschen herrschen die Finanzen, herrscht das Geld. Soziale Gerechtigkeit kann da leicht in eine Schieflage kommen, kann da auf der Strecke bleiben. Und der Mensch damit auch.

Wir Christen haben ein anderes Menschenbild. Es ist nicht das zurzeit vorherrschende, das so stark von der Ökonomie und dem Geld bestimmt ist. Das christliche Menschenbild darf nicht zur Sonntagsrede verkommen, nur zu schön klingenden Worten. Es muss gelebt werden. Es wird da gelebt, wo der Schwache geschützt und gestützt wird. Wo wir vom Anderen her denken, von den "Brüdern und Schwestern", - alle Kinder Gottes! Wo jeder Mensch - jeder, auch der Flüchtling, der Demente, der Arbeitslose oder der Außenseiter - eine unzerstörbare Würde hat. In der Sprache der Bibel: Jeder ist von Gott geliebt, jeder ist Mitbürger in seinem Reich der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Der Glaube lädt uns ein, das wirklich zu leben und nicht als bloße schöne Worte abzutun.

Im heutigen Evangelium erzählt Jesus ein Gleichnis, mit dem man sicher keine Wahlen gewinnen und keine Wirtschaft und Sozialpolitik gestalten kann. Die Letzten werden die ersten sein? Die Arbeiter, die erst am späten Nachmittag im Weinberg erscheinen, bekommen denselben Lohn wie die, die den ganzen Tag lang in der glühenden Sonne die Last der Arbeit und der Hitze ertragen haben? Ganz sicher keine Geschichte für Arbeitgeber und Gewerkschaften! Die gehen davon aus, und wir mit ihnen: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Aber darum geht es auch nicht in dieser Geschichte, sie ist nicht als Modell gedacht für Tarifverträge! Es ist zutiefst eine Geschichte über den Weinbergbesitzer - eine Geschichte über Gott! Er geht nicht über das Recht hinweg, er geht über das Recht hinaus. Zum Recht hinzu, so wie vereinbart, kommt die Großzügigkeit, die Güte, die mehr gibt, als man erwarten kann.

Mir fällt zu diesem Gleichnis die Gestalt des "guten Schächers" ein, der mit Jesus gekreuzigt wurde. Er war ein Krimineller, ein Räuber. Er war einer mit einem verpfuschten Leben. Er hatte nichts vorzuweisen, auf das er stolz sein konnte. Und der sagt zu Jesus am Kreuz: Herr, denk an mich, wenn Du in Dein Reich kommst! Jesus antwortet ihm: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein! Das ist eine Art Heiligsprechung: im Paradies, im Himmel sein. So etwas hat Jesus noch nicht einmal den Jüngern verheißen. Aber hier einem Verbrecher, einem "Arbeiter der allerletzten Stunde", ja der "allerletzten fünf Minuten".

Womit habe ich das verdient? So fragt mancher, wenn ihm Schlimmes passiert. Aber so kann man auch fragen, wenn wir unverhofft Wunderschönes erleben. Womit habe ich das verdient? Gemeint ist: Ich habe das gar nicht verdient. Es ist mir zugefallen, ist mir geschehen, ist mir geschenkt. Das alte Wort Gnade kommt einem da in den Sinn, und der Gott, der nicht kleinlich rechnet nach den Mustern unserer Welt, sondern großzügig, gütig, barmherzig auf seine Menschen sieht. Und der dem "Arbeiter der letzten Stunde", z.B. dem Schicksalsgefährten Jesu am Kreuz, dieselbe Chance auf Vollendung und ewiges Leben gibt wie dem, der immer schon in der richtigen Spur war.

Das könnte unser Bild vom Menschen prägen - und dann auch in unsere Entscheidung zur Wahl einfließen.