Versuchung in der Wüste

Predigt am 05.03.2017

Heute entführt uns das Evangelium in die Wüste. Wahrscheinlich wollen wir da gar nicht hin. Die Oasen sind uns wohl lieber. In den Oasen lebt es sich bequemer und angenehmer: unter Palmen, im Grünen, bei frischem Wasser. Da hat man reichlich, was man braucht, ist glücklich und zufrieden und freut sich seines Lebens!

Wir brauchen solche Oasenzeiten in unserem Leben, aber zwischendurch brauchen wir auch die Wüste! Wüste - das ist Alleinsein und Hungern und Dürsten und Suche und Sehnsucht und Aufbruch und Krise. Wüste - das ist ernst genommene Fastenzeit. Wüste - das ist: sich selber ganz anders erfahren, z.B. seine Grenzen und Gott erfahren, vielleicht auch ganz anders. Das schaffen die Oasen nicht. In der Oase lebt man in seinen Gewohnheiten, in der Routine, auch in der Routine des christlichen Lebens. Man spricht sein Gebet und geht in die Kirche, aber eine "Erschütterung", eine "Erleuchtung", eine "Umkehr" stellt sich so nicht unbedingt ein.

Die Religionen stammen eher aus der Wüste, siehe Mose, siehe Jesus, siehe Mohammed; sie alle atmeten Wüstenluft. Um Gottes willen zog es sie in die Wüste.
Oder, wörtlich im Evangelium: "Jesus wurde vom Geist in die Wüste geführt." Ein Magnet ist im Spiel: der Geist Gottes, der ihn dorthin zieht. Jesus geht damit den Weg seines Volkes. Das ist vierzig Jahre lang mit Mose in der Wüste herumgeirrt, ehe es sich im Gelobten Land, in Israel niederlassen konnte. Die vierzig Tage Jesu in der Wüste nehmen sich dagegen ziemlich bescheiden aus!

Das Volk Israel hat damals die Wüstenzeit wie eine große Entziehungskur erlebt. "In der Wüste steht nicht an jeder Düne eine Pommesbude und schon gar kein Getränkeautomat," schreibt sehr anschaulich Andreas Knapp. Nein, die Wüste ist so ziemlich das Gegenteil unserer aktuellen Welt! Kein Konsumparadies, keine Komfortzone, nicht unterhaltsam, nicht abwechslungsreich. Aber sie ist eine "Schule der Freiheit". Hier kann man lernen, sich nicht mehr gehenzulassen, sondern selbst zu gehen. Man lernt Abstand, Verzicht, Sinn für das Wesentliche. Man übt sich ein in das, was wirklich zählt. In der Schule der Wüste lernt man, seinen Weg mit Gott zu gehen.

Ich denke, unsere Kirche geht gerade durch eine solche Wüstenzeit. Es scheint so, als würde Gott auch uns heute eine Entziehungskur, eine "Läuterung", eine "Durststrecke" verordnen. Gott führt uns in die Wüste, führt uns in eine karge Fastenzeit der Kirche. Glanz und Gloria sind vorbei. Volle Häuser und volle Kassen ebenso. Der Geist ruft uns, ganz ehrlich und nüchtern und klarsichtig zu sein. Er ruft die ganze Christenheit zur Umkehr, ruft uns auf neue Wege. Da soll uns die heimelige, irgendwie kuschelige Gemeindeoase nicht gleich wieder beruhigen. Da sollen wir vom Wesentlichen her leben. Die "eiserne Ration" dafür ist das Vertrauen in Gott. Er kann und wird die leeren Hände füllen, wenn wir sie ihm nur offen hinhalten und wenn wir stattdessen nicht nur auf unsere eigenen Pläne und Vorhaben starren. Keiner kennt den Weg in die Zukunft. Auch Abraham, der Vater des Glaubens, kannte ihn damals nicht. Aber er fing an zu gehen, und Gott ging mit. Gott war das Navi, der Kompass. Das Altvertraute war nicht in das Navi eingegeben. Vielleicht will uns Gott das in der jetzigen Stunde der Kirche sagen.

Schmerzhaft ist die Schule der Wüste. Denn in dieses Alleinsein und in diese Krise kommt auch der Versucher. Das Böse. Biblisch gesprochen: der Teufel. Das vor allem wird im heutigen Evangelium erzählt. Der Versucher nimmt drei Anläufe, um Jesus "rumzukriegen". Steine zu Brot. Stürz dich hinab von der Zinne des Tempels. Alle Reiche der Welt sind dein. Und immer sagt er: "Wenn du Gottes Sohn bist ..."

"Wenn du Gottes Sohn bist ..." Der Versucher nimmt Jesus nicht bei seinen Schwächen. Da würde man doch eher ansetzen, bei den Schwächen. Er nimmt ihn vielmehr bei seinen Stärken, bei seinem Gottes-Sohn-Sein, bei seinem Gottesverhältnis. In dieses Verhältnis will der Teufel einen Keil treiben, er will Jesus vom Vater wegziehen. Er soll nicht mehr Gott vertrauen, sondern seiner eigenen Wundermacht, seiner Stärke.

Kann es sein, dass bei uns die Stärke die eigentliche Versuchung ist? Nicht unsere Schwäche: unsere Nachgiebigkeit oder unsere Launen oder unser Hang zu Alkohol oder Süßigkeiten? Nein, unsere Stärke, weil sie uns stolz macht.

Zum Beispiel:
Ein Mensch, der sehr fromm ist. Das ist eine Stärke. Manche sagen: Das ist (fast) ein Heiliger! Die Versuchung: Er glaubt, er hat bei Gott was gut. Er erwartet eine Extrabehandlung und einen sicheren Platz im Himmel. Wenn nicht er, wer denn dann? Die Demut ist nur noch gespielt. Der Stolz hat sich in die Frömmigkeit hineingefressen. Er vertraut mehr seiner weißen Weste als Gott.
Weiteres Beispiel: Ein Prediger mit großem Publikum. Viele sagen: Der predigt toll! Das ist seine Stärke. Die Versuchung: immer weniger verliebt zu sein in Gottes Wort, immer mehr in die eigenen Worte. Von sich selbst berauscht sein! Nicht mehr Gott predigen, sondern sich selbst. Und so wird er durch seine Stärke von Gott weggezogen.
Letztes Beispiel: Einer mit großem beruflichen Erfolg. Alle sagen: Das ist ein Könner! Das ist seine Stärke. Die Versuchung: er nutzt sie nur für sich, für sein Fortkommen. Die anderen werden ihm egal. Sie werden abgehängt. Und so steht er bald ziemlich einsam da, auch "von Gott und allen guten Geistern verlassen".

Liebe Schwestern und Brüder, das wäre also ein möglicher Gedanke für die Fastenzeit: Werden meine Stärken mir zur Versuchung? Bringen mich meine Stärken von Gott und den Menschen weg?

Jesus jedenfalls ist den Versuchungen nicht erlegen. Er ließ sich vom Vater nicht abbringen. Er probierte nicht seine Wundermacht oder seine eigene Bedeutung aus, sondern sein Vertrauen in den Vater. Die Wüste zerstörte ihn nicht. Und von dieser Ouvertüre an wurde er der, der er noch heute für uns ist. Der Mensch-für-andere, für den Vater und für uns. Der Sohn Gottes.