Daniels Geschichte

Morgenandacht im WDR 02.05.2017

Gottvertrauen – das sagt sich so leicht daher! Manche gebrauchen das Wort wie ein frommes Etikett. Mir sind Leute wichtig, an deren Leben ich so etwas wie "Gottvertrauen" ablesen kann. Zum Beispiel Daniel.

Ich lernte ihn erst vor ein paar Monaten kennen: einen jungen Mann aus dem kleinen Land Eritrea in Ostafrika. Dort herrscht eine Diktatur, daher fliehen junge Leute massenweise. Der Militärdienst ist zudem unbefristet. Männer und auch Frauen müssen damit rechnen, zwanzig und mehr Jahre Soldaten zu sein. Im Ranking der am schlechtesten regierten Staaten der Welt steht Eritrea ganz vorn. Die Geflüchteten werden darum durchweg als Asylbewerber anerkannt. Daniel sagt, dass wohl die Hälfte seiner Mitschüler ins Ausland geflohen ist.

Er verlebt eine "normale" Kindheit in der Hauptstadt Asmara. Nach der Schulzeit wird er eingezogen in ein riesiges Militärcamp mit Tausenden Soldaten. Nach einem Jahr flieht er 2014. Er kann sich nicht mehr zuhause verabschieden. Das Handy ist seitdem die Brücke zu den Eltern und in die Heimat.

Daniel hält sich 10 Monate im Nachbarland Sudan auf. Überall stößt er nun auf junge Landsleute. Sie geben Tipps und helfen weiter. Ohne sie wäre es noch viel schlimmer. Dann kommt er nach Libyen, das im Chaos versinkt. Er lebt in einem Camp, 200 Leute schlafen in einer Baracke auf dem Boden.

Nach zwei Monaten dann das Schiff übers Mittelmeer. 400 Flüchtlinge, eng aneinander gedrängt. Allen ist schlecht, trotz ruhiger See. Die italienischen Aufnahmestellen sind überfordert. Man sagt ihm, nachdem man seinen Fingerabdruck genommen hat, er solle "Leine ziehen", verschwinden. Er schläft auf der Straße, schlägt sich durch, weiß nicht, wohin.

Schließlich fährt er weiter nach Deutschland. Da soll es stabiler zugehen, da kann man leben. Im Herbst 2015 wird er ins Sauerland überwiesen. Dort läuft es gut für ihn: Sprachkurs, gute Freunde, ein paar Deutsche, die sich rührend um ihn kümmern. Und nicht zuletzt die Kirche, der Gottesdienst mit anderen Menschen aus Eritrea, ein Stück Heimat. Daniel ist in den letzten beiden Jahren auf der Flucht tief gläubig geworden – er betet viel, er trägt zwei Kreuze um den Hals. "Ohne Gott geht gar nichts", sagt er.

Schließlich im November 2016 der Schock: angekündigte Abschiebung nach Italien. Der Fingerabdruck "rächt sich" nun, damit ist Italien zuständig für das Asylverfahren! Was ihn dort erwartet, ist nicht das Italien der Touristen: Michelangelo, Zypressen und Latte Macchiato. Für einen Flüchtling droht dort Obdachlosigkeit, Leben auf der Straße! Kaum Perspektiven. Da werden dann viele Flüchtlinge depressiv, fangen an zu trinken oder Drogen zu nehmen. Einziger Lichtblick sind Freunde: Die teilen, was sie haben. Daniel sagt zu mir: "Lieber tot als nach Italien!"

Alle Versuche, die Abschiebung abzuwenden, scheitern. Daniel schläft kaum noch, sitzt tagelang da wie ein "Häufchen Elend", muss Medikamente nehmen. Schließlich kommt das entscheidende Gespräch im Ausländeramt – ich vertrete ihn dort. Es bleibt bei der Abschiebung. Abends soll ich ihn davon in Kenntnis setzen. Ich habe große "Bauchschmerzen" vor diesem Gespräch. Wie wird er diese Entscheidung aufnehmen? Wie ein "Todesurteil auf Raten"? Drei eritreische Freunde sind beim Gespräch dabei. Und das Unerwartete geschieht. Daniel bleibt ganz ruhig. Er akzeptiert. Und sagt, sehr klar und bestimmt: "Ja, dann gehe ich wohl. Es ist der Wille Gottes. Ich hoffe: Gott ist auch in Italien bei mir, nicht nur in Deutschland!"

Für mich ist der junge Daniel einer meiner Lehrmeister im Gottvertrauen. Mit großer Freude erleben er und seine Freunde noch ein "Nachspiel": In der Abschiebehaft drei Tage vor der angekündigten Abschiebung – kommt völlig unerwartet ein Gerichtsbeschluss, der ihm ermöglicht, in Deutschland zu bleiben. Dennoch: Er geht in eine unbekannte Zukunft. So vertrauensvoll möchte ich auch in meine Zukunft hineingehen.