Übers Wasser laufen
Predigt am 13.08.2017
Nein, das Wasser hat keine Balken, die tragen. Mir ist das sehr bewusst. Als Schulkind bin ich mal "abgesoffen", für gefühlte Minuten untergegangen. Wahrscheinlich war alles nur halb so schlimm,
aber es reichte für mein Leben, um wasserscheu zu werden.
Wasser hat keine Balken. In den letzten Tagen haben Schlepper im Roten Meer Flüchtlinge aus Äthiopien und Somalia - Durchschnittsalter 16 Jahre - über Bord geworfen. Über 30 ertranken - wie
so viele andere, im Mittelmeer.
Verständlich, dass das Meer zu allen Zeiten als bedrohlich, gefährlich, abgründig erschien. Es macht Angst. Einen Touristen von heute berührt das vielleicht nicht. Für ihn mag das Meer
beruhigend sein, er fotografiert romantische Sonnenuntergänge überm Meer, er schätzt die frische Brise und den frischen Fisch und die Sonne am Strand. Dass das Wasser keine Balken hat, erfährt
er nicht hautnah.
Und nun unser Evangelium. Da laufen zwei übers Wasser. Der eine, Jesus, gekonnt. Der andere, Petrus, möchte auch gern, kann aber nicht richtig, geht darum unter. Im Boot bleiben, das wäre für
ihn sicherer gewesen.
Wenn es nach Sicherheit geht, bleiben wir am besten auf der Erde. Mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Da kennen wir uns aus, da kann uns keiner was, da geht alles seinen gewohnten Gang. Aber da fällt
dann eben auch manches flach: Weite Aussichten, Wagnis und Abenteuer, Neuland entdecken. Luft und Wasser stehen dafür, bildlich gesprochen. In die Luft zu gehen, zu fliegen macht durchaus auch Angst; manche
mögen nicht fliegen. Übers Hochseil zu laufen - nichts für unsereins! Aber ist das Leben nicht manchmal wie ein Drahtseilakt? Man kann tief abstürzen und nur hoffen, dass dann ein Netz da ist,
das uns auffängt, im Sturz.
Ähnlich wirkt das Element Wasser. Ich sagte es schon: Das Meer ist so abgründig! Das sagt uns das Evangelium in einer sehr symbolisch erzählten Bildgeschichte. Einer Geschichte über das Leben,
vor allem über das bedrängte Leben der ersten Christen. Das kannten die Hörer des Evangeliums: Das Wasser steht einem bis zum Hals, das Leben kann so bodenlos und abgründig sein wie das weite
Meer. Und mancher "geht baden", mancher geht unter.
Das Evangelium sagt nun: In der vierten Nachtwache, am frühen Morgen, kommt Jesus auf die Jünger, auf die Menschen zu. Das ist immer seine Richtung: auf die Menschen zu! Auf uns zu. Um diese Richtung
durchzuhalten, läuft er sogar übers Wasser. So erzählt das die Bibel, und gemeint ist: Nichts kann ihn hindern. Auch nicht das Meer. Er geht über den Abgrund. Er überwindet die tiefsten
Gräben. Der allertiefste Graben ist der Tod. Da fällt jeder hinein und kommt nicht mehr raus. Aber auch diesen Graben überwindet der Herr. Das feiern wir zu Ostern: Jesus ersteht aus den
Abgründen auf und hilft uns hinüber.
Dieses Gehen über das Wasser, über den Abgrund kommt den Jüngern gespenstisch vor. Natürlich! Wie denn anders? Sie werden noch viel Zeit brauchen, um diesen Jesus zu verstehen, der alle Grenzen
überschreitet. "Ein Gespenst", so rufen sie. Das rufen sie übrigens auch, als sie später dem Auferstandenen begegnen. Gespenstisch, dieser Jesus, der den Abgrund des Todes hinter sich hat.
Wer immer nur mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht, auf dem Boden des Alltags, der hat es nicht unbedingt mit den Wundern, mit dem Wunderbaren. Mit dem, was uns staunen lässt. Was unseren
Alltagsverstand übersteigt. Mit Ostern zum Beispiel. Mit dieser wunderbaren Richtung Jesu: hin zu den Menschen. Selbst ein Meer, selbst der Abgrund kann ihn nicht aufhalten. Und so läuft er auf das
Schiff zu, auf das Schiff "Gemeinde", auf das Boot "Kirche", das gerade heute hohen Seegang hat und herumschlingert im Meer, von Wind und Wellen hin und her geschüttelt. Jesus bemerkt die Angst vor dem
Untergang, auch heute, und lädt ein zum Vertrauen: "Schaut nicht nur auf die Angst," scheint er zu sagen, "fixiert euch nicht darauf. Schaut weiter. Über euch hinaus. Schaut auf mich!"
Petrus, mit dem Mund immer vorne weg, lässt sich das nicht zweimal sagen. Wenn Jesus auf ihn zukommt, dann will er auch auf Jesus zugehen, ihm entgegengehen. Er will das tun, was Jesus tut - er will ihm
nachfolgen. In diesem Fall: Raus aus dem Boot, raus aus der Sicherheit! Quer übers Wasser, quer über den Abgrund! Jesus ermächtigt den Petrus nun zu diesem Wagnis - bildlich gesprochen: Aufs Wasser
zu kommen. Der Evangelist weiß: Nachfolge geht nicht auf eigene Faust. Man wird dazu gerufen, berufen. Darum sagt Jesus: "Komm!" Petrus steigt also aus dem Boot und wagt die Nachfolge. Und das Wasser
trägt. Zunächst! Sein Leben ähnelt später wirklich einem Lauf übers Wasser oder über glühende Kohlen! Auf ihn warten Gefängniszelle, Verfolgung und Märtyrertod -
Kreuzigung mit dem Kopf nach unten. Dies ahnend kann man schon mit der Angst zu tun kriegen und sinken! Wer der Angst immer mehr Raum gibt, wer sich darauf und auf sich selbst konzentriert, der kann untergehen.
Den hält nichts. Hoffentlich sieht er die ausgestreckte Hand und lässt sich ergreifen. Wie Petrus.
Liebe Schwestern und Brüder, gute Zeiten sind uns nicht versprochen und nirgends garantiert. Fester Boden ist uns nicht verheißen, auch nicht das Ende des Sturms. Aber auf die ausgestreckte rettende
Hand dürfen wir hoffen. Und auf die Stimme, die sagt: "Komm. Hab keine Angst. Hab Vertrauen. Ich bin es!"