Tot ist tot

Predigt am 02.04.2017

Tot ist tot, da kann man nichts mehr machen! Das ist so eine Redensart bei uns. Tot ist tot, das ist wirklich hoffnungslos! Da ist keine Hoffnung mehr, da ist die Ver-wesung schon eingetreten. Vier Tage früher, da hätte noch Hoffnung bestanden, da war Lazarus krank, und da haben seine Schwestern Maria und Marta Jesus eine Nachricht geschickt: Herr, dein Freund ist krank. Komm doch!

Aber Jesus ist nicht hingegangen. Er schiebt es auf. Dabei steht ausdrücklich da: Bethanien, der Wohnort des Lazarus, war nahe bei Jerusalem. Leicht zu erreichen! Er lässt die Schwestern warten - bis es zu spät ist. Lazarus riecht schon aus dem Grab.

Lazarus - der Name bedeutet übrigens auf Deutsch: Gott hilft! Aber Gott hat gerade nicht geholfen. Und Jesus sagt auch noch ausdrücklich: "Ich bin froh, dass ich nicht da war!" Wie ist das alles zu verstehen?

Steckt der Lazarus auch in uns? Kennen wir solche ausweglosen Situationen, wo nichts mehr geht, wo alles aus und vorbei scheint?
Da kommt eine Frau mit Tränen in den Augen und sagt mir: "Meine Ehe ist tot. Wir leben seit Jahren nur noch im gleichen Haus, aber wir haben uns nichts mehr zu sagen. Ich bin zu einer Eheberatung gegangen, aber mein Mann wollte nicht mit. Jetzt hat er eine Andere und will die Scheidung einreichen. Die ganze Zeit habe ich gehofft, dass wir wieder zusammenfinden. Aber das kann ich jetzt ja wohl vergessen!"
Oder da muss ein junger Mann zum Gesundheitsamt, zur Routineuntersuchung für irgendeine Bewerbung. Der Arzt macht eine Blutabnahme und stellt fest: "Sie haben Krebs." Und der junge Mann spürt: Das ist für mich das Todesurteil auf Raten.
Oder ein Bauarbeiter, der mit 50 Jahren arbeitslos wird, weiß ganz genau: Ich habe im Beruf praktisch keine Chance mehr - es ist aussichtslos. Tot ist tot.

Genauso war es hier mit dem Lazarus. Man kann den Vorwurf in dem Ausruf der beiden Schwestern schon verstehen: "Jesus, wenn du sofort gekommen wärest, wenn du dich beeilt hättest, dann wäre unser Bruder Lazarus nicht gestorben!"

Und doch: Die Sache war nicht aus! Jesus sagt zu Marta: "Dein Bruder wird auferstehen! Habe ich dir nicht gesagt, Marta, dass du die Herrlichkeit Gottes sehen wirst, wenn du glaubst?" Gerade die schwierigen und aussichtslos scheinenden Dinge sind Gottes Gelegenheit, seine Herrlichkeit in unserem Leben zu zeigen. Aber Jesus bindet das an den Glauben. "Marta, du wirst die Herrlichkeit Gottes sehen, wenn du glaubst!"

Was ist das eigentlich für ein Glaube, den Jesus da meint: ein Glaube, der Berge versetzen kann, ein Glaube, der einen Toten wieder lebendig machen kann? Was ist das für ein Glaube? Das ist nicht ein Glaube, wie wir ihn jeden Sonntag in der Messe im Glaubensbekenntnis ausdrücken. Ihr Glaubensbekenntnis konnte Marta auch auswendig heruntersagen. Als Jesus ihr verspricht: "Dein Bruder wird auferstehen", da spult sie so richtig ihr Bekenntnis ab und spricht so, wie viele Juden es tun würden: "Ja, Herr, ich weiß, er wird auferstehen bei der Auferstehung am jüngsten Tage - am Ende der Welt." Und das ist himmelweit weg und hat mit dem jetzigen Leben nicht viel zu tun.

Maria und Marta stehen dann mit Jesus am Grab. Da sagt Jesus: "Nehmt den Stein weg!" Und jetzt kommt heraus, was die Schwestern wirklich glauben: Tot ist tot! Lazarus riecht schon, die Verwesung ist schon eingetreten, wir sind zu spät, die Sache ist aus. Und für den Glauben bleibt nur die Formel: Auferstehung am jüngsten Tag, am Ende der Welt.

Nein - die beiden Schwestern sind noch nicht am Punkt zu glauben. Sie richten ihren Blick auf die widrigen, traurigen Umstände: Lazarus ist gestorben, die Verwesung ist schon da, die Hitze ist groß. Da ist die Sache aussichtslos. Das hätten wir wohl alle auch so gesagt. Wir schauen auf die widrigen Umstände.

Und Jesus? Er steht ja auch vor dem Leichnam, er steht ja auch am offenen Grab. Aber dann heißt es ausdrücklich: "Er erhob seine Augen zum Himmel." Er blickt nicht auf die widrigen Umstände, sondern er richtet seine Augen empor zum Vater im Himmel, dem nichts unmöglich ist. Und dann fängt er an zu beten: "Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast!" Merkwürdig. Er dankt nicht dafür, dass der Vater ihn erhören wird, nein: "Ich danke dir, dass du mich erhört hast." Ich wusste ja, dass du mich zu jeder Zeit erhörst, aber wegen der Leute hier, die es noch nicht verstanden haben, sage ich es noch einmal ausdrücklich, damit sie auch zum Glauben kommen.

Der Glaube richtet seinen Blick auf den großen geheimnisvollen Gott. Der Glaube baut auf die Kraft Gottes, die hier in unserem Leben wirksam wird. Der Kleinglaube richtet seinen Blick immer nur auf die widrigen Umstände.

Ich möchte Ihnen dafür ein anderes Beispiel aus der Bibel nennen: die Geschichte von der Brotvermehrung. Da haben die Jünger fünf Brote und zwei Fische. Und eine große Menschenmenge ist da: allein 5000 Männer. Und was machen die Jünger? Sie kalkulieren durch, sie rechnen: fünf Brote, zwei Fische - für 5000 Männer? So wenig Nahrung auf Vorrat und so viele Leute: das sind wirklich widrige Umstände. Natürlich kommen sie zu dem Ergebnis: "Was ist das für so viele?" Da kriegen wir uns doch nur in die Haare, wer ein Stückchen Brot abbekommt, und wer nicht. Da fangen wir erst gar nicht an. Die Umstände lähmen. Die Sache geht nicht.

Und Jesus? Er nahm die fünf Brote und die zwei Fische, blickte zum Himmel auf und dankte dem himmlischen Vater. Und dann ließ er die Gaben austeilen, und es reichte für alle.

Das ist Glaube. Das ist Vertrauen: mit fünf Broten sich in eine große Menschenmenge zu trauen, oder: einem Toten zuzurufen: Komm heraus! Lass das Grab hinter dir! Nimm wieder Anteil am Leben!

Liebe Schwestern und Brüder, das vernünftige Abwägen der widrigen Umstände, wie wir es so gewöhnt sind, reicht dem Glauben nicht. Glauben im Sinne Jesu, das ist: mitten in all den schwierigen und widrigen Umständen des Lebens aufschauen zu Gott, dem nichts unmöglich ist. Jesus macht es vor, und er lässt sich nicht lähmen - selbst nicht von einem Grab. Er sagt niemals: Es hat alles keinen Zweck. Oder: Tot ist tot. Er sagt: Steh auf. Oder: Komm heraus. Komm und tritt ins Leben!